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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

wechselnden Launen, vor dem die ganze Schloßbedienung zitterte. Aber er
hatte, wie ihm richtig ahnte, in der Person des alten Primaticcio einen zu¬
gleich klugen Kopf und ein unbedingt vertrauenswürdiges Herz gewonnen,
und das quälende Gefühl seiner einsamen Höhe war von ihm genommen. Nun
auch Abbondio Buvnaeolsi, der letzte jugendkräftige Sproß dieses erlauchten
Hauses, aus dem Leben geschieden, war die Begnadigung des alten Marcello
ein weiterer, von keinem beklemmenden Gefühle mehr begleiteter Akt hochherzigen
Kraftbewußtseins gewesen, ein Akt, dessen sich Francesco mit dankbarer Würdigung
der Fürsprache Primatieeios freute, auch selbst noch inmitten der gemischten
Empfindungen, welche die Evvivas draußen ihm bereiteten.

Aber ich will noch vollständiger die Dornen meines Herrscheramtes in
Rosen verwandeln, sagte er, indem er plötzlich die Feder wieder aufspritzte und
dann nach kurzer Überlegung das halbfertige Memorandum von neuem ver¬
schloß; ja, so soll es sein: ich will auch meinen irregeleiteten Vetter zum Freunde
gewinnen. So lauge die Frage offen bleiben mußte, ob er leben durfte, so
lange konnte ich, sein Richter, ihm nicht die Gunst meines Anblicks gewähren.
Ich habe ihm verziehen, und ich selbst will bei ihm Nachfrage halten, wie ihm --
der Trank bekam.

Er lächelte, mit jenem Lächeln, das ihm zur Übeln Gewohnheit geworden
war, denn es verbarg sich Schadenfreude hinter diesem Lächeln, und doch war
ein solches Gefühl auf dem Grunde seines Herzens nicht mehr vorhanden, und
nur die Erinnerung an die bestürzte Miene Antonio Marias bei dem Empfange
des Fläschchens und des dazu gehörigen vieldeutigen Auftrages machte ihn
lächeln.

Auf einmal griff er entsetzten Blickes in die Brusttasche seines Wamses. Wo
ist der Schlüssel? rief er, bei meiner Treu, das wäre ein übler Spaß! Er
lächelte immer noch, doch sein Suchen nach dem in der Tasche vergrabnen
Schlüssel zu dem Geheimschranke ward immer krampfhafter, obgleich er vor sich
hinredete: Es war ja ein harmloses Schlafpulver; was ficht mich denn an! Er
setzte sich wieder zum Schreiben. Aber wie, wenn um dennoch das Fläschchen
Gift enthielt . . . stieß er tonlos heraus -- wenn die Unordnung in dem
Schranke ... wo ließ ich den verwünschten Schlüssel? Iclälo hin loci^ro, da
hab' ich ihn! Francesco sprang auf und eilte, sich Gewißheit zu verschaffen,
daß er das Fläschchen nicht aus der Abteilung der Gifte entnommen habe.
Hastig schloß er auf und mit krampfhaft bebenden Fingern griff er bald zur
Rechten, bald zur Linken; überall gab es Lücken. Hatte er dort das Pulver
entnommen? oder hier? oben oder unten? hinten oder vorn? es war ihm un¬
möglich, Sicherheit zu erlangen. Mit eiligen Schritten stürzte er endlich auf
den Glockenzug los und herrschte den eintretenden Pagen mit dem Befehle um,
er möge bei Verlust seines Postens Antonio Maria auf der Stelle herbeischaffen,
auf der Stelle, subito, subito!


Um eine Perle.

wechselnden Launen, vor dem die ganze Schloßbedienung zitterte. Aber er
hatte, wie ihm richtig ahnte, in der Person des alten Primaticcio einen zu¬
gleich klugen Kopf und ein unbedingt vertrauenswürdiges Herz gewonnen,
und das quälende Gefühl seiner einsamen Höhe war von ihm genommen. Nun
auch Abbondio Buvnaeolsi, der letzte jugendkräftige Sproß dieses erlauchten
Hauses, aus dem Leben geschieden, war die Begnadigung des alten Marcello
ein weiterer, von keinem beklemmenden Gefühle mehr begleiteter Akt hochherzigen
Kraftbewußtseins gewesen, ein Akt, dessen sich Francesco mit dankbarer Würdigung
der Fürsprache Primatieeios freute, auch selbst noch inmitten der gemischten
Empfindungen, welche die Evvivas draußen ihm bereiteten.

Aber ich will noch vollständiger die Dornen meines Herrscheramtes in
Rosen verwandeln, sagte er, indem er plötzlich die Feder wieder aufspritzte und
dann nach kurzer Überlegung das halbfertige Memorandum von neuem ver¬
schloß; ja, so soll es sein: ich will auch meinen irregeleiteten Vetter zum Freunde
gewinnen. So lauge die Frage offen bleiben mußte, ob er leben durfte, so
lange konnte ich, sein Richter, ihm nicht die Gunst meines Anblicks gewähren.
Ich habe ihm verziehen, und ich selbst will bei ihm Nachfrage halten, wie ihm —
der Trank bekam.

Er lächelte, mit jenem Lächeln, das ihm zur Übeln Gewohnheit geworden
war, denn es verbarg sich Schadenfreude hinter diesem Lächeln, und doch war
ein solches Gefühl auf dem Grunde seines Herzens nicht mehr vorhanden, und
nur die Erinnerung an die bestürzte Miene Antonio Marias bei dem Empfange
des Fläschchens und des dazu gehörigen vieldeutigen Auftrages machte ihn
lächeln.

Auf einmal griff er entsetzten Blickes in die Brusttasche seines Wamses. Wo
ist der Schlüssel? rief er, bei meiner Treu, das wäre ein übler Spaß! Er
lächelte immer noch, doch sein Suchen nach dem in der Tasche vergrabnen
Schlüssel zu dem Geheimschranke ward immer krampfhafter, obgleich er vor sich
hinredete: Es war ja ein harmloses Schlafpulver; was ficht mich denn an! Er
setzte sich wieder zum Schreiben. Aber wie, wenn um dennoch das Fläschchen
Gift enthielt . . . stieß er tonlos heraus — wenn die Unordnung in dem
Schranke ... wo ließ ich den verwünschten Schlüssel? Iclälo hin loci^ro, da
hab' ich ihn! Francesco sprang auf und eilte, sich Gewißheit zu verschaffen,
daß er das Fläschchen nicht aus der Abteilung der Gifte entnommen habe.
Hastig schloß er auf und mit krampfhaft bebenden Fingern griff er bald zur
Rechten, bald zur Linken; überall gab es Lücken. Hatte er dort das Pulver
entnommen? oder hier? oben oder unten? hinten oder vorn? es war ihm un¬
möglich, Sicherheit zu erlangen. Mit eiligen Schritten stürzte er endlich auf
den Glockenzug los und herrschte den eintretenden Pagen mit dem Befehle um,
er möge bei Verlust seines Postens Antonio Maria auf der Stelle herbeischaffen,
auf der Stelle, subito, subito!


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[0148] Um eine Perle. wechselnden Launen, vor dem die ganze Schloßbedienung zitterte. Aber er hatte, wie ihm richtig ahnte, in der Person des alten Primaticcio einen zu¬ gleich klugen Kopf und ein unbedingt vertrauenswürdiges Herz gewonnen, und das quälende Gefühl seiner einsamen Höhe war von ihm genommen. Nun auch Abbondio Buvnaeolsi, der letzte jugendkräftige Sproß dieses erlauchten Hauses, aus dem Leben geschieden, war die Begnadigung des alten Marcello ein weiterer, von keinem beklemmenden Gefühle mehr begleiteter Akt hochherzigen Kraftbewußtseins gewesen, ein Akt, dessen sich Francesco mit dankbarer Würdigung der Fürsprache Primatieeios freute, auch selbst noch inmitten der gemischten Empfindungen, welche die Evvivas draußen ihm bereiteten. Aber ich will noch vollständiger die Dornen meines Herrscheramtes in Rosen verwandeln, sagte er, indem er plötzlich die Feder wieder aufspritzte und dann nach kurzer Überlegung das halbfertige Memorandum von neuem ver¬ schloß; ja, so soll es sein: ich will auch meinen irregeleiteten Vetter zum Freunde gewinnen. So lauge die Frage offen bleiben mußte, ob er leben durfte, so lange konnte ich, sein Richter, ihm nicht die Gunst meines Anblicks gewähren. Ich habe ihm verziehen, und ich selbst will bei ihm Nachfrage halten, wie ihm — der Trank bekam. Er lächelte, mit jenem Lächeln, das ihm zur Übeln Gewohnheit geworden war, denn es verbarg sich Schadenfreude hinter diesem Lächeln, und doch war ein solches Gefühl auf dem Grunde seines Herzens nicht mehr vorhanden, und nur die Erinnerung an die bestürzte Miene Antonio Marias bei dem Empfange des Fläschchens und des dazu gehörigen vieldeutigen Auftrages machte ihn lächeln. Auf einmal griff er entsetzten Blickes in die Brusttasche seines Wamses. Wo ist der Schlüssel? rief er, bei meiner Treu, das wäre ein übler Spaß! Er lächelte immer noch, doch sein Suchen nach dem in der Tasche vergrabnen Schlüssel zu dem Geheimschranke ward immer krampfhafter, obgleich er vor sich hinredete: Es war ja ein harmloses Schlafpulver; was ficht mich denn an! Er setzte sich wieder zum Schreiben. Aber wie, wenn um dennoch das Fläschchen Gift enthielt . . . stieß er tonlos heraus — wenn die Unordnung in dem Schranke ... wo ließ ich den verwünschten Schlüssel? Iclälo hin loci^ro, da hab' ich ihn! Francesco sprang auf und eilte, sich Gewißheit zu verschaffen, daß er das Fläschchen nicht aus der Abteilung der Gifte entnommen habe. Hastig schloß er auf und mit krampfhaft bebenden Fingern griff er bald zur Rechten, bald zur Linken; überall gab es Lücken. Hatte er dort das Pulver entnommen? oder hier? oben oder unten? hinten oder vorn? es war ihm un¬ möglich, Sicherheit zu erlangen. Mit eiligen Schritten stürzte er endlich auf den Glockenzug los und herrschte den eintretenden Pagen mit dem Befehle um, er möge bei Verlust seines Postens Antonio Maria auf der Stelle herbeischaffen, auf der Stelle, subito, subito!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/148>, abgerufen am 25.11.2024.