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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Italienische Reisebriefe vom Jahre ^832,

Priesterinnen begleitet, im Begriff, den Orest zu opfern; ein Stieropfer: der Stier
wird herangeführt, der Priester, von zwei Frauen geleitet und gestützt, tritt aus
dein Tempel hervor, unten rechts eine Figur von sehr individuellem Ausdruck, in
welcher man den Jason vermutet; Bacchus wird an die schlummernde Ariadne
herangeführt; Dido, höchst lieblich und anmutig gebildet, und Aeneas; Diana und
Endymion; eine Jagd.

Das merkwürdigste ist aber das zuletzt entdeckte Gemälde, über welches man
vor einem Vierteljahre in den Zeitungen las. Es enthält neunzehn Figuren. Links
und im Hintergrunde römische Soldaten, im rechten Drittel eine Estrade, ans
welcher drei senatorartig gekleidete Männer sitzen, der mittlere weißhaarig; hinter
ihnen wieder römische Figuren. In der Mitte befindet sich ein Tisch, ans dem
ein kleines Kind liegt, das von einer Fran gehalten wird; davor steht ein römischer
Soldat im Helm, mit einem großen Metzgermesser in der Hand, und ist im Be¬
griff, das Kind zu zerhauen. Eine zweite Frau kniet vor dem Tribunal und fleht
zu dem Alten mit lebhafter, abwehrender Geberde empor. Alle Figuren sind
gleichmäßig disproportionirt, indem sie sehr dicke Köpfe und zierliche Beinchen und
Füßchen haben (4 Kopflängen statt 7 bis 8), sodaß der Eindruck ein karilatnrenartig
komischer ist. Es kaun keinem Zweifel unterliegen, daß hier das Urteil Scilo-
inonis dargestellt werden sollte, und das wäre denn das erste Beispiel einer bild¬
lichen Darstellung aus dem alten Testamente unter den Römern. Oder ob ein und
dieselbe Geschichte, ohne daß dies bisher literarisch bekannt war, von einem rö¬
mischen Richter oder König erzählt wurde?

Die Karikatur verliert übrigens etwas an ihrer Pointe, wenn man sieht, daß
ein zweites Bild, welches in demselben Hause gefunden wurde, die nämlichen Ver¬
hältnisse aufweist. Es ist hier eine Insel mit Haus im Nil dargestellt; ringsum
Kampf mit Krokodilen und Nilpferden. Ein solches holt sich einen Mann aus den:
Kahn und frißt ihn, während ein zweiter auf seinem Rücken steht und es mit dem
Speere sticht. Ein Menschlein wehrt sich gegen ein Krokodil vom Lande aus.
Auf einem zweiten reitet ein Figürchen; drei andre ziehen es an Stricken, die
ebenfalls am Rachen befestigt sind, zum Strande heran. Alle diese Figürchen,
koboldartig gezeichnet, sind dunkelbraun von Farbe, nnr ein Weißer schwimmt im
Wasser.

Man hat es hier somit mit dem Hause eines Mannes zu thun, der orien¬
talische Stoffe liebte; weiter läßt sich bis jetzt nichts sagen.

Nachmittags gingen wir zum Posilipp, um die Villa Brigitta aufzusuchen, in
der ich vor dreizehn Jahren gewohnt; allein der fatale Ziegen zwang uus, uicht
weit vom Ziele umzukehren.

Abends gingen wir in ein Volkstheater, wo Pulcinells als geknechteter Ehe¬
mann auftrat. Er hatte die weißen, weiten Beinkleider und Jacke, darüber aber
einen schwarzen Frack nebst schäbigen Zylinder. Merkwürdig ist, daß diese Figur
noch immer mit schwarzer Maske auftritt -- ein Ueberbleibsel der antiken Bühne --,
obschon sie sicher ohne dieselbe komischer wirken würde. Wir verstanden übrigens
nur den Gang der Handlung und einige der handgreiflichsten Witze, da im Volks-
dialekt gesprochen wurde, der hier ganz abscheulich ist. Nicht nur daß jedes Wort
aufgeweicht wird, sondern es wird auch halb verschluckt.

Heute früh unter Gewitter und strömendem Regen ins Museum. Wir gingen
zuerst in die Gemäldegalerie, die nicht umfangreich ist, aber einiges Vorzügliche


Italienische Reisebriefe vom Jahre ^832,

Priesterinnen begleitet, im Begriff, den Orest zu opfern; ein Stieropfer: der Stier
wird herangeführt, der Priester, von zwei Frauen geleitet und gestützt, tritt aus
dein Tempel hervor, unten rechts eine Figur von sehr individuellem Ausdruck, in
welcher man den Jason vermutet; Bacchus wird an die schlummernde Ariadne
herangeführt; Dido, höchst lieblich und anmutig gebildet, und Aeneas; Diana und
Endymion; eine Jagd.

Das merkwürdigste ist aber das zuletzt entdeckte Gemälde, über welches man
vor einem Vierteljahre in den Zeitungen las. Es enthält neunzehn Figuren. Links
und im Hintergrunde römische Soldaten, im rechten Drittel eine Estrade, ans
welcher drei senatorartig gekleidete Männer sitzen, der mittlere weißhaarig; hinter
ihnen wieder römische Figuren. In der Mitte befindet sich ein Tisch, ans dem
ein kleines Kind liegt, das von einer Fran gehalten wird; davor steht ein römischer
Soldat im Helm, mit einem großen Metzgermesser in der Hand, und ist im Be¬
griff, das Kind zu zerhauen. Eine zweite Frau kniet vor dem Tribunal und fleht
zu dem Alten mit lebhafter, abwehrender Geberde empor. Alle Figuren sind
gleichmäßig disproportionirt, indem sie sehr dicke Köpfe und zierliche Beinchen und
Füßchen haben (4 Kopflängen statt 7 bis 8), sodaß der Eindruck ein karilatnrenartig
komischer ist. Es kaun keinem Zweifel unterliegen, daß hier das Urteil Scilo-
inonis dargestellt werden sollte, und das wäre denn das erste Beispiel einer bild¬
lichen Darstellung aus dem alten Testamente unter den Römern. Oder ob ein und
dieselbe Geschichte, ohne daß dies bisher literarisch bekannt war, von einem rö¬
mischen Richter oder König erzählt wurde?

Die Karikatur verliert übrigens etwas an ihrer Pointe, wenn man sieht, daß
ein zweites Bild, welches in demselben Hause gefunden wurde, die nämlichen Ver¬
hältnisse aufweist. Es ist hier eine Insel mit Haus im Nil dargestellt; ringsum
Kampf mit Krokodilen und Nilpferden. Ein solches holt sich einen Mann aus den:
Kahn und frißt ihn, während ein zweiter auf seinem Rücken steht und es mit dem
Speere sticht. Ein Menschlein wehrt sich gegen ein Krokodil vom Lande aus.
Auf einem zweiten reitet ein Figürchen; drei andre ziehen es an Stricken, die
ebenfalls am Rachen befestigt sind, zum Strande heran. Alle diese Figürchen,
koboldartig gezeichnet, sind dunkelbraun von Farbe, nnr ein Weißer schwimmt im
Wasser.

Man hat es hier somit mit dem Hause eines Mannes zu thun, der orien¬
talische Stoffe liebte; weiter läßt sich bis jetzt nichts sagen.

Nachmittags gingen wir zum Posilipp, um die Villa Brigitta aufzusuchen, in
der ich vor dreizehn Jahren gewohnt; allein der fatale Ziegen zwang uus, uicht
weit vom Ziele umzukehren.

Abends gingen wir in ein Volkstheater, wo Pulcinells als geknechteter Ehe¬
mann auftrat. Er hatte die weißen, weiten Beinkleider und Jacke, darüber aber
einen schwarzen Frack nebst schäbigen Zylinder. Merkwürdig ist, daß diese Figur
noch immer mit schwarzer Maske auftritt — ein Ueberbleibsel der antiken Bühne —,
obschon sie sicher ohne dieselbe komischer wirken würde. Wir verstanden übrigens
nur den Gang der Handlung und einige der handgreiflichsten Witze, da im Volks-
dialekt gesprochen wurde, der hier ganz abscheulich ist. Nicht nur daß jedes Wort
aufgeweicht wird, sondern es wird auch halb verschluckt.

Heute früh unter Gewitter und strömendem Regen ins Museum. Wir gingen
zuerst in die Gemäldegalerie, die nicht umfangreich ist, aber einiges Vorzügliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/232>, abgerufen am 25.11.2024.