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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Martin Greif als dramatischer Dichter.

in vorwiegend lyrisch gefärbten Stellen erlaubt, namentlich in Monologen,
außerdem höchstens im Zwiegespräch ganz gleichgestimmter Seelen, etwa zweier
Liebenden wie Romeo und Julia; unnatürlich, mindestens unmotivirt erscheint
der Reim im leidenschaftlich belebten, die Handlung fördernden Dialog. Noch
wichtiger als diese immerhin unwesentlichen Bedenken möchten einige andre
Ausstellungen sein. Schon die Wahl des Stoffes ist kein glücklicher Griff, es
fehlt ihm gänzlich der Reiz der Neuheit. Wie viele Marinos haben, von Byron
bis auf Kruse, nicht schon ihre Verschwörung gegen die stolze Republik Venedig
auf den Brettern mit dem Tode gebüßt! Und wäre dem auch nicht so, so hat
der Stoff überhaupt an sich kein besondres Interesse für ein so übersättigtes
Publikum wie das heutige; es würde ein enormes Genie dazu gehören, unser
Theaterpublikum für diese welschen Jntriguengeschichten auf die Dauer zu er¬
wärmen. Dazu kommt, daß es dem dramatischen Aufbau der Handlung an
durchsichtiger Klarheit und auch an der vollen Sicherheit mangelt. So leidet
namentlich der vierte Akt an starken UnWahrscheinlichkeiten. Alle Personell
zeigen Mangel an Vorsicht. Vor allem ist Pinolas Handlungsweise schwer be¬
greiflich; ohne eigentlich zu wissen, mit wem sie spricht, plaudert sie vom
Balkon aus auf die offne Straße -- könnte nicht, selbst wenn wirklich der
rechte Mann vor ihr stünde, ein Lauscher in der Nähe sein? -- die ganze ge¬
fährliche Verschwörung aus, sodaß es von gegnerischer Seite nicht der geringsten
Klugheit bedarf, das Geheimnis zu enthüllen und die Pläne des Dogen zu
vereiteln; und gleich darauf begeht Pinola die zweite Thorheit, daß sie Giovanni,
dem Falieri das Geheimnis weislich verschwiegen hat, zum Mitwisser macht.

Zum Glück werden alle diese Mängel von den glänzenden Vorzügen des
Stückes überwogen. Vor allem ist es hier wieder die Charakterisirung der
handelnden Personen, die alle Lücken der Intrigue übersehen läßt. Der Doge
ähnelt zwar ein wenig dem Cvrfiz Ulfeldt, ist aber doch wieder eine ganz eigen¬
tümliche Gestalt, imponirend, voll natürlicher Würde, leidenschaftlich aufbrausend,
soldatisch rauh und doch von reinem, fast weichem Gefühl. Diese Eigenschaften
entwickeln sich aufs schönste, besonders in dem mit feiner Kunst gezeichneten
Verhältnisse zu feiner jungen Frau; daß hier der Dichter den leisesten Schatten
des Lächerlichen, das so nahe lag, gänzlich vermieden hat, legt Zeugnis von
hoher Meisterschaft ab. Wie gut steht dem greisen Helden die rührende Sorge,
die väterliche Zärtlichkeit zu der lieblichen Gattin, und wie wohlthuend ist das
kindliche Vertrauen und die liebevolle Ehrfurcht dieser reinen Seele zu dem
mächtigen Manne! Ergreifend ist der dumpfe Schmerz des alten Falieri, da
er sich einmal von dem geliebten Weibe getäuscht glaubt, rührend sein schnelles
freudiges Vertrauen, sobald er ihre Rechtfertigung vernommen, und erschütternder
als alle Rede der wortkarge Abschied voll ihr vor seinem Gang zum Tode.
Um den Haupthelden stellen sich die Nebenpersonen in lebensvoller Gruppirung.
da ist das Haupt der Staatsinquisition, der eiskalte, berechnende Lioni, dessen


Martin Greif als dramatischer Dichter.

in vorwiegend lyrisch gefärbten Stellen erlaubt, namentlich in Monologen,
außerdem höchstens im Zwiegespräch ganz gleichgestimmter Seelen, etwa zweier
Liebenden wie Romeo und Julia; unnatürlich, mindestens unmotivirt erscheint
der Reim im leidenschaftlich belebten, die Handlung fördernden Dialog. Noch
wichtiger als diese immerhin unwesentlichen Bedenken möchten einige andre
Ausstellungen sein. Schon die Wahl des Stoffes ist kein glücklicher Griff, es
fehlt ihm gänzlich der Reiz der Neuheit. Wie viele Marinos haben, von Byron
bis auf Kruse, nicht schon ihre Verschwörung gegen die stolze Republik Venedig
auf den Brettern mit dem Tode gebüßt! Und wäre dem auch nicht so, so hat
der Stoff überhaupt an sich kein besondres Interesse für ein so übersättigtes
Publikum wie das heutige; es würde ein enormes Genie dazu gehören, unser
Theaterpublikum für diese welschen Jntriguengeschichten auf die Dauer zu er¬
wärmen. Dazu kommt, daß es dem dramatischen Aufbau der Handlung an
durchsichtiger Klarheit und auch an der vollen Sicherheit mangelt. So leidet
namentlich der vierte Akt an starken UnWahrscheinlichkeiten. Alle Personell
zeigen Mangel an Vorsicht. Vor allem ist Pinolas Handlungsweise schwer be¬
greiflich; ohne eigentlich zu wissen, mit wem sie spricht, plaudert sie vom
Balkon aus auf die offne Straße — könnte nicht, selbst wenn wirklich der
rechte Mann vor ihr stünde, ein Lauscher in der Nähe sein? — die ganze ge¬
fährliche Verschwörung aus, sodaß es von gegnerischer Seite nicht der geringsten
Klugheit bedarf, das Geheimnis zu enthüllen und die Pläne des Dogen zu
vereiteln; und gleich darauf begeht Pinola die zweite Thorheit, daß sie Giovanni,
dem Falieri das Geheimnis weislich verschwiegen hat, zum Mitwisser macht.

Zum Glück werden alle diese Mängel von den glänzenden Vorzügen des
Stückes überwogen. Vor allem ist es hier wieder die Charakterisirung der
handelnden Personen, die alle Lücken der Intrigue übersehen läßt. Der Doge
ähnelt zwar ein wenig dem Cvrfiz Ulfeldt, ist aber doch wieder eine ganz eigen¬
tümliche Gestalt, imponirend, voll natürlicher Würde, leidenschaftlich aufbrausend,
soldatisch rauh und doch von reinem, fast weichem Gefühl. Diese Eigenschaften
entwickeln sich aufs schönste, besonders in dem mit feiner Kunst gezeichneten
Verhältnisse zu feiner jungen Frau; daß hier der Dichter den leisesten Schatten
des Lächerlichen, das so nahe lag, gänzlich vermieden hat, legt Zeugnis von
hoher Meisterschaft ab. Wie gut steht dem greisen Helden die rührende Sorge,
die väterliche Zärtlichkeit zu der lieblichen Gattin, und wie wohlthuend ist das
kindliche Vertrauen und die liebevolle Ehrfurcht dieser reinen Seele zu dem
mächtigen Manne! Ergreifend ist der dumpfe Schmerz des alten Falieri, da
er sich einmal von dem geliebten Weibe getäuscht glaubt, rührend sein schnelles
freudiges Vertrauen, sobald er ihre Rechtfertigung vernommen, und erschütternder
als alle Rede der wortkarge Abschied voll ihr vor seinem Gang zum Tode.
Um den Haupthelden stellen sich die Nebenpersonen in lebensvoller Gruppirung.
da ist das Haupt der Staatsinquisition, der eiskalte, berechnende Lioni, dessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/323>, abgerufen am 25.11.2024.