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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Martin Greif als dramatischer Dichter.

ethische und dichterische Tiefe verliehen. Aber wie die ganze Anlage, so ver¬
dient eines die warme und reiche Ausführung das uneingeschränkteste Lob; man
müßte sich denn ans ein paar gleichgültige Nebendinge steifen, wie etwa die Er¬
wähnung eines Madrigals aus Metastasivs Schule, was chronologisch unrichtig
scheint, oder die nicht ganz korrekte Skandirnng einiger französischer Vokabeln.
Wir erwähnen dieser Kleinigkeiten nur, um nicht irgendeinem Kritikaster den
Spaß zu lassen, sie aufzuspüren und auszuposaunen. Unsre Tageskritik verlernt
ja immer mehr in das innere Leben einer Dichtung einzudringen, oder nimmt
sich wenigstens nicht die Mühe, es zu thun. Ist es doch viel bequemer, an der
äußern Schale herumzunagen. Nicht als ob die Form bei Greif zu tadeln
wäre; es fehlt ihr nur das Prickelnde, Kokette, das unsern abgelebten, blasirten
literarischen Gourmands besser zusagt, als die einfach schöne, charakteristische
Formgebung. Diese ist dem Dichter zumal in seinem jüngsten Drama vor¬
züglich gut gelungen; das treuherzige, trauliche, etwas altfränkische Gepräge,
das er hier seiner Sprache verliehen hat, entspricht dem Stoffe so vollkommen,
daß es durch kein falsches Archaisiren oder Deklamiren ersetzt werden könnte.

Tadellos ist der dramatische Aufbau des Stückes. Von Anfang an be¬
wegt sich die Handlung in raschem und doch nicht sich überstürzenden Tempo
vorwärts, jede Szene bietet ein in sich geschlossenes ansprechendes Bild und ist
doch unlösbar mit dem Ganzem verwachsen, alles ist folgerichtig entwickelt, alles
strebt dem Höhepunkt und der schließlichen befriedigenden Lösung des Knotens
zu, die, streng genommen, schon am Schlüsse des vierten Aufzuges erreicht ist.
Der letzte Akt bietet nur noch eine Art prächtigen Schlußtableaus, etwa wie
der Schlußakt von Schillers Tell. Missen wird man ihn darum doch uicht
wollen, da des Dichters Kunst gerade hier aus reichem Füllhorn die liebens¬
würdigsten Einzelheiten gespendet hat und bis zum letzten Auftritt den Hörer
in behaglicher Spannung zu halten versteht. Ein heiteres, horniges Licht, ein
Sattes, farbenfrohes Kolorit ist über das Drama als Ganzes ausgebreitet.
Aber es fehlt auch nicht an ernsten, in die Tiefe des Menschenherzens greifenden
Szenen- Wie reich an packenden Einzelheiten ist die wundervolle Schlachtszenc
im zweite" Akte! Hier wechselt kerniger Humor, kaustische Satire und tief¬
gemütlicher Ernst in schier unerschöpflicher, scheinbar mühelos strömender Bilder¬
fülle, und diese Bilder geben zusammen ein großes, von reichem Leben erfülltes
Gemälde, wie es seit Kleists "Prinzen von Homburg" die deutsche Bühne nicht
mehr gesehen hat.

Der Vergleich mit den: ebengenannten Schwanenliede Kleists liegt über¬
haupt, des verwandten Stoffes wegen, nahe. Ist Kleist ohne Zweifel das höhere
Poetische Genie, so muß man doch sagen, daß Greif mit bescheidneren Mitteln
eine reinere Wirkung hervorbringt. Aller romantische Duft und Schmelz, alle
übersprudelnde Genialität der Charakterisirung, all der wundersame Zauber der
Sprache, der unvergleichliche dichterische Reichtum, der seine Wunderblumen


Martin Greif als dramatischer Dichter.

ethische und dichterische Tiefe verliehen. Aber wie die ganze Anlage, so ver¬
dient eines die warme und reiche Ausführung das uneingeschränkteste Lob; man
müßte sich denn ans ein paar gleichgültige Nebendinge steifen, wie etwa die Er¬
wähnung eines Madrigals aus Metastasivs Schule, was chronologisch unrichtig
scheint, oder die nicht ganz korrekte Skandirnng einiger französischer Vokabeln.
Wir erwähnen dieser Kleinigkeiten nur, um nicht irgendeinem Kritikaster den
Spaß zu lassen, sie aufzuspüren und auszuposaunen. Unsre Tageskritik verlernt
ja immer mehr in das innere Leben einer Dichtung einzudringen, oder nimmt
sich wenigstens nicht die Mühe, es zu thun. Ist es doch viel bequemer, an der
äußern Schale herumzunagen. Nicht als ob die Form bei Greif zu tadeln
wäre; es fehlt ihr nur das Prickelnde, Kokette, das unsern abgelebten, blasirten
literarischen Gourmands besser zusagt, als die einfach schöne, charakteristische
Formgebung. Diese ist dem Dichter zumal in seinem jüngsten Drama vor¬
züglich gut gelungen; das treuherzige, trauliche, etwas altfränkische Gepräge,
das er hier seiner Sprache verliehen hat, entspricht dem Stoffe so vollkommen,
daß es durch kein falsches Archaisiren oder Deklamiren ersetzt werden könnte.

Tadellos ist der dramatische Aufbau des Stückes. Von Anfang an be¬
wegt sich die Handlung in raschem und doch nicht sich überstürzenden Tempo
vorwärts, jede Szene bietet ein in sich geschlossenes ansprechendes Bild und ist
doch unlösbar mit dem Ganzem verwachsen, alles ist folgerichtig entwickelt, alles
strebt dem Höhepunkt und der schließlichen befriedigenden Lösung des Knotens
zu, die, streng genommen, schon am Schlüsse des vierten Aufzuges erreicht ist.
Der letzte Akt bietet nur noch eine Art prächtigen Schlußtableaus, etwa wie
der Schlußakt von Schillers Tell. Missen wird man ihn darum doch uicht
wollen, da des Dichters Kunst gerade hier aus reichem Füllhorn die liebens¬
würdigsten Einzelheiten gespendet hat und bis zum letzten Auftritt den Hörer
in behaglicher Spannung zu halten versteht. Ein heiteres, horniges Licht, ein
Sattes, farbenfrohes Kolorit ist über das Drama als Ganzes ausgebreitet.
Aber es fehlt auch nicht an ernsten, in die Tiefe des Menschenherzens greifenden
Szenen- Wie reich an packenden Einzelheiten ist die wundervolle Schlachtszenc
im zweite« Akte! Hier wechselt kerniger Humor, kaustische Satire und tief¬
gemütlicher Ernst in schier unerschöpflicher, scheinbar mühelos strömender Bilder¬
fülle, und diese Bilder geben zusammen ein großes, von reichem Leben erfülltes
Gemälde, wie es seit Kleists „Prinzen von Homburg" die deutsche Bühne nicht
mehr gesehen hat.

Der Vergleich mit den: ebengenannten Schwanenliede Kleists liegt über¬
haupt, des verwandten Stoffes wegen, nahe. Ist Kleist ohne Zweifel das höhere
Poetische Genie, so muß man doch sagen, daß Greif mit bescheidneren Mitteln
eine reinere Wirkung hervorbringt. Aller romantische Duft und Schmelz, alle
übersprudelnde Genialität der Charakterisirung, all der wundersame Zauber der
Sprache, der unvergleichliche dichterische Reichtum, der seine Wunderblumen


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[0326] Martin Greif als dramatischer Dichter. ethische und dichterische Tiefe verliehen. Aber wie die ganze Anlage, so ver¬ dient eines die warme und reiche Ausführung das uneingeschränkteste Lob; man müßte sich denn ans ein paar gleichgültige Nebendinge steifen, wie etwa die Er¬ wähnung eines Madrigals aus Metastasivs Schule, was chronologisch unrichtig scheint, oder die nicht ganz korrekte Skandirnng einiger französischer Vokabeln. Wir erwähnen dieser Kleinigkeiten nur, um nicht irgendeinem Kritikaster den Spaß zu lassen, sie aufzuspüren und auszuposaunen. Unsre Tageskritik verlernt ja immer mehr in das innere Leben einer Dichtung einzudringen, oder nimmt sich wenigstens nicht die Mühe, es zu thun. Ist es doch viel bequemer, an der äußern Schale herumzunagen. Nicht als ob die Form bei Greif zu tadeln wäre; es fehlt ihr nur das Prickelnde, Kokette, das unsern abgelebten, blasirten literarischen Gourmands besser zusagt, als die einfach schöne, charakteristische Formgebung. Diese ist dem Dichter zumal in seinem jüngsten Drama vor¬ züglich gut gelungen; das treuherzige, trauliche, etwas altfränkische Gepräge, das er hier seiner Sprache verliehen hat, entspricht dem Stoffe so vollkommen, daß es durch kein falsches Archaisiren oder Deklamiren ersetzt werden könnte. Tadellos ist der dramatische Aufbau des Stückes. Von Anfang an be¬ wegt sich die Handlung in raschem und doch nicht sich überstürzenden Tempo vorwärts, jede Szene bietet ein in sich geschlossenes ansprechendes Bild und ist doch unlösbar mit dem Ganzem verwachsen, alles ist folgerichtig entwickelt, alles strebt dem Höhepunkt und der schließlichen befriedigenden Lösung des Knotens zu, die, streng genommen, schon am Schlüsse des vierten Aufzuges erreicht ist. Der letzte Akt bietet nur noch eine Art prächtigen Schlußtableaus, etwa wie der Schlußakt von Schillers Tell. Missen wird man ihn darum doch uicht wollen, da des Dichters Kunst gerade hier aus reichem Füllhorn die liebens¬ würdigsten Einzelheiten gespendet hat und bis zum letzten Auftritt den Hörer in behaglicher Spannung zu halten versteht. Ein heiteres, horniges Licht, ein Sattes, farbenfrohes Kolorit ist über das Drama als Ganzes ausgebreitet. Aber es fehlt auch nicht an ernsten, in die Tiefe des Menschenherzens greifenden Szenen- Wie reich an packenden Einzelheiten ist die wundervolle Schlachtszenc im zweite« Akte! Hier wechselt kerniger Humor, kaustische Satire und tief¬ gemütlicher Ernst in schier unerschöpflicher, scheinbar mühelos strömender Bilder¬ fülle, und diese Bilder geben zusammen ein großes, von reichem Leben erfülltes Gemälde, wie es seit Kleists „Prinzen von Homburg" die deutsche Bühne nicht mehr gesehen hat. Der Vergleich mit den: ebengenannten Schwanenliede Kleists liegt über¬ haupt, des verwandten Stoffes wegen, nahe. Ist Kleist ohne Zweifel das höhere Poetische Genie, so muß man doch sagen, daß Greif mit bescheidneren Mitteln eine reinere Wirkung hervorbringt. Aller romantische Duft und Schmelz, alle übersprudelnde Genialität der Charakterisirung, all der wundersame Zauber der Sprache, der unvergleichliche dichterische Reichtum, der seine Wunderblumen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/326>, abgerufen am 28.07.2024.