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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine j?erke.

sie bis Vor wenigen Augenblicke" die Bevölkerung Mcmtuas in einer Weise
habe laut werden lassen, die an die Zeit der höchsten Beliebtheit Vineenzvs er¬
innerte.

Und jetzt, so lenkte der Pater ans den eigentlichen Zweck seines Kommens
über, jetzt muß ich, da meine Klosterpflichten mich abrufen und ich doch nicht
schweigen darf, jetzt muß ich noch eine Wunde berühren, die sich eben erst ge¬
schlossen hatte, muß ich noch einen Namen nennen, der zwischen Vater und
Tochter eine tiefe Kluft aufriß, eine Kluft, welche sich kaum erst zu über¬
brücken beginnt, muß ich eine Botschaft bringen, von der ich nicht weiß, Mar-
cello, ob sie dich auf der ganzen Höhe eines Christen findet, nämlich im Sinne
unsers Herrn und Meisters, als er sprach: Du sollst deinen Nächsten lieben als
dich selbst, noch ob sie dich, Florida, ans der Höhe einer wirklichen Christin
findet, nämlich abermals im Sinne unsers Herrn und Erlösers, als er sprach:
Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich
-- in deinem Falle, Florida, das schwere Krenz freiwilliger Entsagung -- er
mußte einige Augenblicke, um Atem zu schöpfen, innehalten; dann setzte er
langsam hinzu: Giuseppe Gonzaga ist nicht tot.

Marcello senkte das silberlockige Haupt, und Florida warf sich mit einem
Freudenschrei an seine Brust.

Aber er bog sich zurück.

Via! Weg! stieß er dumpf heraus, und, von ihrem Vater abgewiesen,
wandte sich Florida nach dem Pater Bigilio um, indem sie seine alterswclkeu
Hände mit Ungestüm an ihre Lippen zog.

Redet! flehte sie, die Freude erdrückt mich! Er lebt! Er lebt! Giuseppe
Gonzaga lebt! Wie kann ich die Wonne ertragen! Ich werde ihn noch einmal
wiedersehen! Gleichviel wie, gleichviel wo! Führt mich zu ihm, guter, treuer
Pater Bigilio. So viele Zeit müßt Ihr für Eure Florida noch übrig haben!

Und sie sah sich mit inbrünstig gefalteten Händen hastig im Zimmer um,
als genüge, daß ihr Schlcicrtuch zur Hand sei, um daß sie treppab und an der
Hand des Paters zu dem Totgeglaubten eile.

Marcello hatte sich mühsam erhoben. Wie in jener Nacht, da er sich
plötzlich, in seiner ganzen Große aufgerichtet, dem Räuber seiner Tochter mit
dem Degen in der Hand gegenüberstellte, stand er wieder da.

Florida bebte zusammen. So viele Tage hatte sie sich selbst gehört. Erst
beim Gewahrwerden seiner gebieterischen Haltung kam ihr's zum Bewußtsein,
wessen Wille hier wieder als Gesetz gelte.

Mein Vater, stammelte sie, gebt mir die Erlaubnis, dem guten Pater zu
folgen. Draußen läutet der schwarze Tod. Die Axt, die Euer teures Haupt
treffe" sollte, ist schon geschärft gewesen. Mich hätte gestern der Mincio als
Bente davongetragen, wäre nicht, bevor ich den frevelhafte" Entschluß aus¬
führen konnte, meine Kraft zusammengebrochen. Schreckliches hatte der Himmel


Um eine j?erke.

sie bis Vor wenigen Augenblicke» die Bevölkerung Mcmtuas in einer Weise
habe laut werden lassen, die an die Zeit der höchsten Beliebtheit Vineenzvs er¬
innerte.

Und jetzt, so lenkte der Pater ans den eigentlichen Zweck seines Kommens
über, jetzt muß ich, da meine Klosterpflichten mich abrufen und ich doch nicht
schweigen darf, jetzt muß ich noch eine Wunde berühren, die sich eben erst ge¬
schlossen hatte, muß ich noch einen Namen nennen, der zwischen Vater und
Tochter eine tiefe Kluft aufriß, eine Kluft, welche sich kaum erst zu über¬
brücken beginnt, muß ich eine Botschaft bringen, von der ich nicht weiß, Mar-
cello, ob sie dich auf der ganzen Höhe eines Christen findet, nämlich im Sinne
unsers Herrn und Meisters, als er sprach: Du sollst deinen Nächsten lieben als
dich selbst, noch ob sie dich, Florida, ans der Höhe einer wirklichen Christin
findet, nämlich abermals im Sinne unsers Herrn und Erlösers, als er sprach:
Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich
— in deinem Falle, Florida, das schwere Krenz freiwilliger Entsagung — er
mußte einige Augenblicke, um Atem zu schöpfen, innehalten; dann setzte er
langsam hinzu: Giuseppe Gonzaga ist nicht tot.

Marcello senkte das silberlockige Haupt, und Florida warf sich mit einem
Freudenschrei an seine Brust.

Aber er bog sich zurück.

Via! Weg! stieß er dumpf heraus, und, von ihrem Vater abgewiesen,
wandte sich Florida nach dem Pater Bigilio um, indem sie seine alterswclkeu
Hände mit Ungestüm an ihre Lippen zog.

Redet! flehte sie, die Freude erdrückt mich! Er lebt! Er lebt! Giuseppe
Gonzaga lebt! Wie kann ich die Wonne ertragen! Ich werde ihn noch einmal
wiedersehen! Gleichviel wie, gleichviel wo! Führt mich zu ihm, guter, treuer
Pater Bigilio. So viele Zeit müßt Ihr für Eure Florida noch übrig haben!

Und sie sah sich mit inbrünstig gefalteten Händen hastig im Zimmer um,
als genüge, daß ihr Schlcicrtuch zur Hand sei, um daß sie treppab und an der
Hand des Paters zu dem Totgeglaubten eile.

Marcello hatte sich mühsam erhoben. Wie in jener Nacht, da er sich
plötzlich, in seiner ganzen Große aufgerichtet, dem Räuber seiner Tochter mit
dem Degen in der Hand gegenüberstellte, stand er wieder da.

Florida bebte zusammen. So viele Tage hatte sie sich selbst gehört. Erst
beim Gewahrwerden seiner gebieterischen Haltung kam ihr's zum Bewußtsein,
wessen Wille hier wieder als Gesetz gelte.

Mein Vater, stammelte sie, gebt mir die Erlaubnis, dem guten Pater zu
folgen. Draußen läutet der schwarze Tod. Die Axt, die Euer teures Haupt
treffe» sollte, ist schon geschärft gewesen. Mich hätte gestern der Mincio als
Bente davongetragen, wäre nicht, bevor ich den frevelhafte» Entschluß aus¬
führen konnte, meine Kraft zusammengebrochen. Schreckliches hatte der Himmel


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[0286] Um eine j?erke. sie bis Vor wenigen Augenblicke» die Bevölkerung Mcmtuas in einer Weise habe laut werden lassen, die an die Zeit der höchsten Beliebtheit Vineenzvs er¬ innerte. Und jetzt, so lenkte der Pater ans den eigentlichen Zweck seines Kommens über, jetzt muß ich, da meine Klosterpflichten mich abrufen und ich doch nicht schweigen darf, jetzt muß ich noch eine Wunde berühren, die sich eben erst ge¬ schlossen hatte, muß ich noch einen Namen nennen, der zwischen Vater und Tochter eine tiefe Kluft aufriß, eine Kluft, welche sich kaum erst zu über¬ brücken beginnt, muß ich eine Botschaft bringen, von der ich nicht weiß, Mar- cello, ob sie dich auf der ganzen Höhe eines Christen findet, nämlich im Sinne unsers Herrn und Meisters, als er sprach: Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst, noch ob sie dich, Florida, ans der Höhe einer wirklichen Christin findet, nämlich abermals im Sinne unsers Herrn und Erlösers, als er sprach: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich — in deinem Falle, Florida, das schwere Krenz freiwilliger Entsagung — er mußte einige Augenblicke, um Atem zu schöpfen, innehalten; dann setzte er langsam hinzu: Giuseppe Gonzaga ist nicht tot. Marcello senkte das silberlockige Haupt, und Florida warf sich mit einem Freudenschrei an seine Brust. Aber er bog sich zurück. Via! Weg! stieß er dumpf heraus, und, von ihrem Vater abgewiesen, wandte sich Florida nach dem Pater Bigilio um, indem sie seine alterswclkeu Hände mit Ungestüm an ihre Lippen zog. Redet! flehte sie, die Freude erdrückt mich! Er lebt! Er lebt! Giuseppe Gonzaga lebt! Wie kann ich die Wonne ertragen! Ich werde ihn noch einmal wiedersehen! Gleichviel wie, gleichviel wo! Führt mich zu ihm, guter, treuer Pater Bigilio. So viele Zeit müßt Ihr für Eure Florida noch übrig haben! Und sie sah sich mit inbrünstig gefalteten Händen hastig im Zimmer um, als genüge, daß ihr Schlcicrtuch zur Hand sei, um daß sie treppab und an der Hand des Paters zu dem Totgeglaubten eile. Marcello hatte sich mühsam erhoben. Wie in jener Nacht, da er sich plötzlich, in seiner ganzen Große aufgerichtet, dem Räuber seiner Tochter mit dem Degen in der Hand gegenüberstellte, stand er wieder da. Florida bebte zusammen. So viele Tage hatte sie sich selbst gehört. Erst beim Gewahrwerden seiner gebieterischen Haltung kam ihr's zum Bewußtsein, wessen Wille hier wieder als Gesetz gelte. Mein Vater, stammelte sie, gebt mir die Erlaubnis, dem guten Pater zu folgen. Draußen läutet der schwarze Tod. Die Axt, die Euer teures Haupt treffe» sollte, ist schon geschärft gewesen. Mich hätte gestern der Mincio als Bente davongetragen, wäre nicht, bevor ich den frevelhafte» Entschluß aus¬ führen konnte, meine Kraft zusammengebrochen. Schreckliches hatte der Himmel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/286>, abgerufen am 23.11.2024.