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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

Jnstizpalastes oder Rathauses, keines unsrer allgemein zugänglichen Fürsten¬
schlösser mehr der Zierde solcher historischen Schilderungen entbehren. Was
einst Delaroche, der glänzendste Vertreter der Geschichtsmalerci, den wir kennen,
als die Aufgabe seines Lebens hingestellt hat, heute scheint es Wahrheit geworden
zu sein. "Warum, sagte er, soll es dem Maler verwehrt sein, mit dem Ge¬
schichtschreiber zu wetteifern? Warum soll nicht auch der Maler mit seinen
Mitteln die Wahrheit der Geschichte in ihrer ganzen Würde und Poesie lehren
können? Ein Bild sagt oft mehr als zehn Bande, und ich bin fest überzeugt,
daß die Malerei ebensogut wie die Literatur berufen ist, auf die öffentliche
Meinung zu wirken." Das Maß unsrer geschichtliche" Kenntnisse muß gewaltig
zugenommen haben, unser Verständnis sür den Geist der Geschichte muß täglich
wachsen, und bald werdeu wir uns der Mühe überhoben sehen, die Werke der
Geschichtschreiber zu Rate zu ziehen: die Kunst übernimmt heute die Aufgabe
des Historikers, die Geschichte wird nicht mehr geschrieben, man malt sie.

Kein andrer Zweig künstlerischen Schaffens wird in unsern Tagen so von
oben begünstigt und durch öffentliche Mittel gefördert wie die Historienmalerei.
Dennoch kann einem aufmerksamen Beobachter die Thatsache nicht entgehen, daß
die Zahl der Historienbilder gering ist im Verhältnisse zu der ungewöhnlich ge¬
steigerten Produktion auf den übrigen Gebieten der Malerei. Ein Blick auf die
Kataloge der letzten Ausstellungen gestattet keinen Zweifel über dieses Zahlen¬
verhältnis. Nur noch wenige unsrer dentschen Künstler schwingen sich zu der
Höhe eines Geschichtsmalers auf, die Münchener von heute schon garnicht mehr.
Haben sie ihren Führer Piloty auf der letzten internationalen Ausstellung von
1883 nicht fast gänzlich im Stiche gelassen? Haben wir es nicht erleben müssen,
daß die Spanier sich auf dem höchsten Gebiete der modernen Kunst uns Deutschen
weit überlege" zeigte"? Welcher deutsche Künstler vermöchte mit ihnen zu wett¬
eifern und verstünde sich so wie sie darauf, durch die Darstellung der fürchter¬
lichste" Grciuclszencn die Tragik der Geschichte wahrhaft ergreifend zu verkörpern?
Es ist klar, mit unsrer deutschen Kunst geht es von Jahr zu Jahr schneller
bergab, ihr gänzlicher Verfall steht vor der Thür, denn was soll aus ihr werden,
wenn Genre, Porträt und Landschaft dominiren und die hohe Historie nicht
mehr gepflegt wird?

So etwa räsvnnircn diejenigen, sür welche "die unbedingte Herrlichkeit der
historischen Malerei, die an die Stelle der religiösen getreten ist, immer noch
unwandelbar feststeht" (Springer). Glücklicherweise ist die Entwicklung der
Kunst an derartige Dogmen nicht gebunden. Wäre dem so, gewiß, dann müßten
auch wir an den Verfall der Kunst glauben, da allerdings der der Historien¬
malerei anßer Zweifel erscheint. Denn wo finden wir in dieser Gattung gegen¬
wärtig Leistungen, welche nur in den wesentlichsten Stücken den Anforderungen, die
wir an ein Kunstwerk stellen müssen, genügen? Wir wären in der That um eine
Antwort verlegen, wenigstens wenn wir die jüngste Vergangenheit ins Auge fassen.


Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

Jnstizpalastes oder Rathauses, keines unsrer allgemein zugänglichen Fürsten¬
schlösser mehr der Zierde solcher historischen Schilderungen entbehren. Was
einst Delaroche, der glänzendste Vertreter der Geschichtsmalerci, den wir kennen,
als die Aufgabe seines Lebens hingestellt hat, heute scheint es Wahrheit geworden
zu sein. „Warum, sagte er, soll es dem Maler verwehrt sein, mit dem Ge¬
schichtschreiber zu wetteifern? Warum soll nicht auch der Maler mit seinen
Mitteln die Wahrheit der Geschichte in ihrer ganzen Würde und Poesie lehren
können? Ein Bild sagt oft mehr als zehn Bande, und ich bin fest überzeugt,
daß die Malerei ebensogut wie die Literatur berufen ist, auf die öffentliche
Meinung zu wirken." Das Maß unsrer geschichtliche« Kenntnisse muß gewaltig
zugenommen haben, unser Verständnis sür den Geist der Geschichte muß täglich
wachsen, und bald werdeu wir uns der Mühe überhoben sehen, die Werke der
Geschichtschreiber zu Rate zu ziehen: die Kunst übernimmt heute die Aufgabe
des Historikers, die Geschichte wird nicht mehr geschrieben, man malt sie.

Kein andrer Zweig künstlerischen Schaffens wird in unsern Tagen so von
oben begünstigt und durch öffentliche Mittel gefördert wie die Historienmalerei.
Dennoch kann einem aufmerksamen Beobachter die Thatsache nicht entgehen, daß
die Zahl der Historienbilder gering ist im Verhältnisse zu der ungewöhnlich ge¬
steigerten Produktion auf den übrigen Gebieten der Malerei. Ein Blick auf die
Kataloge der letzten Ausstellungen gestattet keinen Zweifel über dieses Zahlen¬
verhältnis. Nur noch wenige unsrer dentschen Künstler schwingen sich zu der
Höhe eines Geschichtsmalers auf, die Münchener von heute schon garnicht mehr.
Haben sie ihren Führer Piloty auf der letzten internationalen Ausstellung von
1883 nicht fast gänzlich im Stiche gelassen? Haben wir es nicht erleben müssen,
daß die Spanier sich auf dem höchsten Gebiete der modernen Kunst uns Deutschen
weit überlege» zeigte»? Welcher deutsche Künstler vermöchte mit ihnen zu wett¬
eifern und verstünde sich so wie sie darauf, durch die Darstellung der fürchter¬
lichste« Grciuclszencn die Tragik der Geschichte wahrhaft ergreifend zu verkörpern?
Es ist klar, mit unsrer deutschen Kunst geht es von Jahr zu Jahr schneller
bergab, ihr gänzlicher Verfall steht vor der Thür, denn was soll aus ihr werden,
wenn Genre, Porträt und Landschaft dominiren und die hohe Historie nicht
mehr gepflegt wird?

So etwa räsvnnircn diejenigen, sür welche „die unbedingte Herrlichkeit der
historischen Malerei, die an die Stelle der religiösen getreten ist, immer noch
unwandelbar feststeht" (Springer). Glücklicherweise ist die Entwicklung der
Kunst an derartige Dogmen nicht gebunden. Wäre dem so, gewiß, dann müßten
auch wir an den Verfall der Kunst glauben, da allerdings der der Historien¬
malerei anßer Zweifel erscheint. Denn wo finden wir in dieser Gattung gegen¬
wärtig Leistungen, welche nur in den wesentlichsten Stücken den Anforderungen, die
wir an ein Kunstwerk stellen müssen, genügen? Wir wären in der That um eine
Antwort verlegen, wenigstens wenn wir die jüngste Vergangenheit ins Auge fassen.


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[0312] Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst. Jnstizpalastes oder Rathauses, keines unsrer allgemein zugänglichen Fürsten¬ schlösser mehr der Zierde solcher historischen Schilderungen entbehren. Was einst Delaroche, der glänzendste Vertreter der Geschichtsmalerci, den wir kennen, als die Aufgabe seines Lebens hingestellt hat, heute scheint es Wahrheit geworden zu sein. „Warum, sagte er, soll es dem Maler verwehrt sein, mit dem Ge¬ schichtschreiber zu wetteifern? Warum soll nicht auch der Maler mit seinen Mitteln die Wahrheit der Geschichte in ihrer ganzen Würde und Poesie lehren können? Ein Bild sagt oft mehr als zehn Bande, und ich bin fest überzeugt, daß die Malerei ebensogut wie die Literatur berufen ist, auf die öffentliche Meinung zu wirken." Das Maß unsrer geschichtliche« Kenntnisse muß gewaltig zugenommen haben, unser Verständnis sür den Geist der Geschichte muß täglich wachsen, und bald werdeu wir uns der Mühe überhoben sehen, die Werke der Geschichtschreiber zu Rate zu ziehen: die Kunst übernimmt heute die Aufgabe des Historikers, die Geschichte wird nicht mehr geschrieben, man malt sie. Kein andrer Zweig künstlerischen Schaffens wird in unsern Tagen so von oben begünstigt und durch öffentliche Mittel gefördert wie die Historienmalerei. Dennoch kann einem aufmerksamen Beobachter die Thatsache nicht entgehen, daß die Zahl der Historienbilder gering ist im Verhältnisse zu der ungewöhnlich ge¬ steigerten Produktion auf den übrigen Gebieten der Malerei. Ein Blick auf die Kataloge der letzten Ausstellungen gestattet keinen Zweifel über dieses Zahlen¬ verhältnis. Nur noch wenige unsrer dentschen Künstler schwingen sich zu der Höhe eines Geschichtsmalers auf, die Münchener von heute schon garnicht mehr. Haben sie ihren Führer Piloty auf der letzten internationalen Ausstellung von 1883 nicht fast gänzlich im Stiche gelassen? Haben wir es nicht erleben müssen, daß die Spanier sich auf dem höchsten Gebiete der modernen Kunst uns Deutschen weit überlege» zeigte»? Welcher deutsche Künstler vermöchte mit ihnen zu wett¬ eifern und verstünde sich so wie sie darauf, durch die Darstellung der fürchter¬ lichste« Grciuclszencn die Tragik der Geschichte wahrhaft ergreifend zu verkörpern? Es ist klar, mit unsrer deutschen Kunst geht es von Jahr zu Jahr schneller bergab, ihr gänzlicher Verfall steht vor der Thür, denn was soll aus ihr werden, wenn Genre, Porträt und Landschaft dominiren und die hohe Historie nicht mehr gepflegt wird? So etwa räsvnnircn diejenigen, sür welche „die unbedingte Herrlichkeit der historischen Malerei, die an die Stelle der religiösen getreten ist, immer noch unwandelbar feststeht" (Springer). Glücklicherweise ist die Entwicklung der Kunst an derartige Dogmen nicht gebunden. Wäre dem so, gewiß, dann müßten auch wir an den Verfall der Kunst glauben, da allerdings der der Historien¬ malerei anßer Zweifel erscheint. Denn wo finden wir in dieser Gattung gegen¬ wärtig Leistungen, welche nur in den wesentlichsten Stücken den Anforderungen, die wir an ein Kunstwerk stellen müssen, genügen? Wir wären in der That um eine Antwort verlegen, wenigstens wenn wir die jüngste Vergangenheit ins Auge fassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/312>, abgerufen am 25.11.2024.