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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Ein politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

und sentimentalische Dichtung schrieb, sehr hart über Klopstockschc Poesie; für
das volkstümliche Element in der Lyrik fehlte ihm Verständnis oder doch
Sympathie, er würde ganz gewiß nicht in Goethes freudige Bewunderung für
des Knaben Wu ndcrhorn mit eingestimmt haben. Wie hätte er nun für Schubarts
Poesien lobende Worte finden sollen? Das beste, was Schubart als Dichter
geleistet hat und was auf uns gekommen ist -- denn sehr vieles, z. V. seine
sämtlichen dramatischen Arbeiten, sind ja verloren gegangen --, klingt an das
Volkslied an; nur in der "Fürstengruft," die er auf dem Hohenasperg schrieb,
als Herzog Karl Engen wieder einmal wortbrüchig ihm die versprochue Frei¬
lassung verweigerte, und in dem Gedichte "Frischliu" hat er auch als Klop-
stockiancr die Vorzüge seiner volkstümlichen Dichtungsweise beibehalten. Der
"Hymnus" und der "Obelisk" auf Friedrich den Großen sind, so wichtig sie
für Schubart selbst waren und uus als historische Dokumente erscheinen müssen,
doch vom rein ästhetischen Standpunkte aus betrachtet wenig lobenswert, ja
völlig mißglückt zu nennen.

Der Lyriker Schubart verdient mehr Beachtung als er bisher gefunden
hat, schon aus dem Grunde, weil wir an ihm eine Erscheinung gewahren, die
uns an die Zeiten der mittelalterlichen Dichtung gemahnt. Der lyrische Wort¬
dichter ist zugleich Tondichter. Wie es bei den Meister- und Minnesängern
und noch später im Volksliede Regel war, so entstehen auch bei Schubart sehr
oft Wort und Weise zugleich. Das war z. B. bei seinem berühmtesten Gedichte,
dem "Kaplicdc" (Ans auf, ihr Brüder, und seid stark), der Fall. Wie Text und
Melodie hier gleichzeitig entstand, so ist anch dem ersten Drucke (Stuttgart 1787)
die Musik gleich beigegeben. Aber auch sonst kam der Musiker Schubart dein
Dichter Schubart zu Hilfe. Jmprovisator wie er durchweg war -- die Dichtungen,
um denen er lange arbeitete und feilte, sind die am wenigsten gelungner --, hat
er am Klavier sitzend zugleich Text und Melodie erfunden. Natürlich mußten
seine Gedichte dadurch eiuen bedeutenden Vorzug erhalten. Goethe äußerte sich
Zelter gegenüber (10. Januar 1824 und 21. Dezember 1809): "Ich setze voraus,
daß dem Dichter eine Melodie vorschwebt" und "Jedes Lied soll erst durch Kom¬
position vollständig werden."

Des Dichters Sohn und Biograph, Ludwig Schubart, teilte die Ansicht
seines Vaters, daß dieser zum Epiker geboren gewesen sei; er bedauert, daß die
beiden projcktirten Epen "Satans Wiederkehr" und "Der Verlorne Sohn" nicht
zur Ausführung gelaugt seien. Uns zeigt schon die an Stelle eines ebenfalls
geplanten Epos getretene lyrische Rhapsodie "Der ewige Jude," daß Schubart
"och viel weniger als Klopstock episches Talent besessen hat. Ein paar novellistische
Erzählungen, deren eine in der Folge einem Eleven der hohen Karlsschule den
Stoff zu seiner Tragödie "Die Räuber" liefern sollte, sind Schubart erträglich
geraten; mit dem Versuche eines Romans quälte er sich zu verschiednen Zeiten
vergeblich ub. Wir dürfen freilich bei einer Betrachtung Schubarts nie ver-


Ein politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

und sentimentalische Dichtung schrieb, sehr hart über Klopstockschc Poesie; für
das volkstümliche Element in der Lyrik fehlte ihm Verständnis oder doch
Sympathie, er würde ganz gewiß nicht in Goethes freudige Bewunderung für
des Knaben Wu ndcrhorn mit eingestimmt haben. Wie hätte er nun für Schubarts
Poesien lobende Worte finden sollen? Das beste, was Schubart als Dichter
geleistet hat und was auf uns gekommen ist — denn sehr vieles, z. V. seine
sämtlichen dramatischen Arbeiten, sind ja verloren gegangen —, klingt an das
Volkslied an; nur in der „Fürstengruft," die er auf dem Hohenasperg schrieb,
als Herzog Karl Engen wieder einmal wortbrüchig ihm die versprochue Frei¬
lassung verweigerte, und in dem Gedichte „Frischliu" hat er auch als Klop-
stockiancr die Vorzüge seiner volkstümlichen Dichtungsweise beibehalten. Der
„Hymnus" und der „Obelisk" auf Friedrich den Großen sind, so wichtig sie
für Schubart selbst waren und uus als historische Dokumente erscheinen müssen,
doch vom rein ästhetischen Standpunkte aus betrachtet wenig lobenswert, ja
völlig mißglückt zu nennen.

Der Lyriker Schubart verdient mehr Beachtung als er bisher gefunden
hat, schon aus dem Grunde, weil wir an ihm eine Erscheinung gewahren, die
uns an die Zeiten der mittelalterlichen Dichtung gemahnt. Der lyrische Wort¬
dichter ist zugleich Tondichter. Wie es bei den Meister- und Minnesängern
und noch später im Volksliede Regel war, so entstehen auch bei Schubart sehr
oft Wort und Weise zugleich. Das war z. B. bei seinem berühmtesten Gedichte,
dem „Kaplicdc" (Ans auf, ihr Brüder, und seid stark), der Fall. Wie Text und
Melodie hier gleichzeitig entstand, so ist anch dem ersten Drucke (Stuttgart 1787)
die Musik gleich beigegeben. Aber auch sonst kam der Musiker Schubart dein
Dichter Schubart zu Hilfe. Jmprovisator wie er durchweg war — die Dichtungen,
um denen er lange arbeitete und feilte, sind die am wenigsten gelungner —, hat
er am Klavier sitzend zugleich Text und Melodie erfunden. Natürlich mußten
seine Gedichte dadurch eiuen bedeutenden Vorzug erhalten. Goethe äußerte sich
Zelter gegenüber (10. Januar 1824 und 21. Dezember 1809): „Ich setze voraus,
daß dem Dichter eine Melodie vorschwebt" und „Jedes Lied soll erst durch Kom¬
position vollständig werden."

Des Dichters Sohn und Biograph, Ludwig Schubart, teilte die Ansicht
seines Vaters, daß dieser zum Epiker geboren gewesen sei; er bedauert, daß die
beiden projcktirten Epen „Satans Wiederkehr" und „Der Verlorne Sohn" nicht
zur Ausführung gelaugt seien. Uns zeigt schon die an Stelle eines ebenfalls
geplanten Epos getretene lyrische Rhapsodie „Der ewige Jude," daß Schubart
»och viel weniger als Klopstock episches Talent besessen hat. Ein paar novellistische
Erzählungen, deren eine in der Folge einem Eleven der hohen Karlsschule den
Stoff zu seiner Tragödie „Die Räuber" liefern sollte, sind Schubart erträglich
geraten; mit dem Versuche eines Romans quälte er sich zu verschiednen Zeiten
vergeblich ub. Wir dürfen freilich bei einer Betrachtung Schubarts nie ver-


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[0272] Ein politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts. und sentimentalische Dichtung schrieb, sehr hart über Klopstockschc Poesie; für das volkstümliche Element in der Lyrik fehlte ihm Verständnis oder doch Sympathie, er würde ganz gewiß nicht in Goethes freudige Bewunderung für des Knaben Wu ndcrhorn mit eingestimmt haben. Wie hätte er nun für Schubarts Poesien lobende Worte finden sollen? Das beste, was Schubart als Dichter geleistet hat und was auf uns gekommen ist — denn sehr vieles, z. V. seine sämtlichen dramatischen Arbeiten, sind ja verloren gegangen —, klingt an das Volkslied an; nur in der „Fürstengruft," die er auf dem Hohenasperg schrieb, als Herzog Karl Engen wieder einmal wortbrüchig ihm die versprochue Frei¬ lassung verweigerte, und in dem Gedichte „Frischliu" hat er auch als Klop- stockiancr die Vorzüge seiner volkstümlichen Dichtungsweise beibehalten. Der „Hymnus" und der „Obelisk" auf Friedrich den Großen sind, so wichtig sie für Schubart selbst waren und uus als historische Dokumente erscheinen müssen, doch vom rein ästhetischen Standpunkte aus betrachtet wenig lobenswert, ja völlig mißglückt zu nennen. Der Lyriker Schubart verdient mehr Beachtung als er bisher gefunden hat, schon aus dem Grunde, weil wir an ihm eine Erscheinung gewahren, die uns an die Zeiten der mittelalterlichen Dichtung gemahnt. Der lyrische Wort¬ dichter ist zugleich Tondichter. Wie es bei den Meister- und Minnesängern und noch später im Volksliede Regel war, so entstehen auch bei Schubart sehr oft Wort und Weise zugleich. Das war z. B. bei seinem berühmtesten Gedichte, dem „Kaplicdc" (Ans auf, ihr Brüder, und seid stark), der Fall. Wie Text und Melodie hier gleichzeitig entstand, so ist anch dem ersten Drucke (Stuttgart 1787) die Musik gleich beigegeben. Aber auch sonst kam der Musiker Schubart dein Dichter Schubart zu Hilfe. Jmprovisator wie er durchweg war — die Dichtungen, um denen er lange arbeitete und feilte, sind die am wenigsten gelungner —, hat er am Klavier sitzend zugleich Text und Melodie erfunden. Natürlich mußten seine Gedichte dadurch eiuen bedeutenden Vorzug erhalten. Goethe äußerte sich Zelter gegenüber (10. Januar 1824 und 21. Dezember 1809): „Ich setze voraus, daß dem Dichter eine Melodie vorschwebt" und „Jedes Lied soll erst durch Kom¬ position vollständig werden." Des Dichters Sohn und Biograph, Ludwig Schubart, teilte die Ansicht seines Vaters, daß dieser zum Epiker geboren gewesen sei; er bedauert, daß die beiden projcktirten Epen „Satans Wiederkehr" und „Der Verlorne Sohn" nicht zur Ausführung gelaugt seien. Uns zeigt schon die an Stelle eines ebenfalls geplanten Epos getretene lyrische Rhapsodie „Der ewige Jude," daß Schubart »och viel weniger als Klopstock episches Talent besessen hat. Ein paar novellistische Erzählungen, deren eine in der Folge einem Eleven der hohen Karlsschule den Stoff zu seiner Tragödie „Die Räuber" liefern sollte, sind Schubart erträglich geraten; mit dem Versuche eines Romans quälte er sich zu verschiednen Zeiten vergeblich ub. Wir dürfen freilich bei einer Betrachtung Schubarts nie ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/272>, abgerufen am 25.11.2024.