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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Kurzsichtige Politiker.

und durch das unablässige Hinweisen auf die Anziehungskraft, welche die Größe
des stammverwandten Nachbarrciches ausüben müsse, können sie es endlich dahin
bringen, daß der Deutschösterreicher wie der Nuthene mit Sehnsucht über die
Grenze blickt, wo er nicht nötig haben würde, mit seiner Stenerkraft seine er¬
bittertsten Feinde zu nähren. Erlebt Österreich wirklich eine Jrredenta, auch
an der Nord- und Nordostgrenze, so wird nicht dein Mangel an Energie, der
Nachgiebigkeit gegen zentrifugale Tendenzen die Schuld beizumessen sein!

Die politische Spekulation hat sich bekanntlich schon zu verschiednen Zeiten
mit der Möglichkeit des Anschlusses der deutschen Länder Österreichs an ein
geeinigtes, aber nicht unter habsburgischen Szepter geeinigtes, Deutschland be¬
schäftigt. Noch als so vielen der Weisheit ganzer Schluß in den Worten lag:
Das ganze Deutschland soll es sein! -- und durch Verbrüderungsfeste die schönere
Zukunft herbeigeführt werden sollte, zweifelten kühlere Beobachter an der Er¬
reichung jenes Zieles überhaupt, selbst für den Fall einer Entscheidung der
deutschen Frage durch das Schwert. Und zwar haben wir damals öfter die
Stadt Wien als eins der Hindernisse bezeichnen hören. Was sollte aus dieser
werden? Zur Hauptstadt Deutschlands sei sie ungeeignet schon durch ihre Lage
an der äußersten Grenze, von anderiu abgesehen, gleichzeitig aber zu groß, zu
bedeutend in jedem Sinne, um zu einer Provinzhauptstadt herabgedrückt zu
werden. Das Adern- und Nervengeflecht eines großen Reiches verknote sich zu
naturgemäß in diesem Mittelpunkte desselben und lasse sich nicht willkürlich zer¬
schneiden. Nun, an der Wegräumung dieses Hindernisses arbeiten jetzt mit aller
Kraft sämtliche deutschfeindlichen Elemente im Reiche! Wie" soll eine Provinz¬
stadt werden. Der giftige Neid wühlt und nagt unablässig an den Wurzeln
seiner Größe, der Zufluß der Säfte wird gestört, die Kanüle, in welchen das
geistige und materielle Leben zwischen dem Zentrum und der Peripherie pulsirt,
sollen verstopft werden. Wohl ist der Raum zwischen dem jetzigen und dem idealen
Zustande noch ziemlich groß, und es bleibt fraglich, ob jemals Prag der Sitz
eines "Generallandtags" und eines Ministeriums der "Länder der böhmischen
Krone," Laibach ebenso der Mittelpunkt eines südslawischen Lünderkvmplexes,
Lemberg oder Kranken die Hauptstadt Polens werden, und Wien dann in gleicher
Reihe mit diesen Städten stehen werde. Inzwischen darf sich die Agitation
schon mancher Erfolge rühmen. Pest entwickelt sich unstreitig, mag auch manche
Potcmkinsche Dekoration zur Blendung der Fremden und -- der Einheimischen
aufgeführt werden; und wie diese wachsen andre Städte vielfach auf Kosten
Wiens. Letzteres ist nur noch zu Zeiten Residenz, sieht sich in einzelnen Be¬
ziehungen in die zweite Linie gedrängt, der nationale Adel sammelt sich längst
nicht mehr am Wiener Hoflager, die Dezentralisation macht sich auch auf wirt¬
schaftlichem Gebiete schwer fühlbar. Darob jubelt man in den gegnerischen
Lagern und schmunzeln die guten Freunde in Buda-Pest. Die Magyaren sind
nämlich keine Feinde der Deutschen, beileibe! Sie gefallen sich vielmehr gelegene-


Kurzsichtige Politiker.

und durch das unablässige Hinweisen auf die Anziehungskraft, welche die Größe
des stammverwandten Nachbarrciches ausüben müsse, können sie es endlich dahin
bringen, daß der Deutschösterreicher wie der Nuthene mit Sehnsucht über die
Grenze blickt, wo er nicht nötig haben würde, mit seiner Stenerkraft seine er¬
bittertsten Feinde zu nähren. Erlebt Österreich wirklich eine Jrredenta, auch
an der Nord- und Nordostgrenze, so wird nicht dein Mangel an Energie, der
Nachgiebigkeit gegen zentrifugale Tendenzen die Schuld beizumessen sein!

Die politische Spekulation hat sich bekanntlich schon zu verschiednen Zeiten
mit der Möglichkeit des Anschlusses der deutschen Länder Österreichs an ein
geeinigtes, aber nicht unter habsburgischen Szepter geeinigtes, Deutschland be¬
schäftigt. Noch als so vielen der Weisheit ganzer Schluß in den Worten lag:
Das ganze Deutschland soll es sein! — und durch Verbrüderungsfeste die schönere
Zukunft herbeigeführt werden sollte, zweifelten kühlere Beobachter an der Er¬
reichung jenes Zieles überhaupt, selbst für den Fall einer Entscheidung der
deutschen Frage durch das Schwert. Und zwar haben wir damals öfter die
Stadt Wien als eins der Hindernisse bezeichnen hören. Was sollte aus dieser
werden? Zur Hauptstadt Deutschlands sei sie ungeeignet schon durch ihre Lage
an der äußersten Grenze, von anderiu abgesehen, gleichzeitig aber zu groß, zu
bedeutend in jedem Sinne, um zu einer Provinzhauptstadt herabgedrückt zu
werden. Das Adern- und Nervengeflecht eines großen Reiches verknote sich zu
naturgemäß in diesem Mittelpunkte desselben und lasse sich nicht willkürlich zer¬
schneiden. Nun, an der Wegräumung dieses Hindernisses arbeiten jetzt mit aller
Kraft sämtliche deutschfeindlichen Elemente im Reiche! Wie» soll eine Provinz¬
stadt werden. Der giftige Neid wühlt und nagt unablässig an den Wurzeln
seiner Größe, der Zufluß der Säfte wird gestört, die Kanüle, in welchen das
geistige und materielle Leben zwischen dem Zentrum und der Peripherie pulsirt,
sollen verstopft werden. Wohl ist der Raum zwischen dem jetzigen und dem idealen
Zustande noch ziemlich groß, und es bleibt fraglich, ob jemals Prag der Sitz
eines „Generallandtags" und eines Ministeriums der „Länder der böhmischen
Krone," Laibach ebenso der Mittelpunkt eines südslawischen Lünderkvmplexes,
Lemberg oder Kranken die Hauptstadt Polens werden, und Wien dann in gleicher
Reihe mit diesen Städten stehen werde. Inzwischen darf sich die Agitation
schon mancher Erfolge rühmen. Pest entwickelt sich unstreitig, mag auch manche
Potcmkinsche Dekoration zur Blendung der Fremden und — der Einheimischen
aufgeführt werden; und wie diese wachsen andre Städte vielfach auf Kosten
Wiens. Letzteres ist nur noch zu Zeiten Residenz, sieht sich in einzelnen Be¬
ziehungen in die zweite Linie gedrängt, der nationale Adel sammelt sich längst
nicht mehr am Wiener Hoflager, die Dezentralisation macht sich auch auf wirt¬
schaftlichem Gebiete schwer fühlbar. Darob jubelt man in den gegnerischen
Lagern und schmunzeln die guten Freunde in Buda-Pest. Die Magyaren sind
nämlich keine Feinde der Deutschen, beileibe! Sie gefallen sich vielmehr gelegene-


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[0154] Kurzsichtige Politiker. und durch das unablässige Hinweisen auf die Anziehungskraft, welche die Größe des stammverwandten Nachbarrciches ausüben müsse, können sie es endlich dahin bringen, daß der Deutschösterreicher wie der Nuthene mit Sehnsucht über die Grenze blickt, wo er nicht nötig haben würde, mit seiner Stenerkraft seine er¬ bittertsten Feinde zu nähren. Erlebt Österreich wirklich eine Jrredenta, auch an der Nord- und Nordostgrenze, so wird nicht dein Mangel an Energie, der Nachgiebigkeit gegen zentrifugale Tendenzen die Schuld beizumessen sein! Die politische Spekulation hat sich bekanntlich schon zu verschiednen Zeiten mit der Möglichkeit des Anschlusses der deutschen Länder Österreichs an ein geeinigtes, aber nicht unter habsburgischen Szepter geeinigtes, Deutschland be¬ schäftigt. Noch als so vielen der Weisheit ganzer Schluß in den Worten lag: Das ganze Deutschland soll es sein! — und durch Verbrüderungsfeste die schönere Zukunft herbeigeführt werden sollte, zweifelten kühlere Beobachter an der Er¬ reichung jenes Zieles überhaupt, selbst für den Fall einer Entscheidung der deutschen Frage durch das Schwert. Und zwar haben wir damals öfter die Stadt Wien als eins der Hindernisse bezeichnen hören. Was sollte aus dieser werden? Zur Hauptstadt Deutschlands sei sie ungeeignet schon durch ihre Lage an der äußersten Grenze, von anderiu abgesehen, gleichzeitig aber zu groß, zu bedeutend in jedem Sinne, um zu einer Provinzhauptstadt herabgedrückt zu werden. Das Adern- und Nervengeflecht eines großen Reiches verknote sich zu naturgemäß in diesem Mittelpunkte desselben und lasse sich nicht willkürlich zer¬ schneiden. Nun, an der Wegräumung dieses Hindernisses arbeiten jetzt mit aller Kraft sämtliche deutschfeindlichen Elemente im Reiche! Wie» soll eine Provinz¬ stadt werden. Der giftige Neid wühlt und nagt unablässig an den Wurzeln seiner Größe, der Zufluß der Säfte wird gestört, die Kanüle, in welchen das geistige und materielle Leben zwischen dem Zentrum und der Peripherie pulsirt, sollen verstopft werden. Wohl ist der Raum zwischen dem jetzigen und dem idealen Zustande noch ziemlich groß, und es bleibt fraglich, ob jemals Prag der Sitz eines „Generallandtags" und eines Ministeriums der „Länder der böhmischen Krone," Laibach ebenso der Mittelpunkt eines südslawischen Lünderkvmplexes, Lemberg oder Kranken die Hauptstadt Polens werden, und Wien dann in gleicher Reihe mit diesen Städten stehen werde. Inzwischen darf sich die Agitation schon mancher Erfolge rühmen. Pest entwickelt sich unstreitig, mag auch manche Potcmkinsche Dekoration zur Blendung der Fremden und — der Einheimischen aufgeführt werden; und wie diese wachsen andre Städte vielfach auf Kosten Wiens. Letzteres ist nur noch zu Zeiten Residenz, sieht sich in einzelnen Be¬ ziehungen in die zweite Linie gedrängt, der nationale Adel sammelt sich längst nicht mehr am Wiener Hoflager, die Dezentralisation macht sich auch auf wirt¬ schaftlichem Gebiete schwer fühlbar. Darob jubelt man in den gegnerischen Lagern und schmunzeln die guten Freunde in Buda-Pest. Die Magyaren sind nämlich keine Feinde der Deutschen, beileibe! Sie gefallen sich vielmehr gelegene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/154>, abgerufen am 25.11.2024.