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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Reisebriefe aus Italien vom Jahre 1.332.

sich zum Zwecke eines anständigen Begräbnisses einer der sogenannten Erzbrüder-
schafteu an, die hier über weitläufigen, mit Marmor ausgekleideten und gut er¬
leuchteten Katakomben Kapellen unterhalten; andre werden vereinzelt beigesetzt.
Die Armen begräbt man auf einem besondern Kirchhofe, der aus 366 Kellern be¬
steht. Jeder Tag hat seinen Keller, um die Todesernte aufzunehmen, die einfach
von oben hineingeworfen wird. Dann bleibt er bis zum Jahrestage geschlossen.

Der Kirchhof ist das Einzige, was in Neapel sauber gehalten wird. Aber
der nichtswürdige Lärm der Gassenjungen dringt mich hierher. Eine Bande von
solchen spielte zwischen den Denkmälern eines ihrer Wurfspiele, bei denen es sehr
leidenschaftlich hergeht. Plötzlich kam eine wütende Frau hereingerast und rief nach
ihrem Jungen, der dabei war. Um ihn ihren Wünschen geneigt zu machen, zielte
sie mit einem schweren Steine nach ihm, und sie sah darnach ans, als ob sie werfen
könnte. Der Junge wenigstens schien Erfahrungen zu haben, schrie aufs erbärm¬
lichste wie ein Affe und verließ seine Kameraden. Seine Mutter, der er weg¬
gelaufen war und die ihn mit nach Hause haben wollte, beruhigte er damit, daß
er ihr einen Teil seiner Spielbeute abtrat.

Mir hat das Volk diesmal einen weit unangenehmeren Eindruck gemacht als
vor dreizehn Jahren, vielleicht weil ich damals außerhalb der Stadt wohnte und
es doch seltner sah, während wir jetzt das furchtbare Geschrei den Tag und fast
die ganze Nacht durch zu hören hatten. Die Neapolitaner sind in der That ein
schmutziges, faules Volk, und von der Art, wie hier die kleinen Leute leben, aber
mitten in den guten Straßen, macht man sich keinen Begriff. Ich glaube, etwas hätte
die neue Regierung hier wohl bessern können, aber sie hat keinen moralischen Mut.

Früh besuchten wir die Kirche 8area> Na-ris, äst Oa,i'in!no am Mercato, um
das Denkmal Konradins von Hohenstaufen zu sehen, welches der König von Baiern
hier durch Thorwaloseu hat errichten lassen. Mir scheint es leer und einigermaßen
hölzern, wie ich denn Thorwaldsen überhaupt uicht viel Geschmack abgewinnen kann.
Er arbeitete im bewußten Gegensatz gegen Canova und die Schule Berninis. Es
ist wahr, der erstere ist weichlich, und die letztere ist meist übertrieben in den Be¬
wegungen und mcmicrirt, aber sie verstand doch elastisches Fleisch zu machen, und
das, meine ich, ist es, was mau vor allem vom Bildhauer zu verlangen hat. Der
arme Hohenstaufe wurde auf dem Platze vor der Kirche gerichtet; den Block -- ich
sah ihn früher -- bewahrt man in der gegenüberliegenden Kapelle Santa Croce auf.

Da es wieder regnete, so mußten wir die beabsichtigte Spazierfahrt über den
die Stadt krönenden Corso Vittorio Einemmale aufgeben und besuchten noch einmal
das Museum, wo uns namentlich die bronzenen Hausgeräte ans Pompeji viel In¬
teresse abgewannen. Nachmittags um vier Uhr verließen wir die Stadt, um über
Foggia nach Bologna zu fahren. Es ging die Nacht durch. Früh sahen wir über
dem Meere bei Ancona die Sonne aufgehen. Mitten in der großen Aureole der
Morgenröte leuchtete gerade an dem Punkte, wo die Sonne erscheinen mußte,
vorher das hellbliukende Licht des Leuchtturms wie der Morgenstern -- ein
eigentümlich reizvoller Anblick, dem bald die volle Majestät des Sonnenaufganges
folgte. Weißer Strand, dahinter das grüne, rot überhauchte Meer, dann der Himmel
in allen Farben hellster Glut. (Schluß folgt.)




Reisebriefe aus Italien vom Jahre 1.332.

sich zum Zwecke eines anständigen Begräbnisses einer der sogenannten Erzbrüder-
schafteu an, die hier über weitläufigen, mit Marmor ausgekleideten und gut er¬
leuchteten Katakomben Kapellen unterhalten; andre werden vereinzelt beigesetzt.
Die Armen begräbt man auf einem besondern Kirchhofe, der aus 366 Kellern be¬
steht. Jeder Tag hat seinen Keller, um die Todesernte aufzunehmen, die einfach
von oben hineingeworfen wird. Dann bleibt er bis zum Jahrestage geschlossen.

Der Kirchhof ist das Einzige, was in Neapel sauber gehalten wird. Aber
der nichtswürdige Lärm der Gassenjungen dringt mich hierher. Eine Bande von
solchen spielte zwischen den Denkmälern eines ihrer Wurfspiele, bei denen es sehr
leidenschaftlich hergeht. Plötzlich kam eine wütende Frau hereingerast und rief nach
ihrem Jungen, der dabei war. Um ihn ihren Wünschen geneigt zu machen, zielte
sie mit einem schweren Steine nach ihm, und sie sah darnach ans, als ob sie werfen
könnte. Der Junge wenigstens schien Erfahrungen zu haben, schrie aufs erbärm¬
lichste wie ein Affe und verließ seine Kameraden. Seine Mutter, der er weg¬
gelaufen war und die ihn mit nach Hause haben wollte, beruhigte er damit, daß
er ihr einen Teil seiner Spielbeute abtrat.

Mir hat das Volk diesmal einen weit unangenehmeren Eindruck gemacht als
vor dreizehn Jahren, vielleicht weil ich damals außerhalb der Stadt wohnte und
es doch seltner sah, während wir jetzt das furchtbare Geschrei den Tag und fast
die ganze Nacht durch zu hören hatten. Die Neapolitaner sind in der That ein
schmutziges, faules Volk, und von der Art, wie hier die kleinen Leute leben, aber
mitten in den guten Straßen, macht man sich keinen Begriff. Ich glaube, etwas hätte
die neue Regierung hier wohl bessern können, aber sie hat keinen moralischen Mut.

Früh besuchten wir die Kirche 8area> Na-ris, äst Oa,i'in!no am Mercato, um
das Denkmal Konradins von Hohenstaufen zu sehen, welches der König von Baiern
hier durch Thorwaloseu hat errichten lassen. Mir scheint es leer und einigermaßen
hölzern, wie ich denn Thorwaldsen überhaupt uicht viel Geschmack abgewinnen kann.
Er arbeitete im bewußten Gegensatz gegen Canova und die Schule Berninis. Es
ist wahr, der erstere ist weichlich, und die letztere ist meist übertrieben in den Be¬
wegungen und mcmicrirt, aber sie verstand doch elastisches Fleisch zu machen, und
das, meine ich, ist es, was mau vor allem vom Bildhauer zu verlangen hat. Der
arme Hohenstaufe wurde auf dem Platze vor der Kirche gerichtet; den Block — ich
sah ihn früher — bewahrt man in der gegenüberliegenden Kapelle Santa Croce auf.

Da es wieder regnete, so mußten wir die beabsichtigte Spazierfahrt über den
die Stadt krönenden Corso Vittorio Einemmale aufgeben und besuchten noch einmal
das Museum, wo uns namentlich die bronzenen Hausgeräte ans Pompeji viel In¬
teresse abgewannen. Nachmittags um vier Uhr verließen wir die Stadt, um über
Foggia nach Bologna zu fahren. Es ging die Nacht durch. Früh sahen wir über
dem Meere bei Ancona die Sonne aufgehen. Mitten in der großen Aureole der
Morgenröte leuchtete gerade an dem Punkte, wo die Sonne erscheinen mußte,
vorher das hellbliukende Licht des Leuchtturms wie der Morgenstern — ein
eigentümlich reizvoller Anblick, dem bald die volle Majestät des Sonnenaufganges
folgte. Weißer Strand, dahinter das grüne, rot überhauchte Meer, dann der Himmel
in allen Farben hellster Glut. (Schluß folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/238>, abgerufen am 25.11.2024.