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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Heinrich Leuthold.

Porträt. Wie er so im Lehnstuhl aufrecht dasitzt, die Brauen streng zusammen¬
gezogen, den Blick scharf auf den Beschauer gerichtet, als wenn er wieder eine
seiner malitiösen Kritiken zu sagen hätte, vor der sich Schauspieler und Künstler
fürchteten, die kleine Oberlippe etwas schief emporgezogen, daß die Zahne
sichtbar werden, die Unterlippe geringschätzig vorgestreckt, die erhobene rechte
Hand im Begriff, die brennende Zigarre zum Munde zu führen, und dies alles
beherrscht durch die hohe, fein modellirte Stirn mit dem kurzen struppigen
Haare -- dieser physiognomische Eindruck bestätigt in allen Zügen das Bild des
Mannes von Geschmack, dem die Schönheit die einzige Göttin war, der Weil?,
Weib und Gesang zur Devise wählte, Dogmatiker und Systematiker mit witz¬
sprühender Lauge übergoß und in hypochondrischer Schärfe schließlich auch sich
selbst nicht genügte.

Von Haus aus war Leuthold ein Mensch, der fast einzig auf den Genuß
der Schönheit gestellt war. Geboren in der Schweiz, treibt ihn mitten in der
Studienzeit die Sehnsucht nach Italien; als Student in der juristischen Fakultät
insknbirt, b.etreibt er vornehmlich Kunst- und Literaturgeschichte und entzieht sich
so einer ruhigen Entwicklung in. den Jahren, wo man seine Lebensstellung be¬
gründen muß, zumal wenn man wie er von armer Familie stammt. Dies
wurde seinem ganzen spätern Leben verhängnisvoll, denn, ohne einen bestimmten
Beruf zu haben, mußte er schwer kämpfen, um sich von der Feder zu erhalten,
wozu er bei seiner literarischen Gewissenhaftigkeit sehr wenig geeignet war.
Aber das Dichten war eben anch seine Leidenschaft, wie er in einem seiner melo¬
dischen Ghaselen so bescheiden bekennt:


Wenn Meister auch der Kunst zu sein, vielleicht nicht meine Sendung ist,
Der Kunst, too Maß ein jeder Ton und Anmut jede Wendung ist,
Wo, wie ein Purpurmantel stets sich eine stolze, edle Form
Um Hohes oder Schönes schmiegt, und Harmonie die Endung ist:
Doch lieb' ich sie. -- O wüßten die, die mich ob dieser Neigung ost
Getadelt, wie ihr Tadel falsch, ihr Urteil voll Verblendung ist!
O wüßten sie, wie der Genuß, der Seele Wohllaut hinzustreun
Im Liede, eine göttliche, erhabene Verschwendung ist!
Doch weitab liegt das Ziel des Ruhms; schon muß auf hoher Stufe stehn
Der Dichter, um erst einzusehn, wie fern-er der Vollendung ist.

Diese Verse sind charakteristisch für Leuthold; sie zeigen, wie er die Schönheit
auffaßt. Es ist eine mehr formale Schönheitsfreude, von der sich leicht voraus¬
sehen läßt, daß sie den Dichter, wie es geschehen ist, zum einseitigen Kultus
metrischer Künste verführen, daß ihm über dem Purpurmantel, über der be¬
rauschenden Pracht der Sprache die Sache selbst in zweite Linie treten werde.
Ganz derselbe Schönheitssinn spricht sich in seiner Liebe zu den Frauen aus.
So schreibt er "Einer Italienerin":


Grenzboten III. 1W5. 28
Heinrich Leuthold.

Porträt. Wie er so im Lehnstuhl aufrecht dasitzt, die Brauen streng zusammen¬
gezogen, den Blick scharf auf den Beschauer gerichtet, als wenn er wieder eine
seiner malitiösen Kritiken zu sagen hätte, vor der sich Schauspieler und Künstler
fürchteten, die kleine Oberlippe etwas schief emporgezogen, daß die Zahne
sichtbar werden, die Unterlippe geringschätzig vorgestreckt, die erhobene rechte
Hand im Begriff, die brennende Zigarre zum Munde zu führen, und dies alles
beherrscht durch die hohe, fein modellirte Stirn mit dem kurzen struppigen
Haare — dieser physiognomische Eindruck bestätigt in allen Zügen das Bild des
Mannes von Geschmack, dem die Schönheit die einzige Göttin war, der Weil?,
Weib und Gesang zur Devise wählte, Dogmatiker und Systematiker mit witz¬
sprühender Lauge übergoß und in hypochondrischer Schärfe schließlich auch sich
selbst nicht genügte.

Von Haus aus war Leuthold ein Mensch, der fast einzig auf den Genuß
der Schönheit gestellt war. Geboren in der Schweiz, treibt ihn mitten in der
Studienzeit die Sehnsucht nach Italien; als Student in der juristischen Fakultät
insknbirt, b.etreibt er vornehmlich Kunst- und Literaturgeschichte und entzieht sich
so einer ruhigen Entwicklung in. den Jahren, wo man seine Lebensstellung be¬
gründen muß, zumal wenn man wie er von armer Familie stammt. Dies
wurde seinem ganzen spätern Leben verhängnisvoll, denn, ohne einen bestimmten
Beruf zu haben, mußte er schwer kämpfen, um sich von der Feder zu erhalten,
wozu er bei seiner literarischen Gewissenhaftigkeit sehr wenig geeignet war.
Aber das Dichten war eben anch seine Leidenschaft, wie er in einem seiner melo¬
dischen Ghaselen so bescheiden bekennt:


Wenn Meister auch der Kunst zu sein, vielleicht nicht meine Sendung ist,
Der Kunst, too Maß ein jeder Ton und Anmut jede Wendung ist,
Wo, wie ein Purpurmantel stets sich eine stolze, edle Form
Um Hohes oder Schönes schmiegt, und Harmonie die Endung ist:
Doch lieb' ich sie. — O wüßten die, die mich ob dieser Neigung ost
Getadelt, wie ihr Tadel falsch, ihr Urteil voll Verblendung ist!
O wüßten sie, wie der Genuß, der Seele Wohllaut hinzustreun
Im Liede, eine göttliche, erhabene Verschwendung ist!
Doch weitab liegt das Ziel des Ruhms; schon muß auf hoher Stufe stehn
Der Dichter, um erst einzusehn, wie fern-er der Vollendung ist.

Diese Verse sind charakteristisch für Leuthold; sie zeigen, wie er die Schönheit
auffaßt. Es ist eine mehr formale Schönheitsfreude, von der sich leicht voraus¬
sehen läßt, daß sie den Dichter, wie es geschehen ist, zum einseitigen Kultus
metrischer Künste verführen, daß ihm über dem Purpurmantel, über der be¬
rauschenden Pracht der Sprache die Sache selbst in zweite Linie treten werde.
Ganz derselbe Schönheitssinn spricht sich in seiner Liebe zu den Frauen aus.
So schreibt er „Einer Italienerin":


Grenzboten III. 1W5. 28
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[0225] Heinrich Leuthold. Porträt. Wie er so im Lehnstuhl aufrecht dasitzt, die Brauen streng zusammen¬ gezogen, den Blick scharf auf den Beschauer gerichtet, als wenn er wieder eine seiner malitiösen Kritiken zu sagen hätte, vor der sich Schauspieler und Künstler fürchteten, die kleine Oberlippe etwas schief emporgezogen, daß die Zahne sichtbar werden, die Unterlippe geringschätzig vorgestreckt, die erhobene rechte Hand im Begriff, die brennende Zigarre zum Munde zu führen, und dies alles beherrscht durch die hohe, fein modellirte Stirn mit dem kurzen struppigen Haare — dieser physiognomische Eindruck bestätigt in allen Zügen das Bild des Mannes von Geschmack, dem die Schönheit die einzige Göttin war, der Weil?, Weib und Gesang zur Devise wählte, Dogmatiker und Systematiker mit witz¬ sprühender Lauge übergoß und in hypochondrischer Schärfe schließlich auch sich selbst nicht genügte. Von Haus aus war Leuthold ein Mensch, der fast einzig auf den Genuß der Schönheit gestellt war. Geboren in der Schweiz, treibt ihn mitten in der Studienzeit die Sehnsucht nach Italien; als Student in der juristischen Fakultät insknbirt, b.etreibt er vornehmlich Kunst- und Literaturgeschichte und entzieht sich so einer ruhigen Entwicklung in. den Jahren, wo man seine Lebensstellung be¬ gründen muß, zumal wenn man wie er von armer Familie stammt. Dies wurde seinem ganzen spätern Leben verhängnisvoll, denn, ohne einen bestimmten Beruf zu haben, mußte er schwer kämpfen, um sich von der Feder zu erhalten, wozu er bei seiner literarischen Gewissenhaftigkeit sehr wenig geeignet war. Aber das Dichten war eben anch seine Leidenschaft, wie er in einem seiner melo¬ dischen Ghaselen so bescheiden bekennt: Wenn Meister auch der Kunst zu sein, vielleicht nicht meine Sendung ist, Der Kunst, too Maß ein jeder Ton und Anmut jede Wendung ist, Wo, wie ein Purpurmantel stets sich eine stolze, edle Form Um Hohes oder Schönes schmiegt, und Harmonie die Endung ist: Doch lieb' ich sie. — O wüßten die, die mich ob dieser Neigung ost Getadelt, wie ihr Tadel falsch, ihr Urteil voll Verblendung ist! O wüßten sie, wie der Genuß, der Seele Wohllaut hinzustreun Im Liede, eine göttliche, erhabene Verschwendung ist! Doch weitab liegt das Ziel des Ruhms; schon muß auf hoher Stufe stehn Der Dichter, um erst einzusehn, wie fern-er der Vollendung ist. Diese Verse sind charakteristisch für Leuthold; sie zeigen, wie er die Schönheit auffaßt. Es ist eine mehr formale Schönheitsfreude, von der sich leicht voraus¬ sehen läßt, daß sie den Dichter, wie es geschehen ist, zum einseitigen Kultus metrischer Künste verführen, daß ihm über dem Purpurmantel, über der be¬ rauschenden Pracht der Sprache die Sache selbst in zweite Linie treten werde. Ganz derselbe Schönheitssinn spricht sich in seiner Liebe zu den Frauen aus. So schreibt er „Einer Italienerin": Grenzboten III. 1W5. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/225>, abgerufen am 25.11.2024.