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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Lichsfelder Arbeiter.

sehr früh waren infolge der energischen Thätigkeit des Jesuitenordens, der in
Heiligenstadt, der Hauptstadt des Ländchens, eine Niederlassung gründete, fast
die letzte" Spuren des Protestantismus wieder vertilgt. Zwar besteht auch heute
noch in Heiligenstadt eine evangelische Gemeinde, die Angehörigen derselben sind
jedoch fast ausschließlich im Laufe der Zeit eingewandert. In der Kirche dieser
Gemeinde empfing im Jahre 1825 Heinrich Heine, der von dem nahen Göttingen
herübergekommen war, die Taufe. Im übrigen aber ist das Eichsfeld inmitten
der evangelischen Provinz Sachsen eine Hochburg des Katholizismus.*) Der
Name "Eichsfeld" soll, einer natürlich unverbürgten Sage nach, der man be¬
sonders häusig unter den Landleuten begegnet, darauf zurückzuführen sein, daß
der heilige Bonifazius in dieser Gegend in der Nähe des Ortes Geismar uns
dem Hülfensberge die Donncreiche fällte.

Das Ländchen ist, wie weithin bekannt ist, arm. Es ist derartig arg ver¬
rufen, daß man wohl sagen darf, es sei besser als sein Ruf. So entbehrt es
z. B. nicht der landschaftlichen Schönheit; nach dieser Seite hin wenigstens
verdient es nicht den Namen "Streichhölzerland," den man ihm spottend bei¬
gelegt hat. Der Boden aber ist wenig fruchtbar und bringt selbst bei harter,
sorgfältigster Arbeit nicht genng Produkte hervor, um seine Bewohner zu nähren.
Doch gilt dies nur von dem obern Eichsfelde. Das untere hannoversche Eichs¬
feld mit der Stadt Duderstadt kann sogar fruchtbar genannt werden; nennt man
doch die Umgegend dieses Ortes die goldne Ane des Eichsfeldes. Auch mit
der natürlichen Fundation des Bodens ist es schlecht bestellt; keinerlei Berg¬
werksbetrieb oder Fabrikbetrieb, der sich darauf gründete, ist vorhanden. Dagegen
hat sich in Heiligenstadt selbst infolge der dortigen überaus niedrigen Arbeits¬
löhne eine bedeutsame Zigarrenfabrikatiou entwickelt, deren Inhaber jedoch nicht
Eichsfelder, sondern großenteils Bremer Kaufleute sind. Auch Baumwvllwebercicn
und eine Nadelfabrik haben sich aus gleichem Grunde dort angesiedelt; auch
diese Unternehmungen sind fast ausschließlich von Fremden hervorgerufen worden.
Der eigentliche Eichsfelder ist wenig unternehmungslustig, schon deshalb nicht,
weil das nötige Kapital nicht im Lande ist.

Die Bodenverteilung kann im allgemeinen eine günstige genannt werden;
große Güter sind nicht vorhanden, ebensowenig eine zu weit gehende Zersplitterung
des Grundbesitzes. Die Kargheit des Bodens zwingt aber die Leute, außerhalb
der Heimat dem Erwerbe nachzugehen, eine Notwendigkeit, die von Einfluß auf
die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Ländchens geworden ist. Es
haben sich nämlich infolgedessen ganz eigentümliche Zustände ausgebildet, die
das besondre Interesse jedes Volkswirtes hervorrufen müssen.



*) Als bezeichnende Kuriosität wäg angeführt werden, daß die in Heiligenstadt er¬
scheinenden "Eichsfelder Volksblätter" bei den letzten RcichSwaswahlen aufforderten, so schwarz
zu wählen, daß "ein Rabe, schwarz wie Stiefelwichse, sich gegen die Wahlurne nusnehme
wie ein weißer Vogel."
Lichsfelder Arbeiter.

sehr früh waren infolge der energischen Thätigkeit des Jesuitenordens, der in
Heiligenstadt, der Hauptstadt des Ländchens, eine Niederlassung gründete, fast
die letzte» Spuren des Protestantismus wieder vertilgt. Zwar besteht auch heute
noch in Heiligenstadt eine evangelische Gemeinde, die Angehörigen derselben sind
jedoch fast ausschließlich im Laufe der Zeit eingewandert. In der Kirche dieser
Gemeinde empfing im Jahre 1825 Heinrich Heine, der von dem nahen Göttingen
herübergekommen war, die Taufe. Im übrigen aber ist das Eichsfeld inmitten
der evangelischen Provinz Sachsen eine Hochburg des Katholizismus.*) Der
Name „Eichsfeld" soll, einer natürlich unverbürgten Sage nach, der man be¬
sonders häusig unter den Landleuten begegnet, darauf zurückzuführen sein, daß
der heilige Bonifazius in dieser Gegend in der Nähe des Ortes Geismar uns
dem Hülfensberge die Donncreiche fällte.

Das Ländchen ist, wie weithin bekannt ist, arm. Es ist derartig arg ver¬
rufen, daß man wohl sagen darf, es sei besser als sein Ruf. So entbehrt es
z. B. nicht der landschaftlichen Schönheit; nach dieser Seite hin wenigstens
verdient es nicht den Namen „Streichhölzerland," den man ihm spottend bei¬
gelegt hat. Der Boden aber ist wenig fruchtbar und bringt selbst bei harter,
sorgfältigster Arbeit nicht genng Produkte hervor, um seine Bewohner zu nähren.
Doch gilt dies nur von dem obern Eichsfelde. Das untere hannoversche Eichs¬
feld mit der Stadt Duderstadt kann sogar fruchtbar genannt werden; nennt man
doch die Umgegend dieses Ortes die goldne Ane des Eichsfeldes. Auch mit
der natürlichen Fundation des Bodens ist es schlecht bestellt; keinerlei Berg¬
werksbetrieb oder Fabrikbetrieb, der sich darauf gründete, ist vorhanden. Dagegen
hat sich in Heiligenstadt selbst infolge der dortigen überaus niedrigen Arbeits¬
löhne eine bedeutsame Zigarrenfabrikatiou entwickelt, deren Inhaber jedoch nicht
Eichsfelder, sondern großenteils Bremer Kaufleute sind. Auch Baumwvllwebercicn
und eine Nadelfabrik haben sich aus gleichem Grunde dort angesiedelt; auch
diese Unternehmungen sind fast ausschließlich von Fremden hervorgerufen worden.
Der eigentliche Eichsfelder ist wenig unternehmungslustig, schon deshalb nicht,
weil das nötige Kapital nicht im Lande ist.

Die Bodenverteilung kann im allgemeinen eine günstige genannt werden;
große Güter sind nicht vorhanden, ebensowenig eine zu weit gehende Zersplitterung
des Grundbesitzes. Die Kargheit des Bodens zwingt aber die Leute, außerhalb
der Heimat dem Erwerbe nachzugehen, eine Notwendigkeit, die von Einfluß auf
die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Ländchens geworden ist. Es
haben sich nämlich infolgedessen ganz eigentümliche Zustände ausgebildet, die
das besondre Interesse jedes Volkswirtes hervorrufen müssen.



*) Als bezeichnende Kuriosität wäg angeführt werden, daß die in Heiligenstadt er¬
scheinenden „Eichsfelder Volksblätter" bei den letzten RcichSwaswahlen aufforderten, so schwarz
zu wählen, daß „ein Rabe, schwarz wie Stiefelwichse, sich gegen die Wahlurne nusnehme
wie ein weißer Vogel."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/267>, abgerufen am 22.11.2024.