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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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beherrscht. Statt dessen ist er gestorben und hat damit seine eignen Weissagungen
zunichte gemacht und sich als Betrüger enthüllt. Was wird er antworten,
wenn jetzt Monkir und Nakir, die schwarzen Engel, an seinen Sarg treten, ihm
aufzusitzen gebieten und ihn über sein Leben und Thun verhören, wie das mit
jedem Menschen im Grabe geschieht? Wird er ihnen gegenüber bei seiner Be¬
hauptung, von Allah berufen worden zu sein, zu verbleiben wagen? Haben
gute Engel, statt dieser Inquisitoren, der scheidenden Seele begegnet und sie als
die eines wahren Propheten unverweilt uach dem Paradiese geleitet, oder wird
er in der Zwischenzeit bis zur Auferstehung wie der körperlose Geist eines
Märtyrers im Kröpfe eines grünen Vogels fortleben, der sich vom Laube der
Paradiesesbäume nährt? War er wirklich der Mahdi, der Prophet Gottes, so
hat er jetzt schon vom Wasser des Himmelsstromes getrunken, welcher den Durst
auf ewig stillt, und ruht in prächtigem Gewände in seinem Zelte, das aus einer
einzigen mondscheinfarbigen Perle besteht und unter dem alle Wonne tragenden
Jubabaume dicht an einem Bache aufgeschlagen ist, darin Milch, Honig und
Wein fließen. Eine Schnur schwarzäugiger Paradiesesmädchen, von Moschus
duftend, umgaukelt ihn. Wehe ihm aber, wenn die Muakkibat, die Aufsichts-
eugel, die jeden während seines Lebens begleiten, bei Allah ihr Verzeichnis ein¬
gereicht haben und ihm das sür alle Paradieseskandidaten unerläßliche Minimum
von Wahrheit und Gerechtigkeit, "halb so schwer als das Gewicht einer roten
Ameise," mangelt; denn in diesem Falle wird, wie das "lichtvolle Buch" sagt,
das Schicksal des Sohnes Abdallahs ein weniger seliges sein als das des ge¬
ringsten seiner Speerträger, die in der Schlacht für den Glauben ihr irdisches
Leben Hingaben.

Wir sind überzeugt, daß diese Fragen, die Fragen über den jenseitigen Zustand
des Propheten, die Gemüter im Sudan jetzt vorwiegend beschäftigen werden.
Aber auch die politische Seite des Todes Mohammed Achmeds wird in ihren
Betrachtungen eine wichtige Rolle spielen. Seine Anhänger müssen seinen
Plötzlichen Hingang wie einen schweren Schlag empfunden haben und tief ent¬
mutigt sein. Namentlich die Derwische, in denen vorzugsweise die Stärke seiner
Macht und der Nerv der ganzen Erhebung lag, müssen förmlich betäubt davon
sein. Es war das letzte, woran sie gedacht, was sie erwartet hätten. Was sind
sie ohne einen Mahdi? Was ist sein Neffe, den er zu seinem Nachfolger er¬
nannt hat? Ein andrer Mahdi soll aufgetaucht sein, aber er wird sich erst
durch Erfolge zu legitimiren haben, und die können nur durch einen Bürgerkrieg
zunächst mit Landsleuten angestrebt werden. Zersplitterung der von dem nun
gestorbnen Propheten zusammengefaßten Kräfte, Ungewißheit und Zweifel werden
an die Stelle der Begeisterung treten, welche die Bewegung bisher hob und
trieb und unwiderstehlich machte. Sie muß auf jeden Fall eine Weile Halt
machen. Die Aufständischen werden sich gegenseitig bekämpfen, zerfleischen und
schwächen. Bis die übriggeblieben Führer und die Derwische sich für einen


beherrscht. Statt dessen ist er gestorben und hat damit seine eignen Weissagungen
zunichte gemacht und sich als Betrüger enthüllt. Was wird er antworten,
wenn jetzt Monkir und Nakir, die schwarzen Engel, an seinen Sarg treten, ihm
aufzusitzen gebieten und ihn über sein Leben und Thun verhören, wie das mit
jedem Menschen im Grabe geschieht? Wird er ihnen gegenüber bei seiner Be¬
hauptung, von Allah berufen worden zu sein, zu verbleiben wagen? Haben
gute Engel, statt dieser Inquisitoren, der scheidenden Seele begegnet und sie als
die eines wahren Propheten unverweilt uach dem Paradiese geleitet, oder wird
er in der Zwischenzeit bis zur Auferstehung wie der körperlose Geist eines
Märtyrers im Kröpfe eines grünen Vogels fortleben, der sich vom Laube der
Paradiesesbäume nährt? War er wirklich der Mahdi, der Prophet Gottes, so
hat er jetzt schon vom Wasser des Himmelsstromes getrunken, welcher den Durst
auf ewig stillt, und ruht in prächtigem Gewände in seinem Zelte, das aus einer
einzigen mondscheinfarbigen Perle besteht und unter dem alle Wonne tragenden
Jubabaume dicht an einem Bache aufgeschlagen ist, darin Milch, Honig und
Wein fließen. Eine Schnur schwarzäugiger Paradiesesmädchen, von Moschus
duftend, umgaukelt ihn. Wehe ihm aber, wenn die Muakkibat, die Aufsichts-
eugel, die jeden während seines Lebens begleiten, bei Allah ihr Verzeichnis ein¬
gereicht haben und ihm das sür alle Paradieseskandidaten unerläßliche Minimum
von Wahrheit und Gerechtigkeit, „halb so schwer als das Gewicht einer roten
Ameise," mangelt; denn in diesem Falle wird, wie das „lichtvolle Buch" sagt,
das Schicksal des Sohnes Abdallahs ein weniger seliges sein als das des ge¬
ringsten seiner Speerträger, die in der Schlacht für den Glauben ihr irdisches
Leben Hingaben.

Wir sind überzeugt, daß diese Fragen, die Fragen über den jenseitigen Zustand
des Propheten, die Gemüter im Sudan jetzt vorwiegend beschäftigen werden.
Aber auch die politische Seite des Todes Mohammed Achmeds wird in ihren
Betrachtungen eine wichtige Rolle spielen. Seine Anhänger müssen seinen
Plötzlichen Hingang wie einen schweren Schlag empfunden haben und tief ent¬
mutigt sein. Namentlich die Derwische, in denen vorzugsweise die Stärke seiner
Macht und der Nerv der ganzen Erhebung lag, müssen förmlich betäubt davon
sein. Es war das letzte, woran sie gedacht, was sie erwartet hätten. Was sind
sie ohne einen Mahdi? Was ist sein Neffe, den er zu seinem Nachfolger er¬
nannt hat? Ein andrer Mahdi soll aufgetaucht sein, aber er wird sich erst
durch Erfolge zu legitimiren haben, und die können nur durch einen Bürgerkrieg
zunächst mit Landsleuten angestrebt werden. Zersplitterung der von dem nun
gestorbnen Propheten zusammengefaßten Kräfte, Ungewißheit und Zweifel werden
an die Stelle der Begeisterung treten, welche die Bewegung bisher hob und
trieb und unwiderstehlich machte. Sie muß auf jeden Fall eine Weile Halt
machen. Die Aufständischen werden sich gegenseitig bekämpfen, zerfleischen und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/299>, abgerufen am 25.11.2024.