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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Literatur.

Vorgänge genau sich an die Geschichte halten und der Dichter mit dem ihm
eigensten Rechte die Handlungen, welche die Chroniken unvermittelt mitteilen, ans
der Einheit des Wesens entspringen läßt, dem sie zugeschrieben werden. Wenn
man je ein Recht hatte, den Roman als den Erben des Epos zu bezeichnen, so
hat der Roman "Fürstenguust" den gerechtfertigtsten Anspruch ans diese Be¬
zeichnung, denn alle Politik löst sich hier in die Poesie des Reinmcnschlichcn auf.
Selbst die Geguer des historischen Romans werden ihn loben müssen, da Wallis
eine zum größten Teil erfundene Gestalt in den Mittelpunkt seiner Dichtung stellte,
von deren tragischen Schicksal aus die Handlung ihr einheitliches Licht erhält.
Diesen Mittelpunkt giebt Göran Person ab, auch ein eiserner Kanzler, der Erich
unzertrennlich bis zum verhängnisvollen Morde der Adlichen begleitet und dann
selbst der Rache der Ueberlebenden von ihm zum Opfer gebracht wird. Die Hi¬
storiker wissen von Person wenig zu erzählen, und das wenige lautet nicht eben
freundlich: als ein selbstsüchtiger Günstling wird er hingestellt. Jetzt sollen neuere
Forscher Rettungen an ihm versuchen. Wallis macht aus diesem Person einen
tragischen Idealisten mit eiserner Willensstärke. Ein faustischer Zug der Unbe-
friedigung an rein gelehrter Grübelei läßt ihn von Melanchthon, der ihn als seinen
genialsten Schüler schätzt, an den Hof Gustav Wasas ziehen, um selbst an dem
Gewebe der Geschichte mitzuwirken, das er bis dahin bloß aus Büchern kennen
gelernt. Er will handeln, er will Ehren gewinnen, er will sein schwedisches Volk
beglücken, er will unsterblich werden. Nur daß er mit seinen Politischen Idealen
ein oder zwei Jahrhunderte zu früh kommt, daß er ein starrer Doktrinär ist, uur
daß er vor allem zu viel auf die Treue König Erichs gebaut hat, an den er sich
in der Jugend angeschlossen und ihm alles, Glück und Gewissen, geopfert hat, um
schmählich preisgegeben zu werden.

Mit ungewöhnlicher Kraft ist auch die Gestalt König Erichs selbst geschildert:
ihn, den ein Historiker wie G. Droysen (in seinem "Gustaf Adolf" S. 15) als
den "großen Erben des ersten Wafel," als den "Mann der großen Politik" be¬
zeichnet, charakterisirt Wallis als einen sittlichen Schwächling, der in banger Furcht
sür seine eigne Existenz, eine Furcht, die eine lebhafte Phantasie zu ewig wachem
Mißtrauen oft furchtbar steigert, zu den schrecklichsten Thaten verleitet wird. Ist
Person der versteinerte Charakter, so ist Erich die Charakterlosigkeit selbst. Und
mit gleicher Meisterschaft ist sein Vater Gustav Wasa in seinem patriarchalischen
Regimente (im ersten Bande) geschildert. Die tragische Gestalt des Nils Sture, dessen
jugendlich frische Lebensart anfänglich früh entzückt, dessen Sieg in einem Tnrnier-
spicl aber den Engherzigen wieder so neidisch, mißtrauisch, gehässig stimmt, daß
er nicht ruht, bis er ihn tötet, dieser Nils Sture atmet die reinste Poesie und
wird darin nur erreicht von der immer nur flüchtig auftauchenden duftigen Gestalt
der Karln Maus, jeuer Sergeautcntochter, die Erich schließlich heiratete.

Doch genug mit diesen Andeutungen. Es ist ein Roman reich an Poesie
und kräftiger Charakteristik. Das erotische Element spielt interessauterwcise eine
sehr geringe Rolle, was dem Ganzen einen schönen männlichen, wahrhaft epischen
Zug verleiht. Nur einen Fehler muß man hervorheben, der leider die Lektüre
etwas erschwert: das ist die breite, reflektirende Sprache. So liebenswürdig dieser
sinnige Erzähler sonst auch erscheint, so frei er vou jedem Philosophen: ist, so ob¬
jektiv er allen seinen Gestalten gegenübersteht und überall gleiches Recht und Licht
verteilt -- so fatal ist sein ewiges Reflektiren im Erzählen. Die Uebersetzung
hätte sehr leicht den Roman um ein Dritten kürzen und ihm damit gewiß zu einem
schnellern Erfolge verhelfen können.


Literatur.

Vorgänge genau sich an die Geschichte halten und der Dichter mit dem ihm
eigensten Rechte die Handlungen, welche die Chroniken unvermittelt mitteilen, ans
der Einheit des Wesens entspringen läßt, dem sie zugeschrieben werden. Wenn
man je ein Recht hatte, den Roman als den Erben des Epos zu bezeichnen, so
hat der Roman „Fürstenguust" den gerechtfertigtsten Anspruch ans diese Be¬
zeichnung, denn alle Politik löst sich hier in die Poesie des Reinmcnschlichcn auf.
Selbst die Geguer des historischen Romans werden ihn loben müssen, da Wallis
eine zum größten Teil erfundene Gestalt in den Mittelpunkt seiner Dichtung stellte,
von deren tragischen Schicksal aus die Handlung ihr einheitliches Licht erhält.
Diesen Mittelpunkt giebt Göran Person ab, auch ein eiserner Kanzler, der Erich
unzertrennlich bis zum verhängnisvollen Morde der Adlichen begleitet und dann
selbst der Rache der Ueberlebenden von ihm zum Opfer gebracht wird. Die Hi¬
storiker wissen von Person wenig zu erzählen, und das wenige lautet nicht eben
freundlich: als ein selbstsüchtiger Günstling wird er hingestellt. Jetzt sollen neuere
Forscher Rettungen an ihm versuchen. Wallis macht aus diesem Person einen
tragischen Idealisten mit eiserner Willensstärke. Ein faustischer Zug der Unbe-
friedigung an rein gelehrter Grübelei läßt ihn von Melanchthon, der ihn als seinen
genialsten Schüler schätzt, an den Hof Gustav Wasas ziehen, um selbst an dem
Gewebe der Geschichte mitzuwirken, das er bis dahin bloß aus Büchern kennen
gelernt. Er will handeln, er will Ehren gewinnen, er will sein schwedisches Volk
beglücken, er will unsterblich werden. Nur daß er mit seinen Politischen Idealen
ein oder zwei Jahrhunderte zu früh kommt, daß er ein starrer Doktrinär ist, uur
daß er vor allem zu viel auf die Treue König Erichs gebaut hat, an den er sich
in der Jugend angeschlossen und ihm alles, Glück und Gewissen, geopfert hat, um
schmählich preisgegeben zu werden.

Mit ungewöhnlicher Kraft ist auch die Gestalt König Erichs selbst geschildert:
ihn, den ein Historiker wie G. Droysen (in seinem „Gustaf Adolf" S. 15) als
den „großen Erben des ersten Wafel," als den „Mann der großen Politik" be¬
zeichnet, charakterisirt Wallis als einen sittlichen Schwächling, der in banger Furcht
sür seine eigne Existenz, eine Furcht, die eine lebhafte Phantasie zu ewig wachem
Mißtrauen oft furchtbar steigert, zu den schrecklichsten Thaten verleitet wird. Ist
Person der versteinerte Charakter, so ist Erich die Charakterlosigkeit selbst. Und
mit gleicher Meisterschaft ist sein Vater Gustav Wasa in seinem patriarchalischen
Regimente (im ersten Bande) geschildert. Die tragische Gestalt des Nils Sture, dessen
jugendlich frische Lebensart anfänglich früh entzückt, dessen Sieg in einem Tnrnier-
spicl aber den Engherzigen wieder so neidisch, mißtrauisch, gehässig stimmt, daß
er nicht ruht, bis er ihn tötet, dieser Nils Sture atmet die reinste Poesie und
wird darin nur erreicht von der immer nur flüchtig auftauchenden duftigen Gestalt
der Karln Maus, jeuer Sergeautcntochter, die Erich schließlich heiratete.

Doch genug mit diesen Andeutungen. Es ist ein Roman reich an Poesie
und kräftiger Charakteristik. Das erotische Element spielt interessauterwcise eine
sehr geringe Rolle, was dem Ganzen einen schönen männlichen, wahrhaft epischen
Zug verleiht. Nur einen Fehler muß man hervorheben, der leider die Lektüre
etwas erschwert: das ist die breite, reflektirende Sprache. So liebenswürdig dieser
sinnige Erzähler sonst auch erscheint, so frei er vou jedem Philosophen: ist, so ob¬
jektiv er allen seinen Gestalten gegenübersteht und überall gleiches Recht und Licht
verteilt — so fatal ist sein ewiges Reflektiren im Erzählen. Die Uebersetzung
hätte sehr leicht den Roman um ein Dritten kürzen und ihm damit gewiß zu einem
schnellern Erfolge verhelfen können.


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[0295] Literatur. Vorgänge genau sich an die Geschichte halten und der Dichter mit dem ihm eigensten Rechte die Handlungen, welche die Chroniken unvermittelt mitteilen, ans der Einheit des Wesens entspringen läßt, dem sie zugeschrieben werden. Wenn man je ein Recht hatte, den Roman als den Erben des Epos zu bezeichnen, so hat der Roman „Fürstenguust" den gerechtfertigtsten Anspruch ans diese Be¬ zeichnung, denn alle Politik löst sich hier in die Poesie des Reinmcnschlichcn auf. Selbst die Geguer des historischen Romans werden ihn loben müssen, da Wallis eine zum größten Teil erfundene Gestalt in den Mittelpunkt seiner Dichtung stellte, von deren tragischen Schicksal aus die Handlung ihr einheitliches Licht erhält. Diesen Mittelpunkt giebt Göran Person ab, auch ein eiserner Kanzler, der Erich unzertrennlich bis zum verhängnisvollen Morde der Adlichen begleitet und dann selbst der Rache der Ueberlebenden von ihm zum Opfer gebracht wird. Die Hi¬ storiker wissen von Person wenig zu erzählen, und das wenige lautet nicht eben freundlich: als ein selbstsüchtiger Günstling wird er hingestellt. Jetzt sollen neuere Forscher Rettungen an ihm versuchen. Wallis macht aus diesem Person einen tragischen Idealisten mit eiserner Willensstärke. Ein faustischer Zug der Unbe- friedigung an rein gelehrter Grübelei läßt ihn von Melanchthon, der ihn als seinen genialsten Schüler schätzt, an den Hof Gustav Wasas ziehen, um selbst an dem Gewebe der Geschichte mitzuwirken, das er bis dahin bloß aus Büchern kennen gelernt. Er will handeln, er will Ehren gewinnen, er will sein schwedisches Volk beglücken, er will unsterblich werden. Nur daß er mit seinen Politischen Idealen ein oder zwei Jahrhunderte zu früh kommt, daß er ein starrer Doktrinär ist, uur daß er vor allem zu viel auf die Treue König Erichs gebaut hat, an den er sich in der Jugend angeschlossen und ihm alles, Glück und Gewissen, geopfert hat, um schmählich preisgegeben zu werden. Mit ungewöhnlicher Kraft ist auch die Gestalt König Erichs selbst geschildert: ihn, den ein Historiker wie G. Droysen (in seinem „Gustaf Adolf" S. 15) als den „großen Erben des ersten Wafel," als den „Mann der großen Politik" be¬ zeichnet, charakterisirt Wallis als einen sittlichen Schwächling, der in banger Furcht sür seine eigne Existenz, eine Furcht, die eine lebhafte Phantasie zu ewig wachem Mißtrauen oft furchtbar steigert, zu den schrecklichsten Thaten verleitet wird. Ist Person der versteinerte Charakter, so ist Erich die Charakterlosigkeit selbst. Und mit gleicher Meisterschaft ist sein Vater Gustav Wasa in seinem patriarchalischen Regimente (im ersten Bande) geschildert. Die tragische Gestalt des Nils Sture, dessen jugendlich frische Lebensart anfänglich früh entzückt, dessen Sieg in einem Tnrnier- spicl aber den Engherzigen wieder so neidisch, mißtrauisch, gehässig stimmt, daß er nicht ruht, bis er ihn tötet, dieser Nils Sture atmet die reinste Poesie und wird darin nur erreicht von der immer nur flüchtig auftauchenden duftigen Gestalt der Karln Maus, jeuer Sergeautcntochter, die Erich schließlich heiratete. Doch genug mit diesen Andeutungen. Es ist ein Roman reich an Poesie und kräftiger Charakteristik. Das erotische Element spielt interessauterwcise eine sehr geringe Rolle, was dem Ganzen einen schönen männlichen, wahrhaft epischen Zug verleiht. Nur einen Fehler muß man hervorheben, der leider die Lektüre etwas erschwert: das ist die breite, reflektirende Sprache. So liebenswürdig dieser sinnige Erzähler sonst auch erscheint, so frei er vou jedem Philosophen: ist, so ob¬ jektiv er allen seinen Gestalten gegenübersteht und überall gleiches Recht und Licht verteilt — so fatal ist sein ewiges Reflektiren im Erzählen. Die Uebersetzung hätte sehr leicht den Roman um ein Dritten kürzen und ihm damit gewiß zu einem schnellern Erfolge verhelfen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/295>, abgerufen am 24.11.2024.