Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Vio Russen in Zentralasien.

Von da an versank Turan für uns in Dunkel und Einsamkeit, und erst als die
Russen sich den Weg nach seinen Oasen zu bahnen begannen, tauchte es all¬
mählich aus seiner Vergessenheit auf.

Die Russen fanden hier drei Reiche oder Charade vor: im Westen, am
untern Laufe des Ann Darja, die. Oase Chiw a mit den von ihr aus be¬
herrschte", bis zum Kaspisee reichenden Steppe", östlich davon, am mittlern
Laufe jenes Stromes, sowie im Flußgebiete des Sariawschcm Buchara und
noch weiter im Osten, zwischen letzterem und den Bergketten des Tjcmschan und
andrerseits zwischen dem Gebiet Karatcpin und dem der großen Kirgisenhorde
Kvkand.

Die Bevölkerung dieser drei Länder setzt sich aus sehr verschiednen Ele¬
menten zusammen: sie besteht vorwiegend aus Usbeken und Tadschiks, wozu
uoch Turkmenen und Kirgisen, einige Afghanen, Hindki, Araber und Juden, in
Nordchiwa einige Karakalpaken und in Kokand ein paar tausend Karakirgisen
oder Burjäten kommen. Die Usbeken, ein Volk türkischen Stammes, leben
größtenteils von Feld- und Gartenbau und nur hin und wieder von nomadisch
betriebener Viehzucht. Man kann sie in Chiwa und Kokand als die herrschende
Nasse bezeichnen, insofern hier aus ihnen die Befehlshaber der Truppen und
die obersten Beamten genommen wurden. In Buchara sind die Tadschiks zu
bedeutendem Einflüsse gelangt, Leute iranischer Abkunft, die sich infolge
ihres stark ausgeprägten Erwerbssinnes, der mit einem weiten Gewissen ver¬
bunden zu sein Pflegt, leicht zu reichem Besitze verhelfen und dnrch schweigsamen
Charakter sich den Herrschern zu Werkzeugen empfehlen. Die Tadschiks, die
sämtlich seßhaft sind und meist als Kaufleute, Handwerker, Stcuerpächter,
Schreiber oder Mullahs in den Städten leben, sind den Usbeken verhaßt und
werden von ihnen mit dem Spitznamen Sarten, d. h. Gauner, bezeichnet. Die
Usbeken sind fanatische silmiliter, die Tadschiks meist Schiiten und in Religions¬
sachen durchgehends so gleichgiltig, wie sie lax von Sitten sind. Die Turkmenen,
der Herkunft und Sprache nach Verwandte der Usbeken, sind fast ohne Aus¬
nahme wandernde Viehzüchter und daneben Räuber, welche den Karawanen der
Steppen auflauern und nach Persien, Afghanistan und. Nußland häufig Züge
zur Wegschleppuug von Leuten nach den benachbarten Sklavenmärktcn unter¬
nehmen. Sie spielten diese Rolle namentlich vom Gebiete Chiwas aus. Ähn¬
liches gilt von den Kirgisen in diesem Chanat, die gleichfalls Nomaden sind,
und von den Vurjütenstämmen der Kiptschaken und Naimanen, die in Kokand
zu beträchtlichem Einfluß auf das Schicksal des Laudes gelangten.

Die Abneigung dieser verschiednen Völkerschaften gegeneinander und die
daraus sich häufig entwickelnden Kämpfe schwachem die von ihnen bewohnten
Staaten und machten sie zu ernstem Widerstande nach außen hin unfähig, und
die despotische, meist schlaffe, oft unverständige Art, wie die Chane regierten,
war nicht geeignet, das zu bessern. Die Herrscher waren nicht selten grausam


Vio Russen in Zentralasien.

Von da an versank Turan für uns in Dunkel und Einsamkeit, und erst als die
Russen sich den Weg nach seinen Oasen zu bahnen begannen, tauchte es all¬
mählich aus seiner Vergessenheit auf.

Die Russen fanden hier drei Reiche oder Charade vor: im Westen, am
untern Laufe des Ann Darja, die. Oase Chiw a mit den von ihr aus be¬
herrschte», bis zum Kaspisee reichenden Steppe», östlich davon, am mittlern
Laufe jenes Stromes, sowie im Flußgebiete des Sariawschcm Buchara und
noch weiter im Osten, zwischen letzterem und den Bergketten des Tjcmschan und
andrerseits zwischen dem Gebiet Karatcpin und dem der großen Kirgisenhorde
Kvkand.

Die Bevölkerung dieser drei Länder setzt sich aus sehr verschiednen Ele¬
menten zusammen: sie besteht vorwiegend aus Usbeken und Tadschiks, wozu
uoch Turkmenen und Kirgisen, einige Afghanen, Hindki, Araber und Juden, in
Nordchiwa einige Karakalpaken und in Kokand ein paar tausend Karakirgisen
oder Burjäten kommen. Die Usbeken, ein Volk türkischen Stammes, leben
größtenteils von Feld- und Gartenbau und nur hin und wieder von nomadisch
betriebener Viehzucht. Man kann sie in Chiwa und Kokand als die herrschende
Nasse bezeichnen, insofern hier aus ihnen die Befehlshaber der Truppen und
die obersten Beamten genommen wurden. In Buchara sind die Tadschiks zu
bedeutendem Einflüsse gelangt, Leute iranischer Abkunft, die sich infolge
ihres stark ausgeprägten Erwerbssinnes, der mit einem weiten Gewissen ver¬
bunden zu sein Pflegt, leicht zu reichem Besitze verhelfen und dnrch schweigsamen
Charakter sich den Herrschern zu Werkzeugen empfehlen. Die Tadschiks, die
sämtlich seßhaft sind und meist als Kaufleute, Handwerker, Stcuerpächter,
Schreiber oder Mullahs in den Städten leben, sind den Usbeken verhaßt und
werden von ihnen mit dem Spitznamen Sarten, d. h. Gauner, bezeichnet. Die
Usbeken sind fanatische silmiliter, die Tadschiks meist Schiiten und in Religions¬
sachen durchgehends so gleichgiltig, wie sie lax von Sitten sind. Die Turkmenen,
der Herkunft und Sprache nach Verwandte der Usbeken, sind fast ohne Aus¬
nahme wandernde Viehzüchter und daneben Räuber, welche den Karawanen der
Steppen auflauern und nach Persien, Afghanistan und. Nußland häufig Züge
zur Wegschleppuug von Leuten nach den benachbarten Sklavenmärktcn unter¬
nehmen. Sie spielten diese Rolle namentlich vom Gebiete Chiwas aus. Ähn¬
liches gilt von den Kirgisen in diesem Chanat, die gleichfalls Nomaden sind,
und von den Vurjütenstämmen der Kiptschaken und Naimanen, die in Kokand
zu beträchtlichem Einfluß auf das Schicksal des Laudes gelangten.

Die Abneigung dieser verschiednen Völkerschaften gegeneinander und die
daraus sich häufig entwickelnden Kämpfe schwachem die von ihnen bewohnten
Staaten und machten sie zu ernstem Widerstande nach außen hin unfähig, und
die despotische, meist schlaffe, oft unverständige Art, wie die Chane regierten,
war nicht geeignet, das zu bessern. Die Herrscher waren nicht selten grausam


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196302"/>
          <fw type="header" place="top"> Vio Russen in Zentralasien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782"> Von da an versank Turan für uns in Dunkel und Einsamkeit, und erst als die<lb/>
Russen sich den Weg nach seinen Oasen zu bahnen begannen, tauchte es all¬<lb/>
mählich aus seiner Vergessenheit auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_784"> Die Russen fanden hier drei Reiche oder Charade vor: im Westen, am<lb/>
untern Laufe des Ann Darja, die. Oase Chiw a mit den von ihr aus be¬<lb/>
herrschte», bis zum Kaspisee reichenden Steppe», östlich davon, am mittlern<lb/>
Laufe jenes Stromes, sowie im Flußgebiete des Sariawschcm Buchara und<lb/>
noch weiter im Osten, zwischen letzterem und den Bergketten des Tjcmschan und<lb/>
andrerseits zwischen dem Gebiet Karatcpin und dem der großen Kirgisenhorde<lb/>
Kvkand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_785"> Die Bevölkerung dieser drei Länder setzt sich aus sehr verschiednen Ele¬<lb/>
menten zusammen: sie besteht vorwiegend aus Usbeken und Tadschiks, wozu<lb/>
uoch Turkmenen und Kirgisen, einige Afghanen, Hindki, Araber und Juden, in<lb/>
Nordchiwa einige Karakalpaken und in Kokand ein paar tausend Karakirgisen<lb/>
oder Burjäten kommen. Die Usbeken, ein Volk türkischen Stammes, leben<lb/>
größtenteils von Feld- und Gartenbau und nur hin und wieder von nomadisch<lb/>
betriebener Viehzucht. Man kann sie in Chiwa und Kokand als die herrschende<lb/>
Nasse bezeichnen, insofern hier aus ihnen die Befehlshaber der Truppen und<lb/>
die obersten Beamten genommen wurden. In Buchara sind die Tadschiks zu<lb/>
bedeutendem Einflüsse gelangt, Leute iranischer Abkunft, die sich infolge<lb/>
ihres stark ausgeprägten Erwerbssinnes, der mit einem weiten Gewissen ver¬<lb/>
bunden zu sein Pflegt, leicht zu reichem Besitze verhelfen und dnrch schweigsamen<lb/>
Charakter sich den Herrschern zu Werkzeugen empfehlen. Die Tadschiks, die<lb/>
sämtlich seßhaft sind und meist als Kaufleute, Handwerker, Stcuerpächter,<lb/>
Schreiber oder Mullahs in den Städten leben, sind den Usbeken verhaßt und<lb/>
werden von ihnen mit dem Spitznamen Sarten, d. h. Gauner, bezeichnet. Die<lb/>
Usbeken sind fanatische silmiliter, die Tadschiks meist Schiiten und in Religions¬<lb/>
sachen durchgehends so gleichgiltig, wie sie lax von Sitten sind. Die Turkmenen,<lb/>
der Herkunft und Sprache nach Verwandte der Usbeken, sind fast ohne Aus¬<lb/>
nahme wandernde Viehzüchter und daneben Räuber, welche den Karawanen der<lb/>
Steppen auflauern und nach Persien, Afghanistan und. Nußland häufig Züge<lb/>
zur Wegschleppuug von Leuten nach den benachbarten Sklavenmärktcn unter¬<lb/>
nehmen. Sie spielten diese Rolle namentlich vom Gebiete Chiwas aus. Ähn¬<lb/>
liches gilt von den Kirgisen in diesem Chanat, die gleichfalls Nomaden sind,<lb/>
und von den Vurjütenstämmen der Kiptschaken und Naimanen, die in Kokand<lb/>
zu beträchtlichem Einfluß auf das Schicksal des Laudes gelangten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_786" next="#ID_787"> Die Abneigung dieser verschiednen Völkerschaften gegeneinander und die<lb/>
daraus sich häufig entwickelnden Kämpfe schwachem die von ihnen bewohnten<lb/>
Staaten und machten sie zu ernstem Widerstande nach außen hin unfähig, und<lb/>
die despotische, meist schlaffe, oft unverständige Art, wie die Chane regierten,<lb/>
war nicht geeignet, das zu bessern. Die Herrscher waren nicht selten grausam</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Vio Russen in Zentralasien. Von da an versank Turan für uns in Dunkel und Einsamkeit, und erst als die Russen sich den Weg nach seinen Oasen zu bahnen begannen, tauchte es all¬ mählich aus seiner Vergessenheit auf. Die Russen fanden hier drei Reiche oder Charade vor: im Westen, am untern Laufe des Ann Darja, die. Oase Chiw a mit den von ihr aus be¬ herrschte», bis zum Kaspisee reichenden Steppe», östlich davon, am mittlern Laufe jenes Stromes, sowie im Flußgebiete des Sariawschcm Buchara und noch weiter im Osten, zwischen letzterem und den Bergketten des Tjcmschan und andrerseits zwischen dem Gebiet Karatcpin und dem der großen Kirgisenhorde Kvkand. Die Bevölkerung dieser drei Länder setzt sich aus sehr verschiednen Ele¬ menten zusammen: sie besteht vorwiegend aus Usbeken und Tadschiks, wozu uoch Turkmenen und Kirgisen, einige Afghanen, Hindki, Araber und Juden, in Nordchiwa einige Karakalpaken und in Kokand ein paar tausend Karakirgisen oder Burjäten kommen. Die Usbeken, ein Volk türkischen Stammes, leben größtenteils von Feld- und Gartenbau und nur hin und wieder von nomadisch betriebener Viehzucht. Man kann sie in Chiwa und Kokand als die herrschende Nasse bezeichnen, insofern hier aus ihnen die Befehlshaber der Truppen und die obersten Beamten genommen wurden. In Buchara sind die Tadschiks zu bedeutendem Einflüsse gelangt, Leute iranischer Abkunft, die sich infolge ihres stark ausgeprägten Erwerbssinnes, der mit einem weiten Gewissen ver¬ bunden zu sein Pflegt, leicht zu reichem Besitze verhelfen und dnrch schweigsamen Charakter sich den Herrschern zu Werkzeugen empfehlen. Die Tadschiks, die sämtlich seßhaft sind und meist als Kaufleute, Handwerker, Stcuerpächter, Schreiber oder Mullahs in den Städten leben, sind den Usbeken verhaßt und werden von ihnen mit dem Spitznamen Sarten, d. h. Gauner, bezeichnet. Die Usbeken sind fanatische silmiliter, die Tadschiks meist Schiiten und in Religions¬ sachen durchgehends so gleichgiltig, wie sie lax von Sitten sind. Die Turkmenen, der Herkunft und Sprache nach Verwandte der Usbeken, sind fast ohne Aus¬ nahme wandernde Viehzüchter und daneben Räuber, welche den Karawanen der Steppen auflauern und nach Persien, Afghanistan und. Nußland häufig Züge zur Wegschleppuug von Leuten nach den benachbarten Sklavenmärktcn unter¬ nehmen. Sie spielten diese Rolle namentlich vom Gebiete Chiwas aus. Ähn¬ liches gilt von den Kirgisen in diesem Chanat, die gleichfalls Nomaden sind, und von den Vurjütenstämmen der Kiptschaken und Naimanen, die in Kokand zu beträchtlichem Einfluß auf das Schicksal des Laudes gelangten. Die Abneigung dieser verschiednen Völkerschaften gegeneinander und die daraus sich häufig entwickelnden Kämpfe schwachem die von ihnen bewohnten Staaten und machten sie zu ernstem Widerstande nach außen hin unfähig, und die despotische, meist schlaffe, oft unverständige Art, wie die Chane regierten, war nicht geeignet, das zu bessern. Die Herrscher waren nicht selten grausam

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/202>, abgerufen am 25.11.2024.