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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das Wachstum Berlins und der Maurerstrei?.

nungen in den besten, günstigst gelegenen Vororten (wie Friedennu und Steglitz)
eine Klasse ganz geringer, auf weiter nichts wie auf eine kleine Mietsersparnis
bedachter Familien, mit deren Vorhandensein und deren naiver Voraussetzung,
daß doch die Mietpreise hier auch fernerhin für sie erschwinglich sein müßten,
man jetzt förmlich zu kämpfen hat. Endlich, als der Gedanke des Einfamilien¬
hauses bei einer Anzahl von Leuten Wurzel zu schlagen begann, konnten manche
sich doch von der Vorstellung nicht trennen, daß alles, womöglich selbst mit
Einschluß von Speicher und Keller, ans einer Etage beisammen sein müsse; so
wenig die Leute in der Stadt vor dem Ersteigen des dritten und vierten Stock¬
werkes zurückgeschreckt waren, so treppcnscheu zeigten sie sich, wo es das eigne
Heim galt. Nun, trotz alledem ist es auf diesem Gebiete zu einer nicht verächt¬
lichen Entfaltung gekommen, und die Eröffnung der Stadtbahn, sowie die in
anerkennenswerter Weise auf bequeme Vorortsverbindung hinwirkenden Ma߬
regeln der Anhalter, Potsdamer und Görlitzer Bahn haben das Wohnen in den
Vororten außerordentlich erleichtert. Aber bei kleinen Dimensionen ist das wirk¬
liche Resultat immerhin bis heute geblieben. Die eigentliche Stadt hat, streng
genommen, außer der Tiergartenstraße keine Villenstraße; Charlottenburg,
Westend, Friedenau, Steglitz, Lichterfelde, Tempelhof, dann entlegner im Süd¬
osten Friedrichshagen, Erkner ?c. bieten deren wohl eine stattliche Anzahl, aber
doch bei weitem noch nicht in einem Umfange, welcher sich mit dem der herr¬
lichen Hamburger Villenvororte vergleichen ließe, obwohl die letztern von son¬
stiger Gunst der Verhältnisse, von Nähe der Stadt, bequemer und billiger
Verbindung mit derselben :e. zum großen Teil hinter den günstigeren Berliner
Villenvororten weit zurückstehen. Der außerordentlichen Annehmlichkeit, welche
Hamburg in dieser Hinsicht seinen Bewohnern bietet, die ja in diesen stunden¬
weiter Gartenstraßen Spaziergänge von geradezu unvergleichlichen Reizen in
stetiger Abwechslung unternehmen können, entbehrt Berlin zur Zeit noch in
einem Maße, welches man, wenn man das Vorhandensein derartiger Anlagen selbst
in vielen weit kleinern deutschen Städten in Erwägung zieht, fast schimpflich
nennen mochte. Es ist wahr, daß an den Havelseen, gegen Potsdam hin,
Villenkolonien in jüngster Zeit entstanden oder in der Bildung begriffen
sind, welche einen ähnlichen Charakter wie die Hamburger Villenvororte
tragen; aber dahin ist doch die Entfernung zu groß, als daß man ohne eine
förmliche kleine Reise hingelangen könnte, und eben darum wird doch auch
in absehbarer Zeit die Weiterentfaltung dieser Kolonien über ein bescheidnes
Maß nicht hinausgehen. Wenn jedoch in der gleichen, unzweifelhaft besten und
zukunftsvollsten Richtung, nämlich nach Westen, die trefflichsten und schönsten
Villenkolonien nur langsam wachsen, obwohl ihre Entfernung von Berlin eine
so geringe ist, daß innerhalb vou zehn Jahren Berlin bis zu ihnen, ja über
sie hinaus vorgedrungen sein muß -- dann ist dies eben nur aus der Schwer¬
fälligkeit zu erklären, die der Berliner dem Gedanken eines Hinansgehens aus


Das Wachstum Berlins und der Maurerstrei?.

nungen in den besten, günstigst gelegenen Vororten (wie Friedennu und Steglitz)
eine Klasse ganz geringer, auf weiter nichts wie auf eine kleine Mietsersparnis
bedachter Familien, mit deren Vorhandensein und deren naiver Voraussetzung,
daß doch die Mietpreise hier auch fernerhin für sie erschwinglich sein müßten,
man jetzt förmlich zu kämpfen hat. Endlich, als der Gedanke des Einfamilien¬
hauses bei einer Anzahl von Leuten Wurzel zu schlagen begann, konnten manche
sich doch von der Vorstellung nicht trennen, daß alles, womöglich selbst mit
Einschluß von Speicher und Keller, ans einer Etage beisammen sein müsse; so
wenig die Leute in der Stadt vor dem Ersteigen des dritten und vierten Stock¬
werkes zurückgeschreckt waren, so treppcnscheu zeigten sie sich, wo es das eigne
Heim galt. Nun, trotz alledem ist es auf diesem Gebiete zu einer nicht verächt¬
lichen Entfaltung gekommen, und die Eröffnung der Stadtbahn, sowie die in
anerkennenswerter Weise auf bequeme Vorortsverbindung hinwirkenden Ma߬
regeln der Anhalter, Potsdamer und Görlitzer Bahn haben das Wohnen in den
Vororten außerordentlich erleichtert. Aber bei kleinen Dimensionen ist das wirk¬
liche Resultat immerhin bis heute geblieben. Die eigentliche Stadt hat, streng
genommen, außer der Tiergartenstraße keine Villenstraße; Charlottenburg,
Westend, Friedenau, Steglitz, Lichterfelde, Tempelhof, dann entlegner im Süd¬
osten Friedrichshagen, Erkner ?c. bieten deren wohl eine stattliche Anzahl, aber
doch bei weitem noch nicht in einem Umfange, welcher sich mit dem der herr¬
lichen Hamburger Villenvororte vergleichen ließe, obwohl die letztern von son¬
stiger Gunst der Verhältnisse, von Nähe der Stadt, bequemer und billiger
Verbindung mit derselben :e. zum großen Teil hinter den günstigeren Berliner
Villenvororten weit zurückstehen. Der außerordentlichen Annehmlichkeit, welche
Hamburg in dieser Hinsicht seinen Bewohnern bietet, die ja in diesen stunden¬
weiter Gartenstraßen Spaziergänge von geradezu unvergleichlichen Reizen in
stetiger Abwechslung unternehmen können, entbehrt Berlin zur Zeit noch in
einem Maße, welches man, wenn man das Vorhandensein derartiger Anlagen selbst
in vielen weit kleinern deutschen Städten in Erwägung zieht, fast schimpflich
nennen mochte. Es ist wahr, daß an den Havelseen, gegen Potsdam hin,
Villenkolonien in jüngster Zeit entstanden oder in der Bildung begriffen
sind, welche einen ähnlichen Charakter wie die Hamburger Villenvororte
tragen; aber dahin ist doch die Entfernung zu groß, als daß man ohne eine
förmliche kleine Reise hingelangen könnte, und eben darum wird doch auch
in absehbarer Zeit die Weiterentfaltung dieser Kolonien über ein bescheidnes
Maß nicht hinausgehen. Wenn jedoch in der gleichen, unzweifelhaft besten und
zukunftsvollsten Richtung, nämlich nach Westen, die trefflichsten und schönsten
Villenkolonien nur langsam wachsen, obwohl ihre Entfernung von Berlin eine
so geringe ist, daß innerhalb vou zehn Jahren Berlin bis zu ihnen, ja über
sie hinaus vorgedrungen sein muß — dann ist dies eben nur aus der Schwer¬
fälligkeit zu erklären, die der Berliner dem Gedanken eines Hinansgehens aus


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[0221] Das Wachstum Berlins und der Maurerstrei?. nungen in den besten, günstigst gelegenen Vororten (wie Friedennu und Steglitz) eine Klasse ganz geringer, auf weiter nichts wie auf eine kleine Mietsersparnis bedachter Familien, mit deren Vorhandensein und deren naiver Voraussetzung, daß doch die Mietpreise hier auch fernerhin für sie erschwinglich sein müßten, man jetzt förmlich zu kämpfen hat. Endlich, als der Gedanke des Einfamilien¬ hauses bei einer Anzahl von Leuten Wurzel zu schlagen begann, konnten manche sich doch von der Vorstellung nicht trennen, daß alles, womöglich selbst mit Einschluß von Speicher und Keller, ans einer Etage beisammen sein müsse; so wenig die Leute in der Stadt vor dem Ersteigen des dritten und vierten Stock¬ werkes zurückgeschreckt waren, so treppcnscheu zeigten sie sich, wo es das eigne Heim galt. Nun, trotz alledem ist es auf diesem Gebiete zu einer nicht verächt¬ lichen Entfaltung gekommen, und die Eröffnung der Stadtbahn, sowie die in anerkennenswerter Weise auf bequeme Vorortsverbindung hinwirkenden Ma߬ regeln der Anhalter, Potsdamer und Görlitzer Bahn haben das Wohnen in den Vororten außerordentlich erleichtert. Aber bei kleinen Dimensionen ist das wirk¬ liche Resultat immerhin bis heute geblieben. Die eigentliche Stadt hat, streng genommen, außer der Tiergartenstraße keine Villenstraße; Charlottenburg, Westend, Friedenau, Steglitz, Lichterfelde, Tempelhof, dann entlegner im Süd¬ osten Friedrichshagen, Erkner ?c. bieten deren wohl eine stattliche Anzahl, aber doch bei weitem noch nicht in einem Umfange, welcher sich mit dem der herr¬ lichen Hamburger Villenvororte vergleichen ließe, obwohl die letztern von son¬ stiger Gunst der Verhältnisse, von Nähe der Stadt, bequemer und billiger Verbindung mit derselben :e. zum großen Teil hinter den günstigeren Berliner Villenvororten weit zurückstehen. Der außerordentlichen Annehmlichkeit, welche Hamburg in dieser Hinsicht seinen Bewohnern bietet, die ja in diesen stunden¬ weiter Gartenstraßen Spaziergänge von geradezu unvergleichlichen Reizen in stetiger Abwechslung unternehmen können, entbehrt Berlin zur Zeit noch in einem Maße, welches man, wenn man das Vorhandensein derartiger Anlagen selbst in vielen weit kleinern deutschen Städten in Erwägung zieht, fast schimpflich nennen mochte. Es ist wahr, daß an den Havelseen, gegen Potsdam hin, Villenkolonien in jüngster Zeit entstanden oder in der Bildung begriffen sind, welche einen ähnlichen Charakter wie die Hamburger Villenvororte tragen; aber dahin ist doch die Entfernung zu groß, als daß man ohne eine förmliche kleine Reise hingelangen könnte, und eben darum wird doch auch in absehbarer Zeit die Weiterentfaltung dieser Kolonien über ein bescheidnes Maß nicht hinausgehen. Wenn jedoch in der gleichen, unzweifelhaft besten und zukunftsvollsten Richtung, nämlich nach Westen, die trefflichsten und schönsten Villenkolonien nur langsam wachsen, obwohl ihre Entfernung von Berlin eine so geringe ist, daß innerhalb vou zehn Jahren Berlin bis zu ihnen, ja über sie hinaus vorgedrungen sein muß — dann ist dies eben nur aus der Schwer¬ fälligkeit zu erklären, die der Berliner dem Gedanken eines Hinansgehens aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/221>, abgerufen am 01.09.2024.