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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Deutsches Aünstlerleben im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.

innig befreundet; die Gelehrten und Dichter waren seit Dante und Petrarca die
Herolde des künstlerischen Ruhmes, und nicht minder wußte das Volk seine
großen Künstler zu feiern. So waren dieselben schon damals von stolzem
Selbstbewußtsein durchdrungen und brachten fast auf allen Werken ihre Inschrift
oder ihr Selbstporträt an; sie wußten, daß sie nach ihrem Tode des ehrenden
Andenkens ihrer Mitbürger sicher seien. Und beinahe ebenso günstig wie in
Italien war die Stellung der Künstler in den Niederlanden. Auch hier genossen
sie das größte Ansehen bei den burgundischen Fürsten, auch hier wurden sie
durch preisende Inschriften und nach ihrem Tode durch ehrenvolle Grabschriften
ausgezeichnet.

Nur Deutschland hinkte den übrigen Ländern weit nach. Ganz im Gegen¬
satz zu dem italienischen und niederländischen Künstler war der deutsche Maler
des fünfzehnten Jahrhunderts noch ausschließlich zünftiger Handwerker. Wäh¬
rend dort schon die Hcmdwerksbande gesprengt waren, bezeichnet in Deutschland
das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert noch die Blütezeit des Zunftwesens.
1348 wurde die Präger, 1368 die Augsburger. 1390 die Breslauer, 1410 die
Wiener Malerinnung gegründet, und um die Mitte des fünfzehnten Jahrhun¬
derts hatte sich -- abgesehen von Nürnberg, wo die Patrizier das Entstehen
der Innungen verhinderten -- das Netz der Zünfte über ganz Deutschland aus¬
gespannt.

Wie im Mittelalter gingen daher auch jetzt noch die meisten Maler aus
Handwerkerfamilien hervor. Sie ergriffen das Handwerk des Vaters, wenn sie
auch keine besondre Anlage dazu hatten, schon deshalb, weil dem Sohne eines
Meisters manche Nachsicht gewährt wurde.

Die Schulbildung, die sie haben mußten, brauchte nicht besser zu sein als
die der andern Handwerker. Die Forderung, die L. B. Alberti an den italie¬
nischen Maler stellt, daß er "in allen freien Künsten erfahren, mit den Dichtern
und Rednern vertraut sei, um von ihnen seine geistigen Inspirationen zu holen,"
wäre in Deutschland unerfüllbar gewesen. Dürer, der schon eine bessere Er¬
ziehung erhalten hatte, schreibt: "Mein Vater, der sonderlich ein Gefallen an mir
hatte, ließ mich in die Schule gehen, und da ich schreiben und lesen gelernt,
nahm er mich wieder aus der Schule und lehrte mich das Goldschmiedwerk."
Die höchste Forderung, die gestellt werden konnte, war, daß der angehende
Künstler "recht lesen und schreiben könne und mit dem Latein auferzogen werde,
zu verstehen etliche Schriften." Man mutete damals dem Menschen eben noch
nicht jene Summe von Kenntnissen zu, die in unsern" heutigen Staate die all¬
gemeine Bildung ausmacht.

So konnten die Lehrjahre bedeutend früher beginnen als heutzutage. Ge¬
wöhnlich im dreizehnten Lebensjahre wurde der Knabe in die Werkstatt eines
angesehenen Malers gegeben. Vorzulegen hatte er dabei ein Geburtszengins,
da nur ehelich Gebornen der Gewerbebetrieb gestattet wurde. War dieser Ge-


Deutsches Aünstlerleben im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.

innig befreundet; die Gelehrten und Dichter waren seit Dante und Petrarca die
Herolde des künstlerischen Ruhmes, und nicht minder wußte das Volk seine
großen Künstler zu feiern. So waren dieselben schon damals von stolzem
Selbstbewußtsein durchdrungen und brachten fast auf allen Werken ihre Inschrift
oder ihr Selbstporträt an; sie wußten, daß sie nach ihrem Tode des ehrenden
Andenkens ihrer Mitbürger sicher seien. Und beinahe ebenso günstig wie in
Italien war die Stellung der Künstler in den Niederlanden. Auch hier genossen
sie das größte Ansehen bei den burgundischen Fürsten, auch hier wurden sie
durch preisende Inschriften und nach ihrem Tode durch ehrenvolle Grabschriften
ausgezeichnet.

Nur Deutschland hinkte den übrigen Ländern weit nach. Ganz im Gegen¬
satz zu dem italienischen und niederländischen Künstler war der deutsche Maler
des fünfzehnten Jahrhunderts noch ausschließlich zünftiger Handwerker. Wäh¬
rend dort schon die Hcmdwerksbande gesprengt waren, bezeichnet in Deutschland
das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert noch die Blütezeit des Zunftwesens.
1348 wurde die Präger, 1368 die Augsburger. 1390 die Breslauer, 1410 die
Wiener Malerinnung gegründet, und um die Mitte des fünfzehnten Jahrhun¬
derts hatte sich — abgesehen von Nürnberg, wo die Patrizier das Entstehen
der Innungen verhinderten — das Netz der Zünfte über ganz Deutschland aus¬
gespannt.

Wie im Mittelalter gingen daher auch jetzt noch die meisten Maler aus
Handwerkerfamilien hervor. Sie ergriffen das Handwerk des Vaters, wenn sie
auch keine besondre Anlage dazu hatten, schon deshalb, weil dem Sohne eines
Meisters manche Nachsicht gewährt wurde.

Die Schulbildung, die sie haben mußten, brauchte nicht besser zu sein als
die der andern Handwerker. Die Forderung, die L. B. Alberti an den italie¬
nischen Maler stellt, daß er „in allen freien Künsten erfahren, mit den Dichtern
und Rednern vertraut sei, um von ihnen seine geistigen Inspirationen zu holen,"
wäre in Deutschland unerfüllbar gewesen. Dürer, der schon eine bessere Er¬
ziehung erhalten hatte, schreibt: „Mein Vater, der sonderlich ein Gefallen an mir
hatte, ließ mich in die Schule gehen, und da ich schreiben und lesen gelernt,
nahm er mich wieder aus der Schule und lehrte mich das Goldschmiedwerk."
Die höchste Forderung, die gestellt werden konnte, war, daß der angehende
Künstler „recht lesen und schreiben könne und mit dem Latein auferzogen werde,
zu verstehen etliche Schriften." Man mutete damals dem Menschen eben noch
nicht jene Summe von Kenntnissen zu, die in unsern« heutigen Staate die all¬
gemeine Bildung ausmacht.

So konnten die Lehrjahre bedeutend früher beginnen als heutzutage. Ge¬
wöhnlich im dreizehnten Lebensjahre wurde der Knabe in die Werkstatt eines
angesehenen Malers gegeben. Vorzulegen hatte er dabei ein Geburtszengins,
da nur ehelich Gebornen der Gewerbebetrieb gestattet wurde. War dieser Ge-


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[0024] Deutsches Aünstlerleben im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. innig befreundet; die Gelehrten und Dichter waren seit Dante und Petrarca die Herolde des künstlerischen Ruhmes, und nicht minder wußte das Volk seine großen Künstler zu feiern. So waren dieselben schon damals von stolzem Selbstbewußtsein durchdrungen und brachten fast auf allen Werken ihre Inschrift oder ihr Selbstporträt an; sie wußten, daß sie nach ihrem Tode des ehrenden Andenkens ihrer Mitbürger sicher seien. Und beinahe ebenso günstig wie in Italien war die Stellung der Künstler in den Niederlanden. Auch hier genossen sie das größte Ansehen bei den burgundischen Fürsten, auch hier wurden sie durch preisende Inschriften und nach ihrem Tode durch ehrenvolle Grabschriften ausgezeichnet. Nur Deutschland hinkte den übrigen Ländern weit nach. Ganz im Gegen¬ satz zu dem italienischen und niederländischen Künstler war der deutsche Maler des fünfzehnten Jahrhunderts noch ausschließlich zünftiger Handwerker. Wäh¬ rend dort schon die Hcmdwerksbande gesprengt waren, bezeichnet in Deutschland das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert noch die Blütezeit des Zunftwesens. 1348 wurde die Präger, 1368 die Augsburger. 1390 die Breslauer, 1410 die Wiener Malerinnung gegründet, und um die Mitte des fünfzehnten Jahrhun¬ derts hatte sich — abgesehen von Nürnberg, wo die Patrizier das Entstehen der Innungen verhinderten — das Netz der Zünfte über ganz Deutschland aus¬ gespannt. Wie im Mittelalter gingen daher auch jetzt noch die meisten Maler aus Handwerkerfamilien hervor. Sie ergriffen das Handwerk des Vaters, wenn sie auch keine besondre Anlage dazu hatten, schon deshalb, weil dem Sohne eines Meisters manche Nachsicht gewährt wurde. Die Schulbildung, die sie haben mußten, brauchte nicht besser zu sein als die der andern Handwerker. Die Forderung, die L. B. Alberti an den italie¬ nischen Maler stellt, daß er „in allen freien Künsten erfahren, mit den Dichtern und Rednern vertraut sei, um von ihnen seine geistigen Inspirationen zu holen," wäre in Deutschland unerfüllbar gewesen. Dürer, der schon eine bessere Er¬ ziehung erhalten hatte, schreibt: „Mein Vater, der sonderlich ein Gefallen an mir hatte, ließ mich in die Schule gehen, und da ich schreiben und lesen gelernt, nahm er mich wieder aus der Schule und lehrte mich das Goldschmiedwerk." Die höchste Forderung, die gestellt werden konnte, war, daß der angehende Künstler „recht lesen und schreiben könne und mit dem Latein auferzogen werde, zu verstehen etliche Schriften." Man mutete damals dem Menschen eben noch nicht jene Summe von Kenntnissen zu, die in unsern« heutigen Staate die all¬ gemeine Bildung ausmacht. So konnten die Lehrjahre bedeutend früher beginnen als heutzutage. Ge¬ wöhnlich im dreizehnten Lebensjahre wurde der Knabe in die Werkstatt eines angesehenen Malers gegeben. Vorzulegen hatte er dabei ein Geburtszengins, da nur ehelich Gebornen der Gewerbebetrieb gestattet wurde. War dieser Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/24>, abgerufen am 22.11.2024.