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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Rochtspolitische Streifzüge.

Ncichsangehörigkeit besitzen. Das Widersinnige dieser im Schwurgericht bestehenden
Einrichtung ist so oft und besonders auch in diesen Blättern in so trefflicher
Weise geschildert worden, daß wir die Sache hier nur andeuten wollen, um
nicht Bekanntes wiederholen zu müssen. Wir sehen hier ganz von den wirt¬
schaftlichen Übelständen ab, welche der Geschwvrnendienst mit sich bringt. Wir
wollen nur konstatiren, daß auch hier die Anderungsversnche, welche der Reichs¬
kanzler vorgeschlagen hat, bisher gescheitert sind. Unsre vorausgehende Be¬
trachtung erhält aber noch ihre besondre Beleuchtung, wenn uns in den Zeitungen
gemeldet wird, wie in Baiern Vorsitzende des Schwurgerichts sich nicht gescheut
haben, Ansprachen an die Geschwornen zu halten und dabei für die unabgeündertc
Beibehaltung dieses Instituts eintreten. Wir glauben nicht, daß dies Verfahren
mit ihrem Beruf in Einklang steht, denn der Richter hat das Gesetz anzuwenden,
aber nicht für die Gesetzgebung zu agitiren.

Wir können aber leider nicht leugnen, daß auch beim gelehrten Richter die
Sachkunde immer mehr verflacht. Unsre Studienordnung und der Plan der
Universitätsvorlesungen ist teils veraltet, teils rein schematisch. Die erstere
stammt noch aus der Zeit des absoluten Staates, wo man lediglich nur aus¬
schließlich Wert auf die Kenntnisse des Privatrechts legte; später fing man an,
auch eine Kenntnis des öffentlichen Rechts, der Volkswirtschafts- und Finanz-
wissenschaft sür den Juristen für erforderlich zu erachten, und so ist allmählich
eine Häufung der Materien eingetreten, die in einem dreijährigen Nechtsstndium
zu bewältigen geradezu eine Unmöglichkeit ist. Dazu kommt, daß der juristische
Professor in der Regel sich damit begnügt, seine Vorlesung jahraus jahrein
in derselben Weise zu halten, d. h. sie mehr oder weniger aus dem Hefte vor¬
zulesen. Darüber, ob das Vorgetragene verstanden und gelernt wird, fehlt jede
Kontrole. Diese Frage verdient wohl eine gründliche Erörterung. Hier genüge
es, auf diesen Übelstand hingewiesen zu haben. Derselbe fällt umsomehr ins
Gewicht, als seit der neuen Justizorgnnisation auch die praktische Ausbildung
nur eine mangelhafte sein kann. In letzterer Hinsicht hat sich erst jüngst der
frühere Neichsgerichtsrat und Abgeordnete Dr. Bähr in so schlagender Weise
ausgesprochen, daß wir der sichern Erwartung sind, daß seine Ausführungen
von dem Neichsjustizamt und dem preußischen Justizministerium werden in genaue
Erwägung genommen werden.

Wir verlangen aber auch von einem Urteilsspruche, daß er sich auf feste
und sichere Regeln stütze. Nur dann tonnen wir sicher sein, daß jeder mit
demselben Maße gemessen wird. Wenn mehr als das Gesetz das freie Ermessen
des Richters entscheiden soll, dann ist jede Gesetzgebung ein Luxus, und dann
kämen wir überall mit Schieds- oder Laiengerichten ans. Jede Entscheidung
wäre alsdann ein Würfelspiel. Der Ausspruch des berühmten englischen Kanzlers
Vaeo von Verulam, daß das beste Gesetz dasjenige sei, welches am welligsten
Raum giebt für ein Ermessen des Richters, und der beste Richter derjenige,


Rochtspolitische Streifzüge.

Ncichsangehörigkeit besitzen. Das Widersinnige dieser im Schwurgericht bestehenden
Einrichtung ist so oft und besonders auch in diesen Blättern in so trefflicher
Weise geschildert worden, daß wir die Sache hier nur andeuten wollen, um
nicht Bekanntes wiederholen zu müssen. Wir sehen hier ganz von den wirt¬
schaftlichen Übelständen ab, welche der Geschwvrnendienst mit sich bringt. Wir
wollen nur konstatiren, daß auch hier die Anderungsversnche, welche der Reichs¬
kanzler vorgeschlagen hat, bisher gescheitert sind. Unsre vorausgehende Be¬
trachtung erhält aber noch ihre besondre Beleuchtung, wenn uns in den Zeitungen
gemeldet wird, wie in Baiern Vorsitzende des Schwurgerichts sich nicht gescheut
haben, Ansprachen an die Geschwornen zu halten und dabei für die unabgeündertc
Beibehaltung dieses Instituts eintreten. Wir glauben nicht, daß dies Verfahren
mit ihrem Beruf in Einklang steht, denn der Richter hat das Gesetz anzuwenden,
aber nicht für die Gesetzgebung zu agitiren.

Wir können aber leider nicht leugnen, daß auch beim gelehrten Richter die
Sachkunde immer mehr verflacht. Unsre Studienordnung und der Plan der
Universitätsvorlesungen ist teils veraltet, teils rein schematisch. Die erstere
stammt noch aus der Zeit des absoluten Staates, wo man lediglich nur aus¬
schließlich Wert auf die Kenntnisse des Privatrechts legte; später fing man an,
auch eine Kenntnis des öffentlichen Rechts, der Volkswirtschafts- und Finanz-
wissenschaft sür den Juristen für erforderlich zu erachten, und so ist allmählich
eine Häufung der Materien eingetreten, die in einem dreijährigen Nechtsstndium
zu bewältigen geradezu eine Unmöglichkeit ist. Dazu kommt, daß der juristische
Professor in der Regel sich damit begnügt, seine Vorlesung jahraus jahrein
in derselben Weise zu halten, d. h. sie mehr oder weniger aus dem Hefte vor¬
zulesen. Darüber, ob das Vorgetragene verstanden und gelernt wird, fehlt jede
Kontrole. Diese Frage verdient wohl eine gründliche Erörterung. Hier genüge
es, auf diesen Übelstand hingewiesen zu haben. Derselbe fällt umsomehr ins
Gewicht, als seit der neuen Justizorgnnisation auch die praktische Ausbildung
nur eine mangelhafte sein kann. In letzterer Hinsicht hat sich erst jüngst der
frühere Neichsgerichtsrat und Abgeordnete Dr. Bähr in so schlagender Weise
ausgesprochen, daß wir der sichern Erwartung sind, daß seine Ausführungen
von dem Neichsjustizamt und dem preußischen Justizministerium werden in genaue
Erwägung genommen werden.

Wir verlangen aber auch von einem Urteilsspruche, daß er sich auf feste
und sichere Regeln stütze. Nur dann tonnen wir sicher sein, daß jeder mit
demselben Maße gemessen wird. Wenn mehr als das Gesetz das freie Ermessen
des Richters entscheiden soll, dann ist jede Gesetzgebung ein Luxus, und dann
kämen wir überall mit Schieds- oder Laiengerichten ans. Jede Entscheidung
wäre alsdann ein Würfelspiel. Der Ausspruch des berühmten englischen Kanzlers
Vaeo von Verulam, daß das beste Gesetz dasjenige sei, welches am welligsten
Raum giebt für ein Ermessen des Richters, und der beste Richter derjenige,


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[0253] Rochtspolitische Streifzüge. Ncichsangehörigkeit besitzen. Das Widersinnige dieser im Schwurgericht bestehenden Einrichtung ist so oft und besonders auch in diesen Blättern in so trefflicher Weise geschildert worden, daß wir die Sache hier nur andeuten wollen, um nicht Bekanntes wiederholen zu müssen. Wir sehen hier ganz von den wirt¬ schaftlichen Übelständen ab, welche der Geschwvrnendienst mit sich bringt. Wir wollen nur konstatiren, daß auch hier die Anderungsversnche, welche der Reichs¬ kanzler vorgeschlagen hat, bisher gescheitert sind. Unsre vorausgehende Be¬ trachtung erhält aber noch ihre besondre Beleuchtung, wenn uns in den Zeitungen gemeldet wird, wie in Baiern Vorsitzende des Schwurgerichts sich nicht gescheut haben, Ansprachen an die Geschwornen zu halten und dabei für die unabgeündertc Beibehaltung dieses Instituts eintreten. Wir glauben nicht, daß dies Verfahren mit ihrem Beruf in Einklang steht, denn der Richter hat das Gesetz anzuwenden, aber nicht für die Gesetzgebung zu agitiren. Wir können aber leider nicht leugnen, daß auch beim gelehrten Richter die Sachkunde immer mehr verflacht. Unsre Studienordnung und der Plan der Universitätsvorlesungen ist teils veraltet, teils rein schematisch. Die erstere stammt noch aus der Zeit des absoluten Staates, wo man lediglich nur aus¬ schließlich Wert auf die Kenntnisse des Privatrechts legte; später fing man an, auch eine Kenntnis des öffentlichen Rechts, der Volkswirtschafts- und Finanz- wissenschaft sür den Juristen für erforderlich zu erachten, und so ist allmählich eine Häufung der Materien eingetreten, die in einem dreijährigen Nechtsstndium zu bewältigen geradezu eine Unmöglichkeit ist. Dazu kommt, daß der juristische Professor in der Regel sich damit begnügt, seine Vorlesung jahraus jahrein in derselben Weise zu halten, d. h. sie mehr oder weniger aus dem Hefte vor¬ zulesen. Darüber, ob das Vorgetragene verstanden und gelernt wird, fehlt jede Kontrole. Diese Frage verdient wohl eine gründliche Erörterung. Hier genüge es, auf diesen Übelstand hingewiesen zu haben. Derselbe fällt umsomehr ins Gewicht, als seit der neuen Justizorgnnisation auch die praktische Ausbildung nur eine mangelhafte sein kann. In letzterer Hinsicht hat sich erst jüngst der frühere Neichsgerichtsrat und Abgeordnete Dr. Bähr in so schlagender Weise ausgesprochen, daß wir der sichern Erwartung sind, daß seine Ausführungen von dem Neichsjustizamt und dem preußischen Justizministerium werden in genaue Erwägung genommen werden. Wir verlangen aber auch von einem Urteilsspruche, daß er sich auf feste und sichere Regeln stütze. Nur dann tonnen wir sicher sein, daß jeder mit demselben Maße gemessen wird. Wenn mehr als das Gesetz das freie Ermessen des Richters entscheiden soll, dann ist jede Gesetzgebung ein Luxus, und dann kämen wir überall mit Schieds- oder Laiengerichten ans. Jede Entscheidung wäre alsdann ein Würfelspiel. Der Ausspruch des berühmten englischen Kanzlers Vaeo von Verulam, daß das beste Gesetz dasjenige sei, welches am welligsten Raum giebt für ein Ermessen des Richters, und der beste Richter derjenige,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/253>, abgerufen am 01.09.2024.