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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der "ordainerikcinische Farmer und der deutsche Landwirt.

dem und von dem sie leben sollten, steht mittlerweile leer und dient wenigen
Aufsehern zum Aufenthalt.

An dem Tage, wo dieser glückliche Zustand der Dinge allseitig durchgeführt
ist, werden die Segnungen der "wirtschaftlichen Freiheit" von den "wahrhaft
Freisinnigen" vermutlich am lautesten gepriesen werden.


2.

Ob unter den eben erwähnten Umständen die Landschaft, welche wir am
Eingang zu schildern versucht haben, an Reiz gewonnen haben wird, dürfte
außerordentlich zweifelhaft sein; wir haben uns, während wir sie durcheilten,
mit schwerem Herzen die Frage vorgelegt, ob wohl jemals Ereignisse platz-
greifen könnten, die das liebliche und belebte Bild, welches wir ans unsrer
Heimat mit uns genommen hatten, in so trostloser Weise zu verändern ver¬
möchten.

Die Gefahren, die unsrer heimischen Landwirtschaft drohen, sind nicht ganz
dieselben, die der nordamerikanische Farmer zu bestehen hat, aber sie sind auch
nicht wesentlich verschieden. Sie sind herangewachsen, während der "Weltmarkt"
und die, welche ihn arrangiren, sich zu einer wirtschaftlichen Großmacht ent¬
wickelten und allen prvduzirenden Ständen bis in die fernsten und stillsten Winkel
hinein neue Existenzbedingungen aufzwangcn; sie sind herangewachsen, während
beim stetigen Sinken der Grundrente die Kultur und die Bedürfnisse der Be-
bauer stiegen, und der Boden sich weigerte, seine früheren Herren noch länger
zu tragen.

Während des Krimkrieges waren für unsre Landwirtschaft die letzten guten
Jahre. Damals ist noch eine ganze Reihe von Vermögen auf dem Lande er¬
worben worden; dann ging es ruckweise bergab, und es brach sich bei frucht¬
loser Arbeit, rapide steigender Verschuldung und unaufhörlichem Vesitzwechscl
mehr und mehr die Überzeugung Bahn, daß die Landwirtschaft etwas vollständig
andres werden müsse, als sie bis dahin gewesen.

Das erste Opfer der neuen Zeit hätte naturgemäß der Bauer sein müssen,
der für Anschaffung von Maschinen kein Geld, für Viehzucht keine Wiesen, für
intensive Wirtschaft keine Vorkenntnisse hatte. Das Kapital, welches so gern
"entwickelt," belastete ihn denn auch, damit er den an ihn herantretenden An¬
forderungen besser genügen könne, mit den nötigen Hypotheken; doch blüht unser
Bauernstand überall da, wo er sich der Ausbeutung durch den Wucher zu ent¬
ziehen gewußt hat, noch heute in Kraft und Frische, weil er wenig Bedürfnisse
hat, weil er keine Söhne in der Armee und ans der Universität zu unterhalten
braucht, weil er die beiden Arme, die ihm gegeben sind, zur Bebauung seines
Bodens verwendet und es für keinen Raub hält, den Acker, den er baut, auch
selbst zu düngen. Lediglich aus diesen Gründen haben wir heute noch einen
Bauernstand. Der Boden trägt ihn, Dagegen war derjenige, der in weit


Der »ordainerikcinische Farmer und der deutsche Landwirt.

dem und von dem sie leben sollten, steht mittlerweile leer und dient wenigen
Aufsehern zum Aufenthalt.

An dem Tage, wo dieser glückliche Zustand der Dinge allseitig durchgeführt
ist, werden die Segnungen der „wirtschaftlichen Freiheit" von den „wahrhaft
Freisinnigen" vermutlich am lautesten gepriesen werden.


2.

Ob unter den eben erwähnten Umständen die Landschaft, welche wir am
Eingang zu schildern versucht haben, an Reiz gewonnen haben wird, dürfte
außerordentlich zweifelhaft sein; wir haben uns, während wir sie durcheilten,
mit schwerem Herzen die Frage vorgelegt, ob wohl jemals Ereignisse platz-
greifen könnten, die das liebliche und belebte Bild, welches wir ans unsrer
Heimat mit uns genommen hatten, in so trostloser Weise zu verändern ver¬
möchten.

Die Gefahren, die unsrer heimischen Landwirtschaft drohen, sind nicht ganz
dieselben, die der nordamerikanische Farmer zu bestehen hat, aber sie sind auch
nicht wesentlich verschieden. Sie sind herangewachsen, während der „Weltmarkt"
und die, welche ihn arrangiren, sich zu einer wirtschaftlichen Großmacht ent¬
wickelten und allen prvduzirenden Ständen bis in die fernsten und stillsten Winkel
hinein neue Existenzbedingungen aufzwangcn; sie sind herangewachsen, während
beim stetigen Sinken der Grundrente die Kultur und die Bedürfnisse der Be-
bauer stiegen, und der Boden sich weigerte, seine früheren Herren noch länger
zu tragen.

Während des Krimkrieges waren für unsre Landwirtschaft die letzten guten
Jahre. Damals ist noch eine ganze Reihe von Vermögen auf dem Lande er¬
worben worden; dann ging es ruckweise bergab, und es brach sich bei frucht¬
loser Arbeit, rapide steigender Verschuldung und unaufhörlichem Vesitzwechscl
mehr und mehr die Überzeugung Bahn, daß die Landwirtschaft etwas vollständig
andres werden müsse, als sie bis dahin gewesen.

Das erste Opfer der neuen Zeit hätte naturgemäß der Bauer sein müssen,
der für Anschaffung von Maschinen kein Geld, für Viehzucht keine Wiesen, für
intensive Wirtschaft keine Vorkenntnisse hatte. Das Kapital, welches so gern
„entwickelt," belastete ihn denn auch, damit er den an ihn herantretenden An¬
forderungen besser genügen könne, mit den nötigen Hypotheken; doch blüht unser
Bauernstand überall da, wo er sich der Ausbeutung durch den Wucher zu ent¬
ziehen gewußt hat, noch heute in Kraft und Frische, weil er wenig Bedürfnisse
hat, weil er keine Söhne in der Armee und ans der Universität zu unterhalten
braucht, weil er die beiden Arme, die ihm gegeben sind, zur Bebauung seines
Bodens verwendet und es für keinen Raub hält, den Acker, den er baut, auch
selbst zu düngen. Lediglich aus diesen Gründen haben wir heute noch einen
Bauernstand. Der Boden trägt ihn, Dagegen war derjenige, der in weit


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[0261] Der »ordainerikcinische Farmer und der deutsche Landwirt. dem und von dem sie leben sollten, steht mittlerweile leer und dient wenigen Aufsehern zum Aufenthalt. An dem Tage, wo dieser glückliche Zustand der Dinge allseitig durchgeführt ist, werden die Segnungen der „wirtschaftlichen Freiheit" von den „wahrhaft Freisinnigen" vermutlich am lautesten gepriesen werden. 2. Ob unter den eben erwähnten Umständen die Landschaft, welche wir am Eingang zu schildern versucht haben, an Reiz gewonnen haben wird, dürfte außerordentlich zweifelhaft sein; wir haben uns, während wir sie durcheilten, mit schwerem Herzen die Frage vorgelegt, ob wohl jemals Ereignisse platz- greifen könnten, die das liebliche und belebte Bild, welches wir ans unsrer Heimat mit uns genommen hatten, in so trostloser Weise zu verändern ver¬ möchten. Die Gefahren, die unsrer heimischen Landwirtschaft drohen, sind nicht ganz dieselben, die der nordamerikanische Farmer zu bestehen hat, aber sie sind auch nicht wesentlich verschieden. Sie sind herangewachsen, während der „Weltmarkt" und die, welche ihn arrangiren, sich zu einer wirtschaftlichen Großmacht ent¬ wickelten und allen prvduzirenden Ständen bis in die fernsten und stillsten Winkel hinein neue Existenzbedingungen aufzwangcn; sie sind herangewachsen, während beim stetigen Sinken der Grundrente die Kultur und die Bedürfnisse der Be- bauer stiegen, und der Boden sich weigerte, seine früheren Herren noch länger zu tragen. Während des Krimkrieges waren für unsre Landwirtschaft die letzten guten Jahre. Damals ist noch eine ganze Reihe von Vermögen auf dem Lande er¬ worben worden; dann ging es ruckweise bergab, und es brach sich bei frucht¬ loser Arbeit, rapide steigender Verschuldung und unaufhörlichem Vesitzwechscl mehr und mehr die Überzeugung Bahn, daß die Landwirtschaft etwas vollständig andres werden müsse, als sie bis dahin gewesen. Das erste Opfer der neuen Zeit hätte naturgemäß der Bauer sein müssen, der für Anschaffung von Maschinen kein Geld, für Viehzucht keine Wiesen, für intensive Wirtschaft keine Vorkenntnisse hatte. Das Kapital, welches so gern „entwickelt," belastete ihn denn auch, damit er den an ihn herantretenden An¬ forderungen besser genügen könne, mit den nötigen Hypotheken; doch blüht unser Bauernstand überall da, wo er sich der Ausbeutung durch den Wucher zu ent¬ ziehen gewußt hat, noch heute in Kraft und Frische, weil er wenig Bedürfnisse hat, weil er keine Söhne in der Armee und ans der Universität zu unterhalten braucht, weil er die beiden Arme, die ihm gegeben sind, zur Bebauung seines Bodens verwendet und es für keinen Raub hält, den Acker, den er baut, auch selbst zu düngen. Lediglich aus diesen Gründen haben wir heute noch einen Bauernstand. Der Boden trägt ihn, Dagegen war derjenige, der in weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/261>, abgerufen am 23.11.2024.