Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Kurzsichtige Politiker. lich darin, eine Gönnermiene anzunehmen, vorausgesetzt, daß sie in der Unter¬ Dürften wir nur die Deutschen von dem Vorwurfe der Kurzsichtigkeit Kurzsichtige Politiker. lich darin, eine Gönnermiene anzunehmen, vorausgesetzt, daß sie in der Unter¬ Dürften wir nur die Deutschen von dem Vorwurfe der Kurzsichtigkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196255"/> <fw type="header" place="top"> Kurzsichtige Politiker.</fw><lb/> <p xml:id="ID_604" prev="#ID_603"> lich darin, eine Gönnermiene anzunehmen, vorausgesetzt, daß sie in der Unter¬<lb/> drückung des Deutschtums in Ungarn und Siebenbürgen nicht gestört werde».<lb/> Ihr Größenwahn läßt sie sogar mit einer gewissen Gleichgiltigkeit an eine<lb/> Wendung der Dinge denken, infolge deren die Grenzpfühle an der Leitha schwarz-<lb/> weißrot anstatt schwarzgelb gefärbt sein würden. Aber die Tschechen und Kon¬<lb/> sorten? Träumen sie wirklich von einer Selbständigkeit, welche ihnen die Be¬<lb/> deutung der Serben, Rumänen u. s. w. verleihen würde? Glauben sie im Ernste,<lb/> daß das deutsche Reich, gezwungen nach den deutschen Ländern Österreichs zu<lb/> greifen, ihnen die Gebiete preisgeben würde, in welchen neben Deutschen Slawen<lb/> wohnen? Daran ist nicht zu denken, sie wissen, daß sie nichts sind ohne Oster¬<lb/> reich. Nichtsdestoweniger geht ihr Streben dahin, Wien an die Situation einer<lb/> Provinzhauptstadt zu gewöhnen. In den Zeiten, von welchen oben gesprochen<lb/> wurde, hieß es, ein Vergleich zwischen Wien und Neapel sei nicht statthaft,<lb/> weil die bourbonische Mißwirtschaft fehle. Allein es muß nicht immer das<lb/> Herrscherhaus sein, welches den Boden für die Annexion vorbereitet!</p><lb/> <p xml:id="ID_605" next="#ID_606"> Dürften wir nur die Deutschen von dem Vorwurfe der Kurzsichtigkeit<lb/> freisprechen! Das widernatürliche Bündnis zwischen der slawisch-feudalen Partei<lb/> und den konservativ und kirchlich gesinnten Deutschen scheint glücklich gesprengt<lb/> zu sein, bis zum Wiederzusammentritt des Neichsrates wird die Bildung einer<lb/> Zentrumspartei vollendet sein, welche voraussichtlich in verschiedne Fragen mit<lb/> der Rechten stimmen, in allen nationalen jedoch ihre Unabhängigkeit wahren<lb/> will. Hie und da in deutschen nichtkonservativcn Kreisen ist mal, geneigt,<lb/> diese günstige Wendung auszunutzen, mit den Hilfstruppen gegen das Slawen¬<lb/> tum eine Verständigung zu suchen. Und deshalb erhebt die alte verfassungs¬<lb/> treue Presse ein Wehgeschrei. Man ist zwar deutsch, durch und durch deutsch,<lb/> aber mit deutschen Konservativen ein wenn auch noch so loses Bündnis<lb/> schließen — nimmermehr! Solche entsetzliche Männer müssen zurückgestoßen,<lb/> geschmäht und verhöhnt, am liebsten wieder in das Lager der Feinde gejagt<lb/> werden. Wenn die deutschen Liberalen Verbündete suchen müssen, dann können<lb/> sie sich nur an die — Liberalen andrer Nationalitäten wenden, lehrt ein Inns-<lb/> brucker Blatt, und andre drucken solche Weisheit wohlgefällig nach. Der Rat<lb/> ist vortrefflich. Liberale giebt es ja, wohin wir blicken, die Herren Smolka<lb/> und Ziemialkowski, Hansner und Zyblikiewicz sind ja liberal, nicht bloß die<lb/> Jungtschcchen, sondern auch Herr Rieger und seine Freunde sind Demokraten —<lb/> sie brauchen uur zu wollen, und die Klerikalen und Feudalen sehen sich plötzlich<lb/> einer erdrückenden liberalen Mehrheit gegenüber. Leider wollen sie nicht, auf<lb/> alles Werben um ihre Freundschaft haben sie stets mit Hohn geantwortet, in<lb/> jedem entscheidenden Augenblicke den Aristokraten und Ultramontanen Heeresfolge<lb/> geleistet; und was den Haß gegen das Deutschtum betrifft, Pflegen diese Liberalen<lb/> ihren konservativen Landsleuten noch um eine Pferdelänge vorauszueilen. So<lb/> proklamirte einst Schmerling unter der jubelnden Zustimmung seiner Getreuen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Kurzsichtige Politiker.
lich darin, eine Gönnermiene anzunehmen, vorausgesetzt, daß sie in der Unter¬
drückung des Deutschtums in Ungarn und Siebenbürgen nicht gestört werde».
Ihr Größenwahn läßt sie sogar mit einer gewissen Gleichgiltigkeit an eine
Wendung der Dinge denken, infolge deren die Grenzpfühle an der Leitha schwarz-
weißrot anstatt schwarzgelb gefärbt sein würden. Aber die Tschechen und Kon¬
sorten? Träumen sie wirklich von einer Selbständigkeit, welche ihnen die Be¬
deutung der Serben, Rumänen u. s. w. verleihen würde? Glauben sie im Ernste,
daß das deutsche Reich, gezwungen nach den deutschen Ländern Österreichs zu
greifen, ihnen die Gebiete preisgeben würde, in welchen neben Deutschen Slawen
wohnen? Daran ist nicht zu denken, sie wissen, daß sie nichts sind ohne Oster¬
reich. Nichtsdestoweniger geht ihr Streben dahin, Wien an die Situation einer
Provinzhauptstadt zu gewöhnen. In den Zeiten, von welchen oben gesprochen
wurde, hieß es, ein Vergleich zwischen Wien und Neapel sei nicht statthaft,
weil die bourbonische Mißwirtschaft fehle. Allein es muß nicht immer das
Herrscherhaus sein, welches den Boden für die Annexion vorbereitet!
Dürften wir nur die Deutschen von dem Vorwurfe der Kurzsichtigkeit
freisprechen! Das widernatürliche Bündnis zwischen der slawisch-feudalen Partei
und den konservativ und kirchlich gesinnten Deutschen scheint glücklich gesprengt
zu sein, bis zum Wiederzusammentritt des Neichsrates wird die Bildung einer
Zentrumspartei vollendet sein, welche voraussichtlich in verschiedne Fragen mit
der Rechten stimmen, in allen nationalen jedoch ihre Unabhängigkeit wahren
will. Hie und da in deutschen nichtkonservativcn Kreisen ist mal, geneigt,
diese günstige Wendung auszunutzen, mit den Hilfstruppen gegen das Slawen¬
tum eine Verständigung zu suchen. Und deshalb erhebt die alte verfassungs¬
treue Presse ein Wehgeschrei. Man ist zwar deutsch, durch und durch deutsch,
aber mit deutschen Konservativen ein wenn auch noch so loses Bündnis
schließen — nimmermehr! Solche entsetzliche Männer müssen zurückgestoßen,
geschmäht und verhöhnt, am liebsten wieder in das Lager der Feinde gejagt
werden. Wenn die deutschen Liberalen Verbündete suchen müssen, dann können
sie sich nur an die — Liberalen andrer Nationalitäten wenden, lehrt ein Inns-
brucker Blatt, und andre drucken solche Weisheit wohlgefällig nach. Der Rat
ist vortrefflich. Liberale giebt es ja, wohin wir blicken, die Herren Smolka
und Ziemialkowski, Hansner und Zyblikiewicz sind ja liberal, nicht bloß die
Jungtschcchen, sondern auch Herr Rieger und seine Freunde sind Demokraten —
sie brauchen uur zu wollen, und die Klerikalen und Feudalen sehen sich plötzlich
einer erdrückenden liberalen Mehrheit gegenüber. Leider wollen sie nicht, auf
alles Werben um ihre Freundschaft haben sie stets mit Hohn geantwortet, in
jedem entscheidenden Augenblicke den Aristokraten und Ultramontanen Heeresfolge
geleistet; und was den Haß gegen das Deutschtum betrifft, Pflegen diese Liberalen
ihren konservativen Landsleuten noch um eine Pferdelänge vorauszueilen. So
proklamirte einst Schmerling unter der jubelnden Zustimmung seiner Getreuen.
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