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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Hippolyte Adolphe Tanne,

ihm 1866 im achten Bande der neuen Lar^eriss ein lunäi kostbare Ratschläge
erteilt und ihm prophezeit, daß er ein großer Schriftsteller werden würde, wenn
er deu Luxus seiner Entwicklungen beschneide, die Fülle seiner Synonyma ver¬
mindere, "wenn er den Bart stutze." Ohne daß Taine sich vielleicht ganz darnach
gerichtet hat, ist er doch ein großer Schriftsteller geworden; er ist eine Art von
Mittelding zwischen Cicero und Tacitus,

Manche seiner Wendungen sind wahre Meisterstücke der zusammenfassenden
Beurteilung. Die Leser dieser Blätter kennen die Stelle aus der Vorrede zum
vierten Bande der Orl^inW, in welcher er den Götzendienst, der in Frankreich
mit der Revolution getrieben wird, in Parallele stellt mit dem Tierkultus der
ägyptischen Priester, die ihre Götter hinter goldgestickten Vorhängen verbergen;
wenn der Gläubige unter Schauern der Andacht sich den Vorhang lüften ließ,
so erblickte er ein scheußliches Krokodil. Um den Pessimismus seines Grain-
dorge zu zeigen, den er zum Doktor der Philosophie an der Universität Jena
und zum Hauptassocie des Hauses Grcündorge und Komp. -- Ole und gesal¬
zenes Schweinefleisch -- in Cincinnati macht; um diesen seltsamen Menschen
mit einem jener zusammenfassenden Worte zu schildern, läßt er ihn sagen:
"Ludwig XI. hatte am Ende seines Lebens eine Sammlung junger Schweine,
welche er als Edelleute, Bürger und Domherren kleiden ließ; man unterrichtete
sie mit Stockschlägen, und sie tanzten in diesem Aufzuge vor ihm. Die unbekannte
Dame, welche ihr Natur nennt, handelt ebenso; sie ist vielleicht humoristisch,
nur schiebt sie, wenn wir unter großem Aufwande von Peitschenhieben unsre
Rolle gut gespielt haben und sie reichlich über uns gelacht hat, uns endlich in
die Fleischerei oder ins Pökelfaß."

Fragt man, was wohl dereinst von dem Ruhme bleiben wird, dessen Taine
heute genießt, so wird man antworten dürfen^: nuits, xg-rs eju8 vitavit, IvioitinÄin.
Aber so glänzend auch seine Methode sein mag, so reizvoll seine literarischen
Charakterköpfe, so scharfsinnig seine Psychologie -- alle diese Dinge kommen oft
mit der Mode und gehen mit der Mode. Wenn ein andrer philosophischer
Wind in Frankreich aufspringt, so können diese Schriften von der Masse ver¬
gessen werden und nur in den gelehrten Bibliotheken ihr Dasein weiterspinnen.
Was aber nicht vergehen wird, das ist Taines Werk über den Ursprung des
heutigen Frankreich. Mit ihm hat er nicht bloß Worte gesagt, sondern eine
erlösende That ersten Ranges gethan. Er hat, um ein schönes Wort von Max
Lossen zu brauchen, das dieser kürzlich in der historischen Zeitschrift aussprach,
ein säkulares Werk geschaffen, wie Ranke, wie Motley u. a. große Vertreter der
Historie solche hinterlassen haben. So lange man von der Revolution von 1789
spricht, so lange wird man auch erzählen müssen, daß ein paar Menschenalter
lang das Krokodil hinter dem Vorhange göttlicher Ehren genoß, bis zuerst Heinrich
von Sybel, dann aber noch vollständiger und noch mutiger, weil er selber
Franzose war, Taine den Vorhang aufhob und das Ungetüm entlarvte. Daß das


Hippolyte Adolphe Tanne,

ihm 1866 im achten Bande der neuen Lar^eriss ein lunäi kostbare Ratschläge
erteilt und ihm prophezeit, daß er ein großer Schriftsteller werden würde, wenn
er deu Luxus seiner Entwicklungen beschneide, die Fülle seiner Synonyma ver¬
mindere, „wenn er den Bart stutze." Ohne daß Taine sich vielleicht ganz darnach
gerichtet hat, ist er doch ein großer Schriftsteller geworden; er ist eine Art von
Mittelding zwischen Cicero und Tacitus,

Manche seiner Wendungen sind wahre Meisterstücke der zusammenfassenden
Beurteilung. Die Leser dieser Blätter kennen die Stelle aus der Vorrede zum
vierten Bande der Orl^inW, in welcher er den Götzendienst, der in Frankreich
mit der Revolution getrieben wird, in Parallele stellt mit dem Tierkultus der
ägyptischen Priester, die ihre Götter hinter goldgestickten Vorhängen verbergen;
wenn der Gläubige unter Schauern der Andacht sich den Vorhang lüften ließ,
so erblickte er ein scheußliches Krokodil. Um den Pessimismus seines Grain-
dorge zu zeigen, den er zum Doktor der Philosophie an der Universität Jena
und zum Hauptassocie des Hauses Grcündorge und Komp. — Ole und gesal¬
zenes Schweinefleisch — in Cincinnati macht; um diesen seltsamen Menschen
mit einem jener zusammenfassenden Worte zu schildern, läßt er ihn sagen:
„Ludwig XI. hatte am Ende seines Lebens eine Sammlung junger Schweine,
welche er als Edelleute, Bürger und Domherren kleiden ließ; man unterrichtete
sie mit Stockschlägen, und sie tanzten in diesem Aufzuge vor ihm. Die unbekannte
Dame, welche ihr Natur nennt, handelt ebenso; sie ist vielleicht humoristisch,
nur schiebt sie, wenn wir unter großem Aufwande von Peitschenhieben unsre
Rolle gut gespielt haben und sie reichlich über uns gelacht hat, uns endlich in
die Fleischerei oder ins Pökelfaß."

Fragt man, was wohl dereinst von dem Ruhme bleiben wird, dessen Taine
heute genießt, so wird man antworten dürfen^: nuits, xg-rs eju8 vitavit, IvioitinÄin.
Aber so glänzend auch seine Methode sein mag, so reizvoll seine literarischen
Charakterköpfe, so scharfsinnig seine Psychologie — alle diese Dinge kommen oft
mit der Mode und gehen mit der Mode. Wenn ein andrer philosophischer
Wind in Frankreich aufspringt, so können diese Schriften von der Masse ver¬
gessen werden und nur in den gelehrten Bibliotheken ihr Dasein weiterspinnen.
Was aber nicht vergehen wird, das ist Taines Werk über den Ursprung des
heutigen Frankreich. Mit ihm hat er nicht bloß Worte gesagt, sondern eine
erlösende That ersten Ranges gethan. Er hat, um ein schönes Wort von Max
Lossen zu brauchen, das dieser kürzlich in der historischen Zeitschrift aussprach,
ein säkulares Werk geschaffen, wie Ranke, wie Motley u. a. große Vertreter der
Historie solche hinterlassen haben. So lange man von der Revolution von 1789
spricht, so lange wird man auch erzählen müssen, daß ein paar Menschenalter
lang das Krokodil hinter dem Vorhange göttlicher Ehren genoß, bis zuerst Heinrich
von Sybel, dann aber noch vollständiger und noch mutiger, weil er selber
Franzose war, Taine den Vorhang aufhob und das Ungetüm entlarvte. Daß das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/181>, abgerufen am 25.11.2024.