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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine perle.

Doch die Angst, den letzten Tropfen in der Lampe seines Lebens zu ver¬
schütten, bändigte ihren Schritt zu lautlosem Nähertreten, den Ton ihres Mundes
zu fast unhörbaren Flüstern des geliebten Namens, die Geberde zu abmahnendem
Beschwichtigen.

So erreichte sie seine Lagerstatt, so kniete sie neben derselben nieder, so
beugte sie sich über seine auf der Bettdecke ruhende Hand.

Er spürte den Kuß, er fühlte Thränen heiß auf seine Hand tropfen, er
sah eine goldblonde Lockenfüllc, und er stieß einen Freudenschrei ans, eine" so
durchdringenden, daß die Tauben erschrocken vom Fensterbrett ins Freie flohen.

Florida flehte: Komme zu dir, Geliebter, wir wollen beide schweigen; wir
haben uns, wir halten uns, ich kann dir alles abbitten, du kannst mit einem
Händedruck mir sagen, daß du mir alles verzeihst. O nein, fuhr sie fort, so
viel, so überschwänglich viel hatte ich vom Himmel nicht zu erflehen gewagt;
sieh, mein Freund, ich dränge die Klage, ich dränge die Thräne zurück -- ich
weine nicht, ich danke, ich juble -- bei dir! bei dir!!

Ihre letzten Worte erstickten in Thränen -- es ist nur das Übermaß
von Wonne und Seligkeit, schluchzte sie; aber ihr war doch, , als müsse sie vor
Schmerz erliegen.

O erliegen! Wie sie sich danach sehnte! Wie gern sie die Bitte, mit ihm
zugleich abgerufen zu werden, gen Himmel geschickt hätte! Ergebenheit in die
Fügungen eines höhern Willens, dem sie das wehmütige Labsal dieses un¬
verhofft ihr befederten Wiedersehens dankte, verschloß die Bitte auf dem Grunde
ihres Herzens.

Nur still sein, nur dankbar sein, nur allen von ganzer Seele vergeben,
so beschwichtigte sie, was an unverständlichen Lauten über seine Lippen wollte.
Und matt zum Sterben, wie er war, begnügte er sich, ihre Locken zu streicheln,
ihr Haupt an seine Brust zu ziehen und mit weit offnen Augen, als wie des
nahen Nachtwerdens ahnungsvoll gewiß, ihr rührend liebliches Bild in sich
hineinzusaugen.

Der Minimi-Mönch und Pater Vigilio waren leise eingetreten. Der erstere
hielt sich fern, der alte Teatiner kam mit vorsichtigem Schritt heran. Die
männliche Schönheit Giuseppe Gonzcigas, den der Greis bisher nie gesehen,
nur aus Fioritcis Schilderungen kennen gelernt hatte, ergriff ihn mit so mächtiger
Gewalt, daß er Mühe hatte, angesichts der in Thränen aufgelösten Braut selbst
uicht außer Fassung zu kommeu. Lie, transit glori^ nirmäi! murmelte er in
sich hinein, und er sah im Geiste, wie er es einst mit Augen geschaut hatte,
jene Flocke Werg sich in Asche verwandeln, die bei der Krönung des Papstes
als Symbol der Vergänglichkeit alles Irdischen verbrannt wird.

(Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig, -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Um eine perle.

Doch die Angst, den letzten Tropfen in der Lampe seines Lebens zu ver¬
schütten, bändigte ihren Schritt zu lautlosem Nähertreten, den Ton ihres Mundes
zu fast unhörbaren Flüstern des geliebten Namens, die Geberde zu abmahnendem
Beschwichtigen.

So erreichte sie seine Lagerstatt, so kniete sie neben derselben nieder, so
beugte sie sich über seine auf der Bettdecke ruhende Hand.

Er spürte den Kuß, er fühlte Thränen heiß auf seine Hand tropfen, er
sah eine goldblonde Lockenfüllc, und er stieß einen Freudenschrei ans, eine» so
durchdringenden, daß die Tauben erschrocken vom Fensterbrett ins Freie flohen.

Florida flehte: Komme zu dir, Geliebter, wir wollen beide schweigen; wir
haben uns, wir halten uns, ich kann dir alles abbitten, du kannst mit einem
Händedruck mir sagen, daß du mir alles verzeihst. O nein, fuhr sie fort, so
viel, so überschwänglich viel hatte ich vom Himmel nicht zu erflehen gewagt;
sieh, mein Freund, ich dränge die Klage, ich dränge die Thräne zurück — ich
weine nicht, ich danke, ich juble — bei dir! bei dir!!

Ihre letzten Worte erstickten in Thränen — es ist nur das Übermaß
von Wonne und Seligkeit, schluchzte sie; aber ihr war doch, , als müsse sie vor
Schmerz erliegen.

O erliegen! Wie sie sich danach sehnte! Wie gern sie die Bitte, mit ihm
zugleich abgerufen zu werden, gen Himmel geschickt hätte! Ergebenheit in die
Fügungen eines höhern Willens, dem sie das wehmütige Labsal dieses un¬
verhofft ihr befederten Wiedersehens dankte, verschloß die Bitte auf dem Grunde
ihres Herzens.

Nur still sein, nur dankbar sein, nur allen von ganzer Seele vergeben,
so beschwichtigte sie, was an unverständlichen Lauten über seine Lippen wollte.
Und matt zum Sterben, wie er war, begnügte er sich, ihre Locken zu streicheln,
ihr Haupt an seine Brust zu ziehen und mit weit offnen Augen, als wie des
nahen Nachtwerdens ahnungsvoll gewiß, ihr rührend liebliches Bild in sich
hineinzusaugen.

Der Minimi-Mönch und Pater Vigilio waren leise eingetreten. Der erstere
hielt sich fern, der alte Teatiner kam mit vorsichtigem Schritt heran. Die
männliche Schönheit Giuseppe Gonzcigas, den der Greis bisher nie gesehen,
nur aus Fioritcis Schilderungen kennen gelernt hatte, ergriff ihn mit so mächtiger
Gewalt, daß er Mühe hatte, angesichts der in Thränen aufgelösten Braut selbst
uicht außer Fassung zu kommeu. Lie, transit glori^ nirmäi! murmelte er in
sich hinein, und er sah im Geiste, wie er es einst mit Augen geschaut hatte,
jene Flocke Werg sich in Asche verwandeln, die bei der Krönung des Papstes
als Symbol der Vergänglichkeit alles Irdischen verbrannt wird.

(Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig, — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0344] Um eine perle. Doch die Angst, den letzten Tropfen in der Lampe seines Lebens zu ver¬ schütten, bändigte ihren Schritt zu lautlosem Nähertreten, den Ton ihres Mundes zu fast unhörbaren Flüstern des geliebten Namens, die Geberde zu abmahnendem Beschwichtigen. So erreichte sie seine Lagerstatt, so kniete sie neben derselben nieder, so beugte sie sich über seine auf der Bettdecke ruhende Hand. Er spürte den Kuß, er fühlte Thränen heiß auf seine Hand tropfen, er sah eine goldblonde Lockenfüllc, und er stieß einen Freudenschrei ans, eine» so durchdringenden, daß die Tauben erschrocken vom Fensterbrett ins Freie flohen. Florida flehte: Komme zu dir, Geliebter, wir wollen beide schweigen; wir haben uns, wir halten uns, ich kann dir alles abbitten, du kannst mit einem Händedruck mir sagen, daß du mir alles verzeihst. O nein, fuhr sie fort, so viel, so überschwänglich viel hatte ich vom Himmel nicht zu erflehen gewagt; sieh, mein Freund, ich dränge die Klage, ich dränge die Thräne zurück — ich weine nicht, ich danke, ich juble — bei dir! bei dir!! Ihre letzten Worte erstickten in Thränen — es ist nur das Übermaß von Wonne und Seligkeit, schluchzte sie; aber ihr war doch, , als müsse sie vor Schmerz erliegen. O erliegen! Wie sie sich danach sehnte! Wie gern sie die Bitte, mit ihm zugleich abgerufen zu werden, gen Himmel geschickt hätte! Ergebenheit in die Fügungen eines höhern Willens, dem sie das wehmütige Labsal dieses un¬ verhofft ihr befederten Wiedersehens dankte, verschloß die Bitte auf dem Grunde ihres Herzens. Nur still sein, nur dankbar sein, nur allen von ganzer Seele vergeben, so beschwichtigte sie, was an unverständlichen Lauten über seine Lippen wollte. Und matt zum Sterben, wie er war, begnügte er sich, ihre Locken zu streicheln, ihr Haupt an seine Brust zu ziehen und mit weit offnen Augen, als wie des nahen Nachtwerdens ahnungsvoll gewiß, ihr rührend liebliches Bild in sich hineinzusaugen. Der Minimi-Mönch und Pater Vigilio waren leise eingetreten. Der erstere hielt sich fern, der alte Teatiner kam mit vorsichtigem Schritt heran. Die männliche Schönheit Giuseppe Gonzcigas, den der Greis bisher nie gesehen, nur aus Fioritcis Schilderungen kennen gelernt hatte, ergriff ihn mit so mächtiger Gewalt, daß er Mühe hatte, angesichts der in Thränen aufgelösten Braut selbst uicht außer Fassung zu kommeu. Lie, transit glori^ nirmäi! murmelte er in sich hinein, und er sah im Geiste, wie er es einst mit Augen geschaut hatte, jene Flocke Werg sich in Asche verwandeln, die bei der Krönung des Papstes als Symbol der Vergänglichkeit alles Irdischen verbrannt wird. (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig, — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/344>, abgerufen am 01.09.2024.