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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das richterliche Urteil und die Phrase.

berufen, diese Bemerkung als eine "unschickliche, ja gehässige" zu kritisiren. Bei
Beurteilung der Strafzumessungsgründe rechnet das Urteil dem Angeklagten zur
Milderung an, daß er der jüdischen Konfession angehöre, und sagt in dieser
Beziehung: "Derjenige müßte seinen Glauben und den seiner Väter nicht lieb
habe", der nicht schicßlich tief gereizt und innerlich empört würde, wenn er
Angriffe sieht und wiederum sieht auf seinen Glauben und die Gleichberechtigung
seines Glaubens, zumal wenn diese Angriffe von einem Geistlichen kommen."
Wir lassen die Frage jenes Milderungsgrundes an sich völlig dahingestellt.
Was aber die angeführte Begründung betrifft, so ist ja völlig notorisch, daß
nach der Ansicht Unzähliger die neuere Bewegung gegen die Juden, an welcher
auch Stöcker hervorragend teilgenommen hat, ihren Grund und ihre Berechtigung
hat nicht in dem Glaube", sondern in ganz andern Eigenschaften, die man dem
jüdischen Volksstamme beimißt, Eigenschaften, für die man auch die angeschul¬
digten Artikel als Beleg anführen könnte. Es ist mich nicht bekannt geworden,
daß Stöcker in einem andern Sinne sich an dieser Bewegung beteiligt habe.
Es war daher durchaus nicht wohl angebracht, den Angeklagten gleichsam zu
glorifiziren, daß er aus Liebe zu seinem und seiner Väter Glauben in gerechte
Empörung geraten sei gegen einen Geistlichen, der diesen Glanben verfolge.
Ein Glaubensmärtyrer ist der Redakteur der "Freien Zeitung" doch gewiß nicht.
Gerade in einer Frage dieser Art sollte jeder Gerichtshof sich aufs strengste
auch vor dem Scheine einer Parteinahme hüten. Über die Frage, ob Stöcker
in seiner Stellung als Geistlicher einen besondern Schutz verdiene, sagt dann
das Urteil: "Der Gerichtshof ist gern gewillt, dem Geistlichen, als dem Ver¬
künder des göttlichen Wortes von Liebe und Versöhnung, den von der Staats¬
anwaltschaft mit Recht verlangten besondern Schutz des Gesetzes angedeihen zu
lassen, und zwar deshalb, weil gerade die Stellung des Geistlichen diejenige ist, in
der das Vertrauen der großen Menge auf seine Wahrhaftigkeit wurzelt und zu dem
(zu ihm?) die große Menge als Zeugen der göttlichen Weltordnung mit besondrer
Andacht und Verehrung emporblickt. Aber dieser besondre Schutz des Gesetzes
setzt voraus, daß der Geistliche sich nicht mischt in politische Agitation, daß er
seinerseits von der politischen Agitation deshalb sich fern hält, weil er, wenn
er angreift, Angriffe gewärtigen muß, und weil, wenn er in der Brandung der
politischen Agitation steht, er sich nicht wundern und sich nicht beklagen kann,
wenn diese nicht immer klare Flut auch ihn mit ihrem Schaum, wenn ich nicht
sage" soll Schlamm, zum Teil begießt." Auch hier wäre die Sache sehr einfach
auszudrücken gewesen, wenn der Vorsitzende gesagt hätte, daß ein Geistlicher,
der sich an politischen Agitationen beteilige, gegen Angriffe, die auf diesem Ge¬
biete gegen ihn gerichtet werden, keinen besondern Schutz beanspruchen könne.
Statt dessen ergeht sich das Urteil in einem Wortschwall, der, wenn er auch
vielleicht nur aus oratorischen Bedürfnis hervorgegangen ist, doch, wie sich das
Gericht selbst sagen mußte, zu der naheliegenden Auffassung führt, es habe damit


Das richterliche Urteil und die Phrase.

berufen, diese Bemerkung als eine „unschickliche, ja gehässige" zu kritisiren. Bei
Beurteilung der Strafzumessungsgründe rechnet das Urteil dem Angeklagten zur
Milderung an, daß er der jüdischen Konfession angehöre, und sagt in dieser
Beziehung: „Derjenige müßte seinen Glauben und den seiner Väter nicht lieb
habe», der nicht schicßlich tief gereizt und innerlich empört würde, wenn er
Angriffe sieht und wiederum sieht auf seinen Glauben und die Gleichberechtigung
seines Glaubens, zumal wenn diese Angriffe von einem Geistlichen kommen."
Wir lassen die Frage jenes Milderungsgrundes an sich völlig dahingestellt.
Was aber die angeführte Begründung betrifft, so ist ja völlig notorisch, daß
nach der Ansicht Unzähliger die neuere Bewegung gegen die Juden, an welcher
auch Stöcker hervorragend teilgenommen hat, ihren Grund und ihre Berechtigung
hat nicht in dem Glaube», sondern in ganz andern Eigenschaften, die man dem
jüdischen Volksstamme beimißt, Eigenschaften, für die man auch die angeschul¬
digten Artikel als Beleg anführen könnte. Es ist mich nicht bekannt geworden,
daß Stöcker in einem andern Sinne sich an dieser Bewegung beteiligt habe.
Es war daher durchaus nicht wohl angebracht, den Angeklagten gleichsam zu
glorifiziren, daß er aus Liebe zu seinem und seiner Väter Glauben in gerechte
Empörung geraten sei gegen einen Geistlichen, der diesen Glanben verfolge.
Ein Glaubensmärtyrer ist der Redakteur der „Freien Zeitung" doch gewiß nicht.
Gerade in einer Frage dieser Art sollte jeder Gerichtshof sich aufs strengste
auch vor dem Scheine einer Parteinahme hüten. Über die Frage, ob Stöcker
in seiner Stellung als Geistlicher einen besondern Schutz verdiene, sagt dann
das Urteil: „Der Gerichtshof ist gern gewillt, dem Geistlichen, als dem Ver¬
künder des göttlichen Wortes von Liebe und Versöhnung, den von der Staats¬
anwaltschaft mit Recht verlangten besondern Schutz des Gesetzes angedeihen zu
lassen, und zwar deshalb, weil gerade die Stellung des Geistlichen diejenige ist, in
der das Vertrauen der großen Menge auf seine Wahrhaftigkeit wurzelt und zu dem
(zu ihm?) die große Menge als Zeugen der göttlichen Weltordnung mit besondrer
Andacht und Verehrung emporblickt. Aber dieser besondre Schutz des Gesetzes
setzt voraus, daß der Geistliche sich nicht mischt in politische Agitation, daß er
seinerseits von der politischen Agitation deshalb sich fern hält, weil er, wenn
er angreift, Angriffe gewärtigen muß, und weil, wenn er in der Brandung der
politischen Agitation steht, er sich nicht wundern und sich nicht beklagen kann,
wenn diese nicht immer klare Flut auch ihn mit ihrem Schaum, wenn ich nicht
sage» soll Schlamm, zum Teil begießt." Auch hier wäre die Sache sehr einfach
auszudrücken gewesen, wenn der Vorsitzende gesagt hätte, daß ein Geistlicher,
der sich an politischen Agitationen beteilige, gegen Angriffe, die auf diesem Ge¬
biete gegen ihn gerichtet werden, keinen besondern Schutz beanspruchen könne.
Statt dessen ergeht sich das Urteil in einem Wortschwall, der, wenn er auch
vielleicht nur aus oratorischen Bedürfnis hervorgegangen ist, doch, wie sich das
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[0021] Das richterliche Urteil und die Phrase. berufen, diese Bemerkung als eine „unschickliche, ja gehässige" zu kritisiren. Bei Beurteilung der Strafzumessungsgründe rechnet das Urteil dem Angeklagten zur Milderung an, daß er der jüdischen Konfession angehöre, und sagt in dieser Beziehung: „Derjenige müßte seinen Glauben und den seiner Väter nicht lieb habe», der nicht schicßlich tief gereizt und innerlich empört würde, wenn er Angriffe sieht und wiederum sieht auf seinen Glauben und die Gleichberechtigung seines Glaubens, zumal wenn diese Angriffe von einem Geistlichen kommen." Wir lassen die Frage jenes Milderungsgrundes an sich völlig dahingestellt. Was aber die angeführte Begründung betrifft, so ist ja völlig notorisch, daß nach der Ansicht Unzähliger die neuere Bewegung gegen die Juden, an welcher auch Stöcker hervorragend teilgenommen hat, ihren Grund und ihre Berechtigung hat nicht in dem Glaube», sondern in ganz andern Eigenschaften, die man dem jüdischen Volksstamme beimißt, Eigenschaften, für die man auch die angeschul¬ digten Artikel als Beleg anführen könnte. Es ist mich nicht bekannt geworden, daß Stöcker in einem andern Sinne sich an dieser Bewegung beteiligt habe. Es war daher durchaus nicht wohl angebracht, den Angeklagten gleichsam zu glorifiziren, daß er aus Liebe zu seinem und seiner Väter Glauben in gerechte Empörung geraten sei gegen einen Geistlichen, der diesen Glanben verfolge. Ein Glaubensmärtyrer ist der Redakteur der „Freien Zeitung" doch gewiß nicht. Gerade in einer Frage dieser Art sollte jeder Gerichtshof sich aufs strengste auch vor dem Scheine einer Parteinahme hüten. Über die Frage, ob Stöcker in seiner Stellung als Geistlicher einen besondern Schutz verdiene, sagt dann das Urteil: „Der Gerichtshof ist gern gewillt, dem Geistlichen, als dem Ver¬ künder des göttlichen Wortes von Liebe und Versöhnung, den von der Staats¬ anwaltschaft mit Recht verlangten besondern Schutz des Gesetzes angedeihen zu lassen, und zwar deshalb, weil gerade die Stellung des Geistlichen diejenige ist, in der das Vertrauen der großen Menge auf seine Wahrhaftigkeit wurzelt und zu dem (zu ihm?) die große Menge als Zeugen der göttlichen Weltordnung mit besondrer Andacht und Verehrung emporblickt. Aber dieser besondre Schutz des Gesetzes setzt voraus, daß der Geistliche sich nicht mischt in politische Agitation, daß er seinerseits von der politischen Agitation deshalb sich fern hält, weil er, wenn er angreift, Angriffe gewärtigen muß, und weil, wenn er in der Brandung der politischen Agitation steht, er sich nicht wundern und sich nicht beklagen kann, wenn diese nicht immer klare Flut auch ihn mit ihrem Schaum, wenn ich nicht sage» soll Schlamm, zum Teil begießt." Auch hier wäre die Sache sehr einfach auszudrücken gewesen, wenn der Vorsitzende gesagt hätte, daß ein Geistlicher, der sich an politischen Agitationen beteilige, gegen Angriffe, die auf diesem Ge¬ biete gegen ihn gerichtet werden, keinen besondern Schutz beanspruchen könne. Statt dessen ergeht sich das Urteil in einem Wortschwall, der, wenn er auch vielleicht nur aus oratorischen Bedürfnis hervorgegangen ist, doch, wie sich das Gericht selbst sagen mußte, zu der naheliegenden Auffassung führt, es habe damit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/21>, abgerufen am 22.11.2024.