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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zum Weimarer Jubilare.

in unzugänglichen Schränken verborgen gehalten wurden. Hat man sie aber
erst einmal im Archive niedergelegt -- denn auf den Gedanken kann doch wohl
niemand geraten, sie vernichten zu wollen --, so wird man sie jedem ernsthaften
Forscher in die Hände geben müssen, gerade so gut wie irgendeinen andern Teil
der Urkunden. Das Ergebnis läßt sich voraussehen. Über solchen Dingen schwebt
ein so scharfer Geruch, daß er die Wände jeder Sicherheitsmaßregel durchdringt. In
kurzer Frist werden Hunderte von Leuten jene argen Epigramme auswendig wissen.

Das wäre nun freilich ebensowenig ein Unglück, wie etwa ihre Veröffent¬
lichung überhaupt. Aber wir stehen damit auch erst am Anfange der Ereignisse.
Denn nun kommt der findige Buchhändler und eröffnet mit möglichster Feier¬
lichkeit die "erste vollständige Ausgabe" -- natürlich bloß der Epigramme,
damit ja auch magere Börsen das Büchelchen aufwiegen können. "Unschätzbar
zur Kenntnis Goethes! eine Bereicherung der Literatur!" Im Anzeigeteile
vorurteilsfreier Blätter wird man dann zwischen "Pikanten Photographien" und
"Spezialitüten für Herren" Goethes Namen lesen können. Hinter dem Buch¬
händler jedoch -- kommt der Staatsanwalt. Diesmal mit vollem Rechte;
diesmal muß er kommen. Denn der Verfasser bleibt hier völlig außer Betracht:
es gilt -- mit der nötigen Feuerzange -- den unsaubern Geschäftsmann zu
Packen, dem es ganz gleich ist, ob er mit Goethischen Epigrammen handelt oder
mit irgendwelchen "Geheimnissen der Liebe und Ehe," dem Goethes Name bloß
ein "Puff" ist. Und dann ist wirklich das Ärgernis da. Dann wirft sich der
Schwindler in die Brust und beruft sich auf höhere literarische Interessen, vor
denen die landläufige Moral zu schweigen habe; und der Verteidiger erhebt die
Stimme, die beleidigten Manen Goethes heraufzubeschwören. Dann wiederholt
sich der Skandal vom "Tagebuche"; denn das Publikum unterscheidet nicht so
fein: das sieht eben Goethe auf der Anklagebank sitzen.

Wir hoffen noch immer, man werde uns dieses Schauspiel ersparen. Das
einzige Mittel dazu ist aber: Veröffentlichung an unantastbarer Stelle. Dann
liegt die Sache ganz einfach. Dann kann der Kantharidenverkäufer nicht auf¬
kommen. Der Staatsanwalt hat bloß darauf zu achten, ob eine Ausgabe, die
dann jene Verse abdrucken sollte, ernsthaften, selbständigen Wert hat. Kann der
Verleger das nicht nachweisen, so wird sein Prozeß sehr kurz sein: kein Mensch
wird auch nur den Kopf wenden, wenn der Mann zu der gebührenden Strafe,
sei sie auch noch so hart, verurteilt wird. Der Fall liegt ja bereits vor mit
dem bekannten Gedicht Heines über das vieldeutige Bildwerk im Hofe des könig¬
lichen Schlosses zu Berlin. Man hat die einzelnen Gedichtsammlungen und die
gewöhnlichen Volksausgaben, worin jenes enthalten war, in Preußen einfach
verboten, hat aber keinen Anstoß daran genommen, daß es in der vollständigen
Ausgabe letzter Hand auch fernerhin bleibt. Das ist eine durchaus angemessene
Entscheidung, welche selbst die Meute zeilenhungriger Reporter nur einen Augen¬
blick lang anzukläffen gewagt hat.


Grenzboten III. 1886. 23
Zum Weimarer Jubilare.

in unzugänglichen Schränken verborgen gehalten wurden. Hat man sie aber
erst einmal im Archive niedergelegt — denn auf den Gedanken kann doch wohl
niemand geraten, sie vernichten zu wollen —, so wird man sie jedem ernsthaften
Forscher in die Hände geben müssen, gerade so gut wie irgendeinen andern Teil
der Urkunden. Das Ergebnis läßt sich voraussehen. Über solchen Dingen schwebt
ein so scharfer Geruch, daß er die Wände jeder Sicherheitsmaßregel durchdringt. In
kurzer Frist werden Hunderte von Leuten jene argen Epigramme auswendig wissen.

Das wäre nun freilich ebensowenig ein Unglück, wie etwa ihre Veröffent¬
lichung überhaupt. Aber wir stehen damit auch erst am Anfange der Ereignisse.
Denn nun kommt der findige Buchhändler und eröffnet mit möglichster Feier¬
lichkeit die „erste vollständige Ausgabe" — natürlich bloß der Epigramme,
damit ja auch magere Börsen das Büchelchen aufwiegen können. „Unschätzbar
zur Kenntnis Goethes! eine Bereicherung der Literatur!" Im Anzeigeteile
vorurteilsfreier Blätter wird man dann zwischen „Pikanten Photographien" und
„Spezialitüten für Herren" Goethes Namen lesen können. Hinter dem Buch¬
händler jedoch — kommt der Staatsanwalt. Diesmal mit vollem Rechte;
diesmal muß er kommen. Denn der Verfasser bleibt hier völlig außer Betracht:
es gilt — mit der nötigen Feuerzange — den unsaubern Geschäftsmann zu
Packen, dem es ganz gleich ist, ob er mit Goethischen Epigrammen handelt oder
mit irgendwelchen „Geheimnissen der Liebe und Ehe," dem Goethes Name bloß
ein „Puff" ist. Und dann ist wirklich das Ärgernis da. Dann wirft sich der
Schwindler in die Brust und beruft sich auf höhere literarische Interessen, vor
denen die landläufige Moral zu schweigen habe; und der Verteidiger erhebt die
Stimme, die beleidigten Manen Goethes heraufzubeschwören. Dann wiederholt
sich der Skandal vom „Tagebuche"; denn das Publikum unterscheidet nicht so
fein: das sieht eben Goethe auf der Anklagebank sitzen.

Wir hoffen noch immer, man werde uns dieses Schauspiel ersparen. Das
einzige Mittel dazu ist aber: Veröffentlichung an unantastbarer Stelle. Dann
liegt die Sache ganz einfach. Dann kann der Kantharidenverkäufer nicht auf¬
kommen. Der Staatsanwalt hat bloß darauf zu achten, ob eine Ausgabe, die
dann jene Verse abdrucken sollte, ernsthaften, selbständigen Wert hat. Kann der
Verleger das nicht nachweisen, so wird sein Prozeß sehr kurz sein: kein Mensch
wird auch nur den Kopf wenden, wenn der Mann zu der gebührenden Strafe,
sei sie auch noch so hart, verurteilt wird. Der Fall liegt ja bereits vor mit
dem bekannten Gedicht Heines über das vieldeutige Bildwerk im Hofe des könig¬
lichen Schlosses zu Berlin. Man hat die einzelnen Gedichtsammlungen und die
gewöhnlichen Volksausgaben, worin jenes enthalten war, in Preußen einfach
verboten, hat aber keinen Anstoß daran genommen, daß es in der vollständigen
Ausgabe letzter Hand auch fernerhin bleibt. Das ist eine durchaus angemessene
Entscheidung, welche selbst die Meute zeilenhungriger Reporter nur einen Augen¬
blick lang anzukläffen gewagt hat.


Grenzboten III. 1886. 23
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[0185] Zum Weimarer Jubilare. in unzugänglichen Schränken verborgen gehalten wurden. Hat man sie aber erst einmal im Archive niedergelegt — denn auf den Gedanken kann doch wohl niemand geraten, sie vernichten zu wollen —, so wird man sie jedem ernsthaften Forscher in die Hände geben müssen, gerade so gut wie irgendeinen andern Teil der Urkunden. Das Ergebnis läßt sich voraussehen. Über solchen Dingen schwebt ein so scharfer Geruch, daß er die Wände jeder Sicherheitsmaßregel durchdringt. In kurzer Frist werden Hunderte von Leuten jene argen Epigramme auswendig wissen. Das wäre nun freilich ebensowenig ein Unglück, wie etwa ihre Veröffent¬ lichung überhaupt. Aber wir stehen damit auch erst am Anfange der Ereignisse. Denn nun kommt der findige Buchhändler und eröffnet mit möglichster Feier¬ lichkeit die „erste vollständige Ausgabe" — natürlich bloß der Epigramme, damit ja auch magere Börsen das Büchelchen aufwiegen können. „Unschätzbar zur Kenntnis Goethes! eine Bereicherung der Literatur!" Im Anzeigeteile vorurteilsfreier Blätter wird man dann zwischen „Pikanten Photographien" und „Spezialitüten für Herren" Goethes Namen lesen können. Hinter dem Buch¬ händler jedoch — kommt der Staatsanwalt. Diesmal mit vollem Rechte; diesmal muß er kommen. Denn der Verfasser bleibt hier völlig außer Betracht: es gilt — mit der nötigen Feuerzange — den unsaubern Geschäftsmann zu Packen, dem es ganz gleich ist, ob er mit Goethischen Epigrammen handelt oder mit irgendwelchen „Geheimnissen der Liebe und Ehe," dem Goethes Name bloß ein „Puff" ist. Und dann ist wirklich das Ärgernis da. Dann wirft sich der Schwindler in die Brust und beruft sich auf höhere literarische Interessen, vor denen die landläufige Moral zu schweigen habe; und der Verteidiger erhebt die Stimme, die beleidigten Manen Goethes heraufzubeschwören. Dann wiederholt sich der Skandal vom „Tagebuche"; denn das Publikum unterscheidet nicht so fein: das sieht eben Goethe auf der Anklagebank sitzen. Wir hoffen noch immer, man werde uns dieses Schauspiel ersparen. Das einzige Mittel dazu ist aber: Veröffentlichung an unantastbarer Stelle. Dann liegt die Sache ganz einfach. Dann kann der Kantharidenverkäufer nicht auf¬ kommen. Der Staatsanwalt hat bloß darauf zu achten, ob eine Ausgabe, die dann jene Verse abdrucken sollte, ernsthaften, selbständigen Wert hat. Kann der Verleger das nicht nachweisen, so wird sein Prozeß sehr kurz sein: kein Mensch wird auch nur den Kopf wenden, wenn der Mann zu der gebührenden Strafe, sei sie auch noch so hart, verurteilt wird. Der Fall liegt ja bereits vor mit dem bekannten Gedicht Heines über das vieldeutige Bildwerk im Hofe des könig¬ lichen Schlosses zu Berlin. Man hat die einzelnen Gedichtsammlungen und die gewöhnlichen Volksausgaben, worin jenes enthalten war, in Preußen einfach verboten, hat aber keinen Anstoß daran genommen, daß es in der vollständigen Ausgabe letzter Hand auch fernerhin bleibt. Das ist eine durchaus angemessene Entscheidung, welche selbst die Meute zeilenhungriger Reporter nur einen Augen¬ blick lang anzukläffen gewagt hat. Grenzboten III. 1886. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/185>, abgerufen am 25.11.2024.