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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zur Frage der innern Kolonisation in Deutschland.

bischöflichen Regierung zu Münster, deren Gebiet den deutschen Teil des Bur-
tauger Moores umfaßte, berichtet, beiß in demselben und zwar an der hollän¬
dischen Grenze ganze Dörfer sich niedersetzen ließen. Geleitet von dem Bestreben,
zahlreichen Besitzlosen, nachgebornen Kindern von hörigen Bauernhöfen, zu einem
kleinen Grundeigentums zu verhelfen, unternahm die münstersche Regierung, nach
Austrag langjähriger Grenzstreitigkeiten mit den Generalstaaten, die systematische
Besiedlung der Moore und gründete allein im Burtanger Moore sieben Kolo¬
nien von insgesamt 229 bäuerlichen Besitzungen, "Plätze" genannt. Diese An¬
lagen befinden sich heute in einem völlig befriedigenden Zustande, freilich nach
sehr schweren Übergängen und Krisen, veranlaßt dcidnrch,' daß es übersehen oder
nicht für notwendig gehalten worden war, den neuen Anlagen die durchaus un¬
entbehrliche Entwässerung nach der Ems, sowie die ebensowenig zu entbehrenden
Verkehrswege dahin und nach den Städten und größern Orten an der Ems
zu verschaffen. Erst im Laufe langer Jahre haben diese Übelstände notdürftig
beseitigt werden können.

Die neuen Unternehmungen der Staatsregierung zur Besiedlung und Kultur
der Moore im Emsgebiet nehmen daher umfassende und großen Kapitalaufwand
erfordernde Voreinrichtungen zur Grundlage, nach dem Muster des Nachbar¬
landes Holland, bei dessen Moorkultnr wir einen Augenblick verweilen wollen.

Holland besitzt in seinen östlichen Provinzen Groningen, Drenthe und Over-
yssel die großartigsten Moorkulturen. Leider sind dieselben in weitern Kreisen
in Deutschland, selbst in Gegenden, die der Landesgrenze nicht fern liegen, noch
viel zu wenig bekannt, so sehr sie auch die Aufmerksamkeit des Volkswirtes auf
sich zu ziehen geeignet sind. Wer sich eine genauere Kenntnis dieser Anlagen,
ihrer Entstehung und Entwicklung und ihres gegenwärtigen Standes verschaffen
will, den verweisen wir auf die im Anfang der siebziger Jahre erschienene Denk¬
schrift des Ministerialdirektors Marcard: "Die Kanalisiruug der Hochmoore im
mittlern Emsgebiet." Der Verfasser nennt nach eigner Anschauung den blühen¬
den Stand vieler dieser holländischen Moorkolonien geradezu eine "fast märchen¬
hafte Pracht."

Das mindestens zwei Jahrhunderte alte holländische Kulturverfahren, das
solche glänzende Erfolge gezeitigt hat und das mit dem einfachen Ausdrucke:
Veenkultur (Veer Moor) oder auch Verveenung bezeichnet wird, beruht einfach
darauf, daß derjenige Punkt im Hochmoor, von dem eine Kolonisation ausgehen
soll, mit dem nächsten natürlichen oder künstlichen Wasserlaufe durch einen schiff¬
baren Kanal in Verbindung gesetzt wird. Jeder Ansiedler an einem der beiden
Ufer des Kanals -- denn an diesen werden die sogenannten "Plätze" an¬
gewiesen -- muß deshalb von Anfang an in den Besitz eines Schiffes, als des
unentbehrlichen Vermittlers seiner Kulturarbeit zu gelangen suchen, wozu ihm
übrigens, wenn nötig, von den Unternehmern neuer Veenanlcigcn leicht Unter¬
stützungen gewährt werden. Die eigne Pionierarbeit des Ansiedlers besteht nun


Zur Frage der innern Kolonisation in Deutschland.

bischöflichen Regierung zu Münster, deren Gebiet den deutschen Teil des Bur-
tauger Moores umfaßte, berichtet, beiß in demselben und zwar an der hollän¬
dischen Grenze ganze Dörfer sich niedersetzen ließen. Geleitet von dem Bestreben,
zahlreichen Besitzlosen, nachgebornen Kindern von hörigen Bauernhöfen, zu einem
kleinen Grundeigentums zu verhelfen, unternahm die münstersche Regierung, nach
Austrag langjähriger Grenzstreitigkeiten mit den Generalstaaten, die systematische
Besiedlung der Moore und gründete allein im Burtanger Moore sieben Kolo¬
nien von insgesamt 229 bäuerlichen Besitzungen, „Plätze" genannt. Diese An¬
lagen befinden sich heute in einem völlig befriedigenden Zustande, freilich nach
sehr schweren Übergängen und Krisen, veranlaßt dcidnrch,' daß es übersehen oder
nicht für notwendig gehalten worden war, den neuen Anlagen die durchaus un¬
entbehrliche Entwässerung nach der Ems, sowie die ebensowenig zu entbehrenden
Verkehrswege dahin und nach den Städten und größern Orten an der Ems
zu verschaffen. Erst im Laufe langer Jahre haben diese Übelstände notdürftig
beseitigt werden können.

Die neuen Unternehmungen der Staatsregierung zur Besiedlung und Kultur
der Moore im Emsgebiet nehmen daher umfassende und großen Kapitalaufwand
erfordernde Voreinrichtungen zur Grundlage, nach dem Muster des Nachbar¬
landes Holland, bei dessen Moorkultnr wir einen Augenblick verweilen wollen.

Holland besitzt in seinen östlichen Provinzen Groningen, Drenthe und Over-
yssel die großartigsten Moorkulturen. Leider sind dieselben in weitern Kreisen
in Deutschland, selbst in Gegenden, die der Landesgrenze nicht fern liegen, noch
viel zu wenig bekannt, so sehr sie auch die Aufmerksamkeit des Volkswirtes auf
sich zu ziehen geeignet sind. Wer sich eine genauere Kenntnis dieser Anlagen,
ihrer Entstehung und Entwicklung und ihres gegenwärtigen Standes verschaffen
will, den verweisen wir auf die im Anfang der siebziger Jahre erschienene Denk¬
schrift des Ministerialdirektors Marcard: „Die Kanalisiruug der Hochmoore im
mittlern Emsgebiet." Der Verfasser nennt nach eigner Anschauung den blühen¬
den Stand vieler dieser holländischen Moorkolonien geradezu eine „fast märchen¬
hafte Pracht."

Das mindestens zwei Jahrhunderte alte holländische Kulturverfahren, das
solche glänzende Erfolge gezeitigt hat und das mit dem einfachen Ausdrucke:
Veenkultur (Veer Moor) oder auch Verveenung bezeichnet wird, beruht einfach
darauf, daß derjenige Punkt im Hochmoor, von dem eine Kolonisation ausgehen
soll, mit dem nächsten natürlichen oder künstlichen Wasserlaufe durch einen schiff¬
baren Kanal in Verbindung gesetzt wird. Jeder Ansiedler an einem der beiden
Ufer des Kanals — denn an diesen werden die sogenannten „Plätze" an¬
gewiesen — muß deshalb von Anfang an in den Besitz eines Schiffes, als des
unentbehrlichen Vermittlers seiner Kulturarbeit zu gelangen suchen, wozu ihm
übrigens, wenn nötig, von den Unternehmern neuer Veenanlcigcn leicht Unter¬
stützungen gewährt werden. Die eigne Pionierarbeit des Ansiedlers besteht nun


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[0352] Zur Frage der innern Kolonisation in Deutschland. bischöflichen Regierung zu Münster, deren Gebiet den deutschen Teil des Bur- tauger Moores umfaßte, berichtet, beiß in demselben und zwar an der hollän¬ dischen Grenze ganze Dörfer sich niedersetzen ließen. Geleitet von dem Bestreben, zahlreichen Besitzlosen, nachgebornen Kindern von hörigen Bauernhöfen, zu einem kleinen Grundeigentums zu verhelfen, unternahm die münstersche Regierung, nach Austrag langjähriger Grenzstreitigkeiten mit den Generalstaaten, die systematische Besiedlung der Moore und gründete allein im Burtanger Moore sieben Kolo¬ nien von insgesamt 229 bäuerlichen Besitzungen, „Plätze" genannt. Diese An¬ lagen befinden sich heute in einem völlig befriedigenden Zustande, freilich nach sehr schweren Übergängen und Krisen, veranlaßt dcidnrch,' daß es übersehen oder nicht für notwendig gehalten worden war, den neuen Anlagen die durchaus un¬ entbehrliche Entwässerung nach der Ems, sowie die ebensowenig zu entbehrenden Verkehrswege dahin und nach den Städten und größern Orten an der Ems zu verschaffen. Erst im Laufe langer Jahre haben diese Übelstände notdürftig beseitigt werden können. Die neuen Unternehmungen der Staatsregierung zur Besiedlung und Kultur der Moore im Emsgebiet nehmen daher umfassende und großen Kapitalaufwand erfordernde Voreinrichtungen zur Grundlage, nach dem Muster des Nachbar¬ landes Holland, bei dessen Moorkultnr wir einen Augenblick verweilen wollen. Holland besitzt in seinen östlichen Provinzen Groningen, Drenthe und Over- yssel die großartigsten Moorkulturen. Leider sind dieselben in weitern Kreisen in Deutschland, selbst in Gegenden, die der Landesgrenze nicht fern liegen, noch viel zu wenig bekannt, so sehr sie auch die Aufmerksamkeit des Volkswirtes auf sich zu ziehen geeignet sind. Wer sich eine genauere Kenntnis dieser Anlagen, ihrer Entstehung und Entwicklung und ihres gegenwärtigen Standes verschaffen will, den verweisen wir auf die im Anfang der siebziger Jahre erschienene Denk¬ schrift des Ministerialdirektors Marcard: „Die Kanalisiruug der Hochmoore im mittlern Emsgebiet." Der Verfasser nennt nach eigner Anschauung den blühen¬ den Stand vieler dieser holländischen Moorkolonien geradezu eine „fast märchen¬ hafte Pracht." Das mindestens zwei Jahrhunderte alte holländische Kulturverfahren, das solche glänzende Erfolge gezeitigt hat und das mit dem einfachen Ausdrucke: Veenkultur (Veer Moor) oder auch Verveenung bezeichnet wird, beruht einfach darauf, daß derjenige Punkt im Hochmoor, von dem eine Kolonisation ausgehen soll, mit dem nächsten natürlichen oder künstlichen Wasserlaufe durch einen schiff¬ baren Kanal in Verbindung gesetzt wird. Jeder Ansiedler an einem der beiden Ufer des Kanals — denn an diesen werden die sogenannten „Plätze" an¬ gewiesen — muß deshalb von Anfang an in den Besitz eines Schiffes, als des unentbehrlichen Vermittlers seiner Kulturarbeit zu gelangen suchen, wozu ihm übrigens, wenn nötig, von den Unternehmern neuer Veenanlcigcn leicht Unter¬ stützungen gewährt werden. Die eigne Pionierarbeit des Ansiedlers besteht nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/352>, abgerufen am 28.07.2024.