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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Lin politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

Wirken können? Und wie mußte sich unter diesen Verhältnissen das Leben eines
Mannes gestalten, der von der Natur die Begabung zum Volksredner in so
ausgeprägter Weise empfangen hatte, daß er sich gedrungen fühlte, selbst das
unmittelbar für den Druck bestimmte in einem öffentlichen Kreise zugleich als
Rede und als Diktat vorzutragen? wenn diesem Manne zudem die Gaben
zweier Musen bescheert waren, kraftvolles Mark seine Sinnlichkeit stählte, aber
Rat, Mäßigung und Weisheit dem Feuergeiste von der Gottheit versagt ge¬
blieben waren? Eine solche Erscheinung kennt die deutsche Literaturgeschichte
des vorigen Jahrhunderts wirklich. Der so geartete Mann war Christian
Friedrich Daniel Schubart (den 24. März 1739 zu Obersontheim im Ge¬
biete der schwäbischen Reichsstadt Aalen geboren, zu Stuttgart am 10. Oktober
1791 gestorben).

Wir besitzen neben mittelmäßigen auch mehrere hochgerühmte Litteratur¬
geschichten des achtzehnten Jahrhunderts; man darf jedoch nicht glauben, daß
in irgendeiner derselben die ganze Fülle der Tendenzen und Anregungen, welche
sich zwischen 1780 und 1800 in unsrer Literatur bemerklich machten und mehr
oder minder zur Wirksamkeit gelangten, genügend berücksichtigt wäre. Allzu
mannichfaltig sind diese oft absonderlich gestalteten Bestrebungen. So hat auch
Schubart bisher in unsern Literaturgeschichten eine mehr als stiefmütterliche
Behandlung erfahren. Kaum daß unter den Dichtern der Sturm- und Drang-
Periode und in der Jugendgeschichte Schillers sein Name genannt wird. Ich
muß die Berechtigung der Klage seines neuen Biographen*) anerkennen, wenn
er auch mit seinen Beschuldigungen gegen einzelne -- an ihre Spitze setzt er
Schubarts Landsmann Schiller selbst -- nicht immer im Rechte ist. Von
Schiller war es in der That nur landsmauuschaftliche Rücksicht, wenn er, der
einen Bürger verurteilte, Schubart nicht erwähnte. Als Kunstrichter vermochte er
bei seinen Prinzipien Schubart unmöglich zu loben, und über Schubarts jourua-
listisch-politische Thätigkeit zu reden, konnte er sich niemals veranlaßt fühlen.
Hauff hebt in heftiger Polemik gegen seine verdienstvollen Vorgänger hervor,
daß Schubart kein blinder Verehrer Klopstocks gewesen sei; aber die kritischen
Vcdcukeu, welche der schwäbische Dichter einigemal? gegen Klopstocks spätere
Oden laut werden läßt, hat auch Strauß bereits erwähnt. Thatsächlich wird
mich durch Hauffs Darstellung die Behauptung von Strauß durchweg bestätigt.
Schubarts Gedichte*'") lassen sich, wenige Ausnahme" abgerechnet, in zwei große
Gruppen scheiden, je nachdem der Einfluß der Klopstockscher Odenpoesie oder
das volkstümliche Element in ihnen vorwaltet. War Schiller in seiner Jugend
selber ein Nachahmer Klopstocks gewesen, so urteilte er doch, als er über naive




*) Christian Friedrich Daniel Schubart in seinem Leben und seine" Werfen
dargestellt von Gustav Hauff. Stuttgart, W. Kohlhammer, 188S.
"*) Chr. Fr. D. Schubarts Gedichte. Historisch-kritische Ausgabe von Gustav Hauff
Leipzig, Rectum,
Lin politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

Wirken können? Und wie mußte sich unter diesen Verhältnissen das Leben eines
Mannes gestalten, der von der Natur die Begabung zum Volksredner in so
ausgeprägter Weise empfangen hatte, daß er sich gedrungen fühlte, selbst das
unmittelbar für den Druck bestimmte in einem öffentlichen Kreise zugleich als
Rede und als Diktat vorzutragen? wenn diesem Manne zudem die Gaben
zweier Musen bescheert waren, kraftvolles Mark seine Sinnlichkeit stählte, aber
Rat, Mäßigung und Weisheit dem Feuergeiste von der Gottheit versagt ge¬
blieben waren? Eine solche Erscheinung kennt die deutsche Literaturgeschichte
des vorigen Jahrhunderts wirklich. Der so geartete Mann war Christian
Friedrich Daniel Schubart (den 24. März 1739 zu Obersontheim im Ge¬
biete der schwäbischen Reichsstadt Aalen geboren, zu Stuttgart am 10. Oktober
1791 gestorben).

Wir besitzen neben mittelmäßigen auch mehrere hochgerühmte Litteratur¬
geschichten des achtzehnten Jahrhunderts; man darf jedoch nicht glauben, daß
in irgendeiner derselben die ganze Fülle der Tendenzen und Anregungen, welche
sich zwischen 1780 und 1800 in unsrer Literatur bemerklich machten und mehr
oder minder zur Wirksamkeit gelangten, genügend berücksichtigt wäre. Allzu
mannichfaltig sind diese oft absonderlich gestalteten Bestrebungen. So hat auch
Schubart bisher in unsern Literaturgeschichten eine mehr als stiefmütterliche
Behandlung erfahren. Kaum daß unter den Dichtern der Sturm- und Drang-
Periode und in der Jugendgeschichte Schillers sein Name genannt wird. Ich
muß die Berechtigung der Klage seines neuen Biographen*) anerkennen, wenn
er auch mit seinen Beschuldigungen gegen einzelne — an ihre Spitze setzt er
Schubarts Landsmann Schiller selbst — nicht immer im Rechte ist. Von
Schiller war es in der That nur landsmauuschaftliche Rücksicht, wenn er, der
einen Bürger verurteilte, Schubart nicht erwähnte. Als Kunstrichter vermochte er
bei seinen Prinzipien Schubart unmöglich zu loben, und über Schubarts jourua-
listisch-politische Thätigkeit zu reden, konnte er sich niemals veranlaßt fühlen.
Hauff hebt in heftiger Polemik gegen seine verdienstvollen Vorgänger hervor,
daß Schubart kein blinder Verehrer Klopstocks gewesen sei; aber die kritischen
Vcdcukeu, welche der schwäbische Dichter einigemal? gegen Klopstocks spätere
Oden laut werden läßt, hat auch Strauß bereits erwähnt. Thatsächlich wird
mich durch Hauffs Darstellung die Behauptung von Strauß durchweg bestätigt.
Schubarts Gedichte*'") lassen sich, wenige Ausnahme» abgerechnet, in zwei große
Gruppen scheiden, je nachdem der Einfluß der Klopstockscher Odenpoesie oder
das volkstümliche Element in ihnen vorwaltet. War Schiller in seiner Jugend
selber ein Nachahmer Klopstocks gewesen, so urteilte er doch, als er über naive




*) Christian Friedrich Daniel Schubart in seinem Leben und seine» Werfen
dargestellt von Gustav Hauff. Stuttgart, W. Kohlhammer, 188S.
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Leipzig, Rectum,
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[0271] Lin politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts. Wirken können? Und wie mußte sich unter diesen Verhältnissen das Leben eines Mannes gestalten, der von der Natur die Begabung zum Volksredner in so ausgeprägter Weise empfangen hatte, daß er sich gedrungen fühlte, selbst das unmittelbar für den Druck bestimmte in einem öffentlichen Kreise zugleich als Rede und als Diktat vorzutragen? wenn diesem Manne zudem die Gaben zweier Musen bescheert waren, kraftvolles Mark seine Sinnlichkeit stählte, aber Rat, Mäßigung und Weisheit dem Feuergeiste von der Gottheit versagt ge¬ blieben waren? Eine solche Erscheinung kennt die deutsche Literaturgeschichte des vorigen Jahrhunderts wirklich. Der so geartete Mann war Christian Friedrich Daniel Schubart (den 24. März 1739 zu Obersontheim im Ge¬ biete der schwäbischen Reichsstadt Aalen geboren, zu Stuttgart am 10. Oktober 1791 gestorben). Wir besitzen neben mittelmäßigen auch mehrere hochgerühmte Litteratur¬ geschichten des achtzehnten Jahrhunderts; man darf jedoch nicht glauben, daß in irgendeiner derselben die ganze Fülle der Tendenzen und Anregungen, welche sich zwischen 1780 und 1800 in unsrer Literatur bemerklich machten und mehr oder minder zur Wirksamkeit gelangten, genügend berücksichtigt wäre. Allzu mannichfaltig sind diese oft absonderlich gestalteten Bestrebungen. So hat auch Schubart bisher in unsern Literaturgeschichten eine mehr als stiefmütterliche Behandlung erfahren. Kaum daß unter den Dichtern der Sturm- und Drang- Periode und in der Jugendgeschichte Schillers sein Name genannt wird. Ich muß die Berechtigung der Klage seines neuen Biographen*) anerkennen, wenn er auch mit seinen Beschuldigungen gegen einzelne — an ihre Spitze setzt er Schubarts Landsmann Schiller selbst — nicht immer im Rechte ist. Von Schiller war es in der That nur landsmauuschaftliche Rücksicht, wenn er, der einen Bürger verurteilte, Schubart nicht erwähnte. Als Kunstrichter vermochte er bei seinen Prinzipien Schubart unmöglich zu loben, und über Schubarts jourua- listisch-politische Thätigkeit zu reden, konnte er sich niemals veranlaßt fühlen. Hauff hebt in heftiger Polemik gegen seine verdienstvollen Vorgänger hervor, daß Schubart kein blinder Verehrer Klopstocks gewesen sei; aber die kritischen Vcdcukeu, welche der schwäbische Dichter einigemal? gegen Klopstocks spätere Oden laut werden läßt, hat auch Strauß bereits erwähnt. Thatsächlich wird mich durch Hauffs Darstellung die Behauptung von Strauß durchweg bestätigt. Schubarts Gedichte*'") lassen sich, wenige Ausnahme» abgerechnet, in zwei große Gruppen scheiden, je nachdem der Einfluß der Klopstockscher Odenpoesie oder das volkstümliche Element in ihnen vorwaltet. War Schiller in seiner Jugend selber ein Nachahmer Klopstocks gewesen, so urteilte er doch, als er über naive *) Christian Friedrich Daniel Schubart in seinem Leben und seine» Werfen dargestellt von Gustav Hauff. Stuttgart, W. Kohlhammer, 188S. »*) Chr. Fr. D. Schubarts Gedichte. Historisch-kritische Ausgabe von Gustav Hauff Leipzig, Rectum,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/271>, abgerufen am 01.09.2024.