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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Rechtspolitische Streifzüge.

Richterspruch nicht als befangen oder parteiisch hinstellen, sonst thut mau die
Arbeit der Anarchisten. Daß dieses in konservativen Blättern geschieht, ist umso
bedauerlicher, als sie besonders berufen find, gegen die alles zerfressenden Ele¬
mente des modernen Lebens die Autorität und das Ansehen der Staatsorgane
zu schützen, und als bei dem wechselnden Laufe der politischen Dinge morgen
Ambos sei" kann, wer hente Hammer ist. Wer erinnert sich nicht noch jener
Flut von Schmähungen, die in den fortschrittlichen Blättern auf den frühern
höchsten preußischen Gerichtshof gehäuft wurden, der in seinem richterlichen
Urteile über die Redefreiheit der Abgeordneten eine andre Meinung aufgestellt
hatte, als sie bisher üblich war? Wenn damals mit Recht von konservativer
- Seite geltend gemacht wurde, daß Schmähungen gegen Richtersprüche den Staat
untergraben, so sollte man diesen wichtigen Satz nach zwanzig Jahren noch nicht
vergessen haben und den Ruhm, die Säulen der staatlichen Autorität zu er¬
schüttern, lieber neidlos den Gegnern überlassen.

Ein ganz andres ist es, ob man aus einem Urteile nicht Lehren für die
Gesetzgebung ziehen soll, und in dieser Beziehung ereignet es sich nicht selten,
daß Fehler der Gesetze, welche von den Einsichtigeren schon seit längerer Zeit
beobachtet worden sind, durch einen sogenannten eklatanten Fall aufgedeckt und
selbst für die Augen der Menge erkennbar werden.

Solche Fehler sind auch nach unsrer Meinung in dem Prozesse Stöcker
zutage getreten.

Das Ansehen der richterlichen Urteile als der Grundlagen der Staats¬
ordnung -- luna^mönwin roMoruin -- ist uur dann und aus dem Grunde
gerechtfertigt, wenn und weil von unbeeinflußten und sachkundigen Männern
nach bestimmten, ein für allemal gegebnen und für alle gleich geltenden Regeln
ein Rechtsstreit entschieden wird. Es fragt sich, ob diese Bedingungen noch für
die Gegenwart zutreffen.

Seit Montesquieu in falsch verstandner Auffassung englischer Verfassungs-
zustande die Trennung der sogenannten drei Gewalten als das Erfordernis
bürgerlicher Freiheit aufstellte, hat man die richterliche Unparteilichkeit lediglich
gegen deu Druck von oben zu schützen gesucht. Das Verbot der Kabinetsjustiz,
die Uuabsetzbarkeit und die Unzulässigkeit unfreiwilliger Versetzung der Richter
sind in den Staatsverfassungen der deutschen Bundesstaaten gewährleistet. Das
gleichmäßige Aufrücke" in den Gehaltsstufen nach der Anciennctät, der Rechtsweg
zur Erlangung dieses Gehaltes, die Gleichstellung der Richter der verschiednen
Instanzen an Rang und Einkommen, die Verteilung der Geschäfte unter die
einzelnen Richter durch einen gerichtlichen Ausschuß -- alles dieses siud weitere
Epochen in der Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber dem
Einfluß der Justizverwaltung. In diesen Bestrebungen ist mau soweit gegangen,
daß man anscheinend garnicht erwogen hat, ob nicht dem Richter auch von
unten her ein Einfluß drohe. Während des absoluten Staates glaubte mau


Rechtspolitische Streifzüge.

Richterspruch nicht als befangen oder parteiisch hinstellen, sonst thut mau die
Arbeit der Anarchisten. Daß dieses in konservativen Blättern geschieht, ist umso
bedauerlicher, als sie besonders berufen find, gegen die alles zerfressenden Ele¬
mente des modernen Lebens die Autorität und das Ansehen der Staatsorgane
zu schützen, und als bei dem wechselnden Laufe der politischen Dinge morgen
Ambos sei» kann, wer hente Hammer ist. Wer erinnert sich nicht noch jener
Flut von Schmähungen, die in den fortschrittlichen Blättern auf den frühern
höchsten preußischen Gerichtshof gehäuft wurden, der in seinem richterlichen
Urteile über die Redefreiheit der Abgeordneten eine andre Meinung aufgestellt
hatte, als sie bisher üblich war? Wenn damals mit Recht von konservativer
- Seite geltend gemacht wurde, daß Schmähungen gegen Richtersprüche den Staat
untergraben, so sollte man diesen wichtigen Satz nach zwanzig Jahren noch nicht
vergessen haben und den Ruhm, die Säulen der staatlichen Autorität zu er¬
schüttern, lieber neidlos den Gegnern überlassen.

Ein ganz andres ist es, ob man aus einem Urteile nicht Lehren für die
Gesetzgebung ziehen soll, und in dieser Beziehung ereignet es sich nicht selten,
daß Fehler der Gesetze, welche von den Einsichtigeren schon seit längerer Zeit
beobachtet worden sind, durch einen sogenannten eklatanten Fall aufgedeckt und
selbst für die Augen der Menge erkennbar werden.

Solche Fehler sind auch nach unsrer Meinung in dem Prozesse Stöcker
zutage getreten.

Das Ansehen der richterlichen Urteile als der Grundlagen der Staats¬
ordnung — luna^mönwin roMoruin — ist uur dann und aus dem Grunde
gerechtfertigt, wenn und weil von unbeeinflußten und sachkundigen Männern
nach bestimmten, ein für allemal gegebnen und für alle gleich geltenden Regeln
ein Rechtsstreit entschieden wird. Es fragt sich, ob diese Bedingungen noch für
die Gegenwart zutreffen.

Seit Montesquieu in falsch verstandner Auffassung englischer Verfassungs-
zustande die Trennung der sogenannten drei Gewalten als das Erfordernis
bürgerlicher Freiheit aufstellte, hat man die richterliche Unparteilichkeit lediglich
gegen deu Druck von oben zu schützen gesucht. Das Verbot der Kabinetsjustiz,
die Uuabsetzbarkeit und die Unzulässigkeit unfreiwilliger Versetzung der Richter
sind in den Staatsverfassungen der deutschen Bundesstaaten gewährleistet. Das
gleichmäßige Aufrücke» in den Gehaltsstufen nach der Anciennctät, der Rechtsweg
zur Erlangung dieses Gehaltes, die Gleichstellung der Richter der verschiednen
Instanzen an Rang und Einkommen, die Verteilung der Geschäfte unter die
einzelnen Richter durch einen gerichtlichen Ausschuß — alles dieses siud weitere
Epochen in der Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber dem
Einfluß der Justizverwaltung. In diesen Bestrebungen ist mau soweit gegangen,
daß man anscheinend garnicht erwogen hat, ob nicht dem Richter auch von
unten her ein Einfluß drohe. Während des absoluten Staates glaubte mau


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[0251] Rechtspolitische Streifzüge. Richterspruch nicht als befangen oder parteiisch hinstellen, sonst thut mau die Arbeit der Anarchisten. Daß dieses in konservativen Blättern geschieht, ist umso bedauerlicher, als sie besonders berufen find, gegen die alles zerfressenden Ele¬ mente des modernen Lebens die Autorität und das Ansehen der Staatsorgane zu schützen, und als bei dem wechselnden Laufe der politischen Dinge morgen Ambos sei» kann, wer hente Hammer ist. Wer erinnert sich nicht noch jener Flut von Schmähungen, die in den fortschrittlichen Blättern auf den frühern höchsten preußischen Gerichtshof gehäuft wurden, der in seinem richterlichen Urteile über die Redefreiheit der Abgeordneten eine andre Meinung aufgestellt hatte, als sie bisher üblich war? Wenn damals mit Recht von konservativer - Seite geltend gemacht wurde, daß Schmähungen gegen Richtersprüche den Staat untergraben, so sollte man diesen wichtigen Satz nach zwanzig Jahren noch nicht vergessen haben und den Ruhm, die Säulen der staatlichen Autorität zu er¬ schüttern, lieber neidlos den Gegnern überlassen. Ein ganz andres ist es, ob man aus einem Urteile nicht Lehren für die Gesetzgebung ziehen soll, und in dieser Beziehung ereignet es sich nicht selten, daß Fehler der Gesetze, welche von den Einsichtigeren schon seit längerer Zeit beobachtet worden sind, durch einen sogenannten eklatanten Fall aufgedeckt und selbst für die Augen der Menge erkennbar werden. Solche Fehler sind auch nach unsrer Meinung in dem Prozesse Stöcker zutage getreten. Das Ansehen der richterlichen Urteile als der Grundlagen der Staats¬ ordnung — luna^mönwin roMoruin — ist uur dann und aus dem Grunde gerechtfertigt, wenn und weil von unbeeinflußten und sachkundigen Männern nach bestimmten, ein für allemal gegebnen und für alle gleich geltenden Regeln ein Rechtsstreit entschieden wird. Es fragt sich, ob diese Bedingungen noch für die Gegenwart zutreffen. Seit Montesquieu in falsch verstandner Auffassung englischer Verfassungs- zustande die Trennung der sogenannten drei Gewalten als das Erfordernis bürgerlicher Freiheit aufstellte, hat man die richterliche Unparteilichkeit lediglich gegen deu Druck von oben zu schützen gesucht. Das Verbot der Kabinetsjustiz, die Uuabsetzbarkeit und die Unzulässigkeit unfreiwilliger Versetzung der Richter sind in den Staatsverfassungen der deutschen Bundesstaaten gewährleistet. Das gleichmäßige Aufrücke» in den Gehaltsstufen nach der Anciennctät, der Rechtsweg zur Erlangung dieses Gehaltes, die Gleichstellung der Richter der verschiednen Instanzen an Rang und Einkommen, die Verteilung der Geschäfte unter die einzelnen Richter durch einen gerichtlichen Ausschuß — alles dieses siud weitere Epochen in der Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber dem Einfluß der Justizverwaltung. In diesen Bestrebungen ist mau soweit gegangen, daß man anscheinend garnicht erwogen hat, ob nicht dem Richter auch von unten her ein Einfluß drohe. Während des absoluten Staates glaubte mau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/251>, abgerufen am 01.09.2024.