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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Kurzsichtige Politiker.

as alberne Lied von der Unterdrückung der Slawen durch die
Deutschen in Österreich ist so ziemlich verstummt. Die gescheiten
Leute, welche es früher anstimmten, wußten sehr gut, wie wenig
ihre Klage auf Wahrheit begründet war, und daß allein das
absolutistische System den Nationalitäten Fesseln und Maulkorb
angelegt hatte und die Deutschen am meisten zum Sturze jenes Systems bei¬
getragen haben; und die bornirte Masse, welche es gedankenlos mitsang, fordert
heute als ihr Recht, die Deutschen unterdrücken oder verjagen zu dürfen. Wie
zu andern Zeiten das reine Evangelium, so müssen in der unsern Freiheit und
Nationalität als Feldzeichen dienen für kommunistische Gelüste: die verdammten
Deutschen haben die von ihnen bewohnten Landstriche blühend gemacht, sie sind
zum guten Teil "Besitzende," darum fort mit ihnen, die armen Tschechen und
Slowenen wollen auch leben! Aber in den Führern rührt sich immer wieder
das böse Gewissen. Der jetzige Fasching könnte doch plötzlich ein Ende nehmen,
und die Deutschen fangen endlich an zu lernen, was bei der sentimentalen
Brüderlichkeitspolitik herauskommt. Deshalb dürfen sie um leinen Preis zu
Gnaden angenommen werden, und zu dem Ende muß das Mißtrauen der Re¬
gierenden gegen sie stets aufs neue angefacht werden. Darum "Preußenseuchlcr,
Kornblumenritter, Jrredentisten." Und wiederum stoßen nur die Dummen die
Verdächtigung in gutem Glauben aus. Die Herren, welche in Prag, Laibach ?e.
nationale Politik machen, kennen ihre Landsleute deutscher Zunge zu gut und
haben zuviel Verständnis für die deutsche Politik, um wirklich Befürchtungen
zu hegen. Aber auf einem Punkte hört ihre Klugheit auf. Durch den Mi߬
brauch der jetzt in ihre Hände gelegten Gewalt, durch das Schüren und Hetzen


GrmzbotmUI. 1L85, 19


Kurzsichtige Politiker.

as alberne Lied von der Unterdrückung der Slawen durch die
Deutschen in Österreich ist so ziemlich verstummt. Die gescheiten
Leute, welche es früher anstimmten, wußten sehr gut, wie wenig
ihre Klage auf Wahrheit begründet war, und daß allein das
absolutistische System den Nationalitäten Fesseln und Maulkorb
angelegt hatte und die Deutschen am meisten zum Sturze jenes Systems bei¬
getragen haben; und die bornirte Masse, welche es gedankenlos mitsang, fordert
heute als ihr Recht, die Deutschen unterdrücken oder verjagen zu dürfen. Wie
zu andern Zeiten das reine Evangelium, so müssen in der unsern Freiheit und
Nationalität als Feldzeichen dienen für kommunistische Gelüste: die verdammten
Deutschen haben die von ihnen bewohnten Landstriche blühend gemacht, sie sind
zum guten Teil „Besitzende," darum fort mit ihnen, die armen Tschechen und
Slowenen wollen auch leben! Aber in den Führern rührt sich immer wieder
das böse Gewissen. Der jetzige Fasching könnte doch plötzlich ein Ende nehmen,
und die Deutschen fangen endlich an zu lernen, was bei der sentimentalen
Brüderlichkeitspolitik herauskommt. Deshalb dürfen sie um leinen Preis zu
Gnaden angenommen werden, und zu dem Ende muß das Mißtrauen der Re¬
gierenden gegen sie stets aufs neue angefacht werden. Darum „Preußenseuchlcr,
Kornblumenritter, Jrredentisten." Und wiederum stoßen nur die Dummen die
Verdächtigung in gutem Glauben aus. Die Herren, welche in Prag, Laibach ?e.
nationale Politik machen, kennen ihre Landsleute deutscher Zunge zu gut und
haben zuviel Verständnis für die deutsche Politik, um wirklich Befürchtungen
zu hegen. Aber auf einem Punkte hört ihre Klugheit auf. Durch den Mi߬
brauch der jetzt in ihre Hände gelegten Gewalt, durch das Schüren und Hetzen


GrmzbotmUI. 1L85, 19
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[0153] [Abbildung] Kurzsichtige Politiker. as alberne Lied von der Unterdrückung der Slawen durch die Deutschen in Österreich ist so ziemlich verstummt. Die gescheiten Leute, welche es früher anstimmten, wußten sehr gut, wie wenig ihre Klage auf Wahrheit begründet war, und daß allein das absolutistische System den Nationalitäten Fesseln und Maulkorb angelegt hatte und die Deutschen am meisten zum Sturze jenes Systems bei¬ getragen haben; und die bornirte Masse, welche es gedankenlos mitsang, fordert heute als ihr Recht, die Deutschen unterdrücken oder verjagen zu dürfen. Wie zu andern Zeiten das reine Evangelium, so müssen in der unsern Freiheit und Nationalität als Feldzeichen dienen für kommunistische Gelüste: die verdammten Deutschen haben die von ihnen bewohnten Landstriche blühend gemacht, sie sind zum guten Teil „Besitzende," darum fort mit ihnen, die armen Tschechen und Slowenen wollen auch leben! Aber in den Führern rührt sich immer wieder das böse Gewissen. Der jetzige Fasching könnte doch plötzlich ein Ende nehmen, und die Deutschen fangen endlich an zu lernen, was bei der sentimentalen Brüderlichkeitspolitik herauskommt. Deshalb dürfen sie um leinen Preis zu Gnaden angenommen werden, und zu dem Ende muß das Mißtrauen der Re¬ gierenden gegen sie stets aufs neue angefacht werden. Darum „Preußenseuchlcr, Kornblumenritter, Jrredentisten." Und wiederum stoßen nur die Dummen die Verdächtigung in gutem Glauben aus. Die Herren, welche in Prag, Laibach ?e. nationale Politik machen, kennen ihre Landsleute deutscher Zunge zu gut und haben zuviel Verständnis für die deutsche Politik, um wirklich Befürchtungen zu hegen. Aber auf einem Punkte hört ihre Klugheit auf. Durch den Mi߬ brauch der jetzt in ihre Hände gelegten Gewalt, durch das Schüren und Hetzen GrmzbotmUI. 1L85, 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/153>, abgerufen am 25.11.2024.