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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Salisbury und der Mcchdi.

übermittelten Vorräte zu retten und nach Ägypten mitzunehmen. Zehn Wochen
lang marschirten die braven Soldaten eines mittelmäßigen Generals, nachdem
sie von dem fernen Merawi aufgebrochen waren, stromabwärts, und am 26. Juni
befand sich fast das gesamte Heer im Norden von Dongola. Nur ein Bataillon
Infanterie, eine Schwadron Reiterei und eine Batterie waren an jenem Tage
noch in dieser Stadt verblieben. Neben dem Rückzüge der Truppen aber vollzog
sich eine höchst jammervolle Auswanderung. Die Eingebornen, welche sich
freundlich zu jenen gestellt und ihnen allerhand Dienste geleistet hatten, flüchteten
jetzt in unregelmäßigem Rückzüge an der Seite des regelmüßigen zu taufenden
nach dem Norden. Man hatte sie euglischerseits durch Versprechungen bewogen,
sür die Bekämpfung des Mahdi zu arbeiten, und jetzt sie, gedrängt durch das
Klima und durch die Rücksicht auf die Möglichkeit eines Krieges in Mittelasien,
unbarmherzig verlassen. Wenn sie flohen, so verließen sie Haus und Hof, so
verloren sie ihr gesamtes unbewegliches Eigentum, was ungefähr den Verlust
aller Mittel zum Lebensunterhalt bedeutete; wenn sie blieben, so ergaben sie
sich dem Propheten und seinen fanatischen und beutegierigen Anhängern auf
Gnade und Ungnade, sie standen also durch die Schuld der britischen Bundes¬
genossen vor einer Alternative, die ihnen zurief: Spring in den Abgrund vor
dir oder laß dich vom Löwen hinter dir fressen! "Zwölftauseudsiebenhundert
unglückliche Flüchtlinge haben, so schreibt ein englischer Stabsoffizier, Dongola
verlassen, alle Mann für Mann sind zu gründe gerichtet, und die große
Mehrzahl wird verhungern; denn wenn man diese Leute von ihrem Stückchen
Feld am Flusse mit seiner Sakijeh ^Wasserschöpfmaschine zum Bewässern des
Landes^ und seiner Kuh wegnimmt, so bleiben ihnen nicht die geringsten Mittel
übrig, um das Leben weiter zu fristen... Außer diesen, so heißt es in dem be¬
treffenden Briefe weiter, sahen wir viele andre ans den Rädern ihrer eignen
Schöpfmaschine den Strom hinabtreiben, wobei sie eine unaussprechlich schwer¬
mütige Miene zeigten und ohne Zweifel über die gebrochnen Zusagen derer
nachdachten, welchen sie ihr Vertrauen geschenkt hatten." ... "Dongola, so klagt
ein andrer Bericht, war eine wohlhabende Stadt und Gegend, die recht gut
gedieh. Wir haben es als Trümmerstätte und so verwüstet und ausgesogen
hinter uns gelassen, daß man selbst die Lebensmittel, die nur eine schwache
Garnison bedarf, mit Mühe und Schwierigkeit, wenn überhaupt, zu beschaffen
imstande sein wird."

Das Zögern Gladstones, Gordon mit Truppen zu Hilfe zu kommen, und das
dann folgende langsame Vorrücken Wolselehs durch das Nilthal statt von Suakin
nach Berber, ließen die große Expedition mißlingen, zu der Gladstone endlich
von der konservativen Oppositionspartei gezwungen wurde, und England hatte
nicht bloß den Untergang eines Helden zu betrauern, sondern es lud auch den
Vorwurf auf sich, welcher in jenem Schauspiel eines wüste gelegten Landes
und einer bis dahin zufriedner, jetzt rmnirten Bevölkerung lag, die, um nicht


Salisbury und der Mcchdi.

übermittelten Vorräte zu retten und nach Ägypten mitzunehmen. Zehn Wochen
lang marschirten die braven Soldaten eines mittelmäßigen Generals, nachdem
sie von dem fernen Merawi aufgebrochen waren, stromabwärts, und am 26. Juni
befand sich fast das gesamte Heer im Norden von Dongola. Nur ein Bataillon
Infanterie, eine Schwadron Reiterei und eine Batterie waren an jenem Tage
noch in dieser Stadt verblieben. Neben dem Rückzüge der Truppen aber vollzog
sich eine höchst jammervolle Auswanderung. Die Eingebornen, welche sich
freundlich zu jenen gestellt und ihnen allerhand Dienste geleistet hatten, flüchteten
jetzt in unregelmäßigem Rückzüge an der Seite des regelmüßigen zu taufenden
nach dem Norden. Man hatte sie euglischerseits durch Versprechungen bewogen,
sür die Bekämpfung des Mahdi zu arbeiten, und jetzt sie, gedrängt durch das
Klima und durch die Rücksicht auf die Möglichkeit eines Krieges in Mittelasien,
unbarmherzig verlassen. Wenn sie flohen, so verließen sie Haus und Hof, so
verloren sie ihr gesamtes unbewegliches Eigentum, was ungefähr den Verlust
aller Mittel zum Lebensunterhalt bedeutete; wenn sie blieben, so ergaben sie
sich dem Propheten und seinen fanatischen und beutegierigen Anhängern auf
Gnade und Ungnade, sie standen also durch die Schuld der britischen Bundes¬
genossen vor einer Alternative, die ihnen zurief: Spring in den Abgrund vor
dir oder laß dich vom Löwen hinter dir fressen! „Zwölftauseudsiebenhundert
unglückliche Flüchtlinge haben, so schreibt ein englischer Stabsoffizier, Dongola
verlassen, alle Mann für Mann sind zu gründe gerichtet, und die große
Mehrzahl wird verhungern; denn wenn man diese Leute von ihrem Stückchen
Feld am Flusse mit seiner Sakijeh ^Wasserschöpfmaschine zum Bewässern des
Landes^ und seiner Kuh wegnimmt, so bleiben ihnen nicht die geringsten Mittel
übrig, um das Leben weiter zu fristen... Außer diesen, so heißt es in dem be¬
treffenden Briefe weiter, sahen wir viele andre ans den Rädern ihrer eignen
Schöpfmaschine den Strom hinabtreiben, wobei sie eine unaussprechlich schwer¬
mütige Miene zeigten und ohne Zweifel über die gebrochnen Zusagen derer
nachdachten, welchen sie ihr Vertrauen geschenkt hatten." ... „Dongola, so klagt
ein andrer Bericht, war eine wohlhabende Stadt und Gegend, die recht gut
gedieh. Wir haben es als Trümmerstätte und so verwüstet und ausgesogen
hinter uns gelassen, daß man selbst die Lebensmittel, die nur eine schwache
Garnison bedarf, mit Mühe und Schwierigkeit, wenn überhaupt, zu beschaffen
imstande sein wird."

Das Zögern Gladstones, Gordon mit Truppen zu Hilfe zu kommen, und das
dann folgende langsame Vorrücken Wolselehs durch das Nilthal statt von Suakin
nach Berber, ließen die große Expedition mißlingen, zu der Gladstone endlich
von der konservativen Oppositionspartei gezwungen wurde, und England hatte
nicht bloß den Untergang eines Helden zu betrauern, sondern es lud auch den
Vorwurf auf sich, welcher in jenem Schauspiel eines wüste gelegten Landes
und einer bis dahin zufriedner, jetzt rmnirten Bevölkerung lag, die, um nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/191>, abgerufen am 25.11.2024.