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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Sansibar.

des Mittelalters hatten hier schon im zweiten Jahrhundert der muhammedanischen
Zeitrechnung Auswandrer aus Südarabien, diesem Lande des Seehandels und
der Kolonisation, Städte und größere Gemeinwesen gegründet, welche im Laufe
der Zeit zu beträchtlichem Wohlstande gelangt waren, und als Vasco de Gama
das Kap der guten Hoffnung umschifft hatte und auf der Weiterfahrt nach
Indien in diese Gegenden kam, fand er eine Anzahl ansehnlicher und wohl¬
gebauter Orte vor, welche lebhaften Handel mit Persien und Ostasien trieben
und dadurch sich zu großer Blüte verholfen hatten. Wenige Jahre nachher
unterwarfen sich die auf der Jusel Sansibar wohnenden Araber den Portugiesen,
welche nun auch jene Handelsstädte der Festlandsküste zu unterjochen suchten
und ihren Zweck allerdings erreichten, dabei aber den Handel vernichteten. Das
Land verfiel unter ihrer Herrschaft mehr und mehr, und als sich in den: be¬
nachbarten Südarabien eine erobernde Macht ausbildete, ging diese Kolonie der
Krone Portugal allmählich verloren. Der Sultan oder Imam von Maskat
bemächtigte sich, nachdem er die Portugiesen von hier und aus dem ganzen
Lande Oman vertrieben, mit seiner Kriegsflotte auch der Inseln und Küsten¬
gebiete, welche diese im südöstlichen Afrika besaßen, und seit dem Ende des
siebzehnten Jahrhunderts bildete Sansibar eine Provinz des Reiches jenes
Herrschers, der ihm aber viele Freiheit lassen mußte, sodaß sich hier eine Reihe
kleiner, fast unabhängiger Staaten bildete, die fast nur dadurch mit dem
Imam zusammenhingen, daß sie ihm zu bestimmter Zeit Tribut zusandten. In
dem größten derselben, der Insel Sansibar, wurde im ersten Jahrzehnte unsers
Jahrhunderts Sahib Mcdsched, der zweite Sohn des Imaus Scchid Said,
Statthalter, und dieser fand Gelegenheit, sich nach und nach so unabhängig
zu machen, daß er es 1856, als sein Vater mit Tode abging, wagen konnte,
sich für souverän zu erklären. Er wußte sich seitdem in dieser Eigenschaft zu
behaupten, und bei feinem Ableben, das im Oktober 1870 erfolgte, erbte sein
jüngerer Bruder Sahib Bargasch die Titel und Rechte desselben, in deren Besitz
er sich noch befindet.

Dieser arabische Sultan hat wie sein Vorgänger die Grundsätze bewahrt,
die im Stammlande Oman die Regierung leiten. Der Imam ist dort in erster
Linie ein Handelsfürst, und das gebietet ein gewisses Anbequemen an fremde
Sitte und Art, das mit Duldsamkeit gegen andre Religionen verbunden ist und
ein Bestreben einschließt, sich mit andern Ländern bekannt zu machen. Sahib
Bargasch duldete und begünstigte fremde Kaufleute, die sich auf seiner Insel
niederließen; denn ihr Handel brachte auch ihm Geld ein, und vor einigen Jahren
unternahm er sogar eine Reise nach den Ländern der Franken, auf welcher er
verschiedene unsrer Hauptstädte besuchte. Eine von seinen Schwestern ist an einen
deutschen Kaufmann verheiratet. An diese Thatsachen knüpfte man die Hoffnung,
er werde mit der Zeit noch mehr Geschmack an abendländischer Zivilisation
finden, diese in seinen Besitzungen fördern und sich zu vorteilhaften Handels-


Sansibar.

des Mittelalters hatten hier schon im zweiten Jahrhundert der muhammedanischen
Zeitrechnung Auswandrer aus Südarabien, diesem Lande des Seehandels und
der Kolonisation, Städte und größere Gemeinwesen gegründet, welche im Laufe
der Zeit zu beträchtlichem Wohlstande gelangt waren, und als Vasco de Gama
das Kap der guten Hoffnung umschifft hatte und auf der Weiterfahrt nach
Indien in diese Gegenden kam, fand er eine Anzahl ansehnlicher und wohl¬
gebauter Orte vor, welche lebhaften Handel mit Persien und Ostasien trieben
und dadurch sich zu großer Blüte verholfen hatten. Wenige Jahre nachher
unterwarfen sich die auf der Jusel Sansibar wohnenden Araber den Portugiesen,
welche nun auch jene Handelsstädte der Festlandsküste zu unterjochen suchten
und ihren Zweck allerdings erreichten, dabei aber den Handel vernichteten. Das
Land verfiel unter ihrer Herrschaft mehr und mehr, und als sich in den: be¬
nachbarten Südarabien eine erobernde Macht ausbildete, ging diese Kolonie der
Krone Portugal allmählich verloren. Der Sultan oder Imam von Maskat
bemächtigte sich, nachdem er die Portugiesen von hier und aus dem ganzen
Lande Oman vertrieben, mit seiner Kriegsflotte auch der Inseln und Küsten¬
gebiete, welche diese im südöstlichen Afrika besaßen, und seit dem Ende des
siebzehnten Jahrhunderts bildete Sansibar eine Provinz des Reiches jenes
Herrschers, der ihm aber viele Freiheit lassen mußte, sodaß sich hier eine Reihe
kleiner, fast unabhängiger Staaten bildete, die fast nur dadurch mit dem
Imam zusammenhingen, daß sie ihm zu bestimmter Zeit Tribut zusandten. In
dem größten derselben, der Insel Sansibar, wurde im ersten Jahrzehnte unsers
Jahrhunderts Sahib Mcdsched, der zweite Sohn des Imaus Scchid Said,
Statthalter, und dieser fand Gelegenheit, sich nach und nach so unabhängig
zu machen, daß er es 1856, als sein Vater mit Tode abging, wagen konnte,
sich für souverän zu erklären. Er wußte sich seitdem in dieser Eigenschaft zu
behaupten, und bei feinem Ableben, das im Oktober 1870 erfolgte, erbte sein
jüngerer Bruder Sahib Bargasch die Titel und Rechte desselben, in deren Besitz
er sich noch befindet.

Dieser arabische Sultan hat wie sein Vorgänger die Grundsätze bewahrt,
die im Stammlande Oman die Regierung leiten. Der Imam ist dort in erster
Linie ein Handelsfürst, und das gebietet ein gewisses Anbequemen an fremde
Sitte und Art, das mit Duldsamkeit gegen andre Religionen verbunden ist und
ein Bestreben einschließt, sich mit andern Ländern bekannt zu machen. Sahib
Bargasch duldete und begünstigte fremde Kaufleute, die sich auf seiner Insel
niederließen; denn ihr Handel brachte auch ihm Geld ein, und vor einigen Jahren
unternahm er sogar eine Reise nach den Ländern der Franken, auf welcher er
verschiedene unsrer Hauptstädte besuchte. Eine von seinen Schwestern ist an einen
deutschen Kaufmann verheiratet. An diese Thatsachen knüpfte man die Hoffnung,
er werde mit der Zeit noch mehr Geschmack an abendländischer Zivilisation
finden, diese in seinen Besitzungen fördern und sich zu vorteilhaften Handels-


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[0347] Sansibar. des Mittelalters hatten hier schon im zweiten Jahrhundert der muhammedanischen Zeitrechnung Auswandrer aus Südarabien, diesem Lande des Seehandels und der Kolonisation, Städte und größere Gemeinwesen gegründet, welche im Laufe der Zeit zu beträchtlichem Wohlstande gelangt waren, und als Vasco de Gama das Kap der guten Hoffnung umschifft hatte und auf der Weiterfahrt nach Indien in diese Gegenden kam, fand er eine Anzahl ansehnlicher und wohl¬ gebauter Orte vor, welche lebhaften Handel mit Persien und Ostasien trieben und dadurch sich zu großer Blüte verholfen hatten. Wenige Jahre nachher unterwarfen sich die auf der Jusel Sansibar wohnenden Araber den Portugiesen, welche nun auch jene Handelsstädte der Festlandsküste zu unterjochen suchten und ihren Zweck allerdings erreichten, dabei aber den Handel vernichteten. Das Land verfiel unter ihrer Herrschaft mehr und mehr, und als sich in den: be¬ nachbarten Südarabien eine erobernde Macht ausbildete, ging diese Kolonie der Krone Portugal allmählich verloren. Der Sultan oder Imam von Maskat bemächtigte sich, nachdem er die Portugiesen von hier und aus dem ganzen Lande Oman vertrieben, mit seiner Kriegsflotte auch der Inseln und Küsten¬ gebiete, welche diese im südöstlichen Afrika besaßen, und seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts bildete Sansibar eine Provinz des Reiches jenes Herrschers, der ihm aber viele Freiheit lassen mußte, sodaß sich hier eine Reihe kleiner, fast unabhängiger Staaten bildete, die fast nur dadurch mit dem Imam zusammenhingen, daß sie ihm zu bestimmter Zeit Tribut zusandten. In dem größten derselben, der Insel Sansibar, wurde im ersten Jahrzehnte unsers Jahrhunderts Sahib Mcdsched, der zweite Sohn des Imaus Scchid Said, Statthalter, und dieser fand Gelegenheit, sich nach und nach so unabhängig zu machen, daß er es 1856, als sein Vater mit Tode abging, wagen konnte, sich für souverän zu erklären. Er wußte sich seitdem in dieser Eigenschaft zu behaupten, und bei feinem Ableben, das im Oktober 1870 erfolgte, erbte sein jüngerer Bruder Sahib Bargasch die Titel und Rechte desselben, in deren Besitz er sich noch befindet. Dieser arabische Sultan hat wie sein Vorgänger die Grundsätze bewahrt, die im Stammlande Oman die Regierung leiten. Der Imam ist dort in erster Linie ein Handelsfürst, und das gebietet ein gewisses Anbequemen an fremde Sitte und Art, das mit Duldsamkeit gegen andre Religionen verbunden ist und ein Bestreben einschließt, sich mit andern Ländern bekannt zu machen. Sahib Bargasch duldete und begünstigte fremde Kaufleute, die sich auf seiner Insel niederließen; denn ihr Handel brachte auch ihm Geld ein, und vor einigen Jahren unternahm er sogar eine Reise nach den Ländern der Franken, auf welcher er verschiedene unsrer Hauptstädte besuchte. Eine von seinen Schwestern ist an einen deutschen Kaufmann verheiratet. An diese Thatsachen knüpfte man die Hoffnung, er werde mit der Zeit noch mehr Geschmack an abendländischer Zivilisation finden, diese in seinen Besitzungen fördern und sich zu vorteilhaften Handels-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/347>, abgerufen am 28.07.2024.