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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

Geh, gutes Kind! bat der Kranke.

Ich werde mich verirren, Eccellenza! Wer weiß, wie viele Leute in Man-
tua den Namen führen, den Ihr mir eben nanntet --

Niemand -- niemand außer ihrem Vater Marcello und dem ihr als liinf-
tigen Gatten zugedachten Schwächling Abbondio.

Aber, Eeeellenza, erwiederte Giacinta nach neuen Einwänden suchend, ich bin
ja doch die Medusa! Wenn man mich nun, wie eben schon einmal, erkennt und mich
wieder als Fahnenträgerin zum Mitziehen in einer der draußen lärmenden
Prozessionen preßt! Wie soll ich Euern Auftrag ausrichten, Eeeelleuza! Hört
nur das Jubiliren!

Ich höre nichts mehr.

Ihr habt Recht, es ist still geworden. Sie hielt bestürzt den Atem an.
Ferne, dumpfe Glockentöne hatten seit geraumer Zeit in langen Absätzen sich
vernehmen lassen -- die Pestglocke. Beide hatten sie überhört. Beide hörten
die unheimliche Metallstimme jetzt zum erstenmale, kannten, als in Mnntua nicht
Heimische, nicht ihre Bedeutung, liehen ihr aber mit dem Vorgefühl eines herauf¬
ziehenden düstern Verhängnisses das Ohr.

Es war in der That bis auf jene dumpf über die erschrockne Stadt dahiu-
zitterndcn, schauerlich dumpfen Töne ganz still geworden.

Was wird es groß zu sagen haben! kehrte Giuseppe zu dem Anliegen
zurück, welches Giacinta zu erfüllen gesäumt hatte.

Ich fürchte mich, aber Ihr wollt es, und ich gehe, sagte die Neapolita¬
nerin, indem sie das ihr in den Nacken gefallene weiße gestickte Kopftuch wieder
heraufzog; nur nennt mir die Straße, wohin ich gehen soll; ich werde Leute
finden, die mir den Weg dahin zeigen.

Giuseppe lauschte; er kam sich rücksichtslos, er kam sich grausam vor. Die
Stille nach dem lärmenden Jubel, das dumpfe Glockenlciuten, die Furchtsamkeit
des Mädchens -- nein, es ging nicht; er ergriff ihre Hand. Ich will nicht,
daß dn dich in Gefahr begiebst, sagte er; bleibe, es wird sich ein andrer Bote
finden lassen.

Nein, nein! rief Giacinta, Ihr sollt mich nicht mit Unrecht Eure Wohl¬
thäterin genannt haben -- hört nicht auf die Mißtöne der Glocke, Eceellenza,
wie heißt die Straße?

Wirre Stimmen auf den Treppen und Gängen des Palastes unterbrachen
die Antwort Giuseppes. Alles schien in Aufruhr, in Auflösung.

Wie in einem Grabe, so lautlos war es bis heute in diesem Teile des
weitläufigen Schlosses zugegangen. Und jetzt! Giacinta duckte sich, als sei sie
wieder ein kleines Kind und habe eben das Rollen eines Ausbruchs des Vesuvs
vernommen. Giuseppes Augen blitzten -- eine phantastische Möglichkeit stieg
vor seinem Geiste auf.

.Hilf mir mich aufrichten, sagte er in fieberhafter Erregung, dort liegen


Um eine Perle.

Geh, gutes Kind! bat der Kranke.

Ich werde mich verirren, Eccellenza! Wer weiß, wie viele Leute in Man-
tua den Namen führen, den Ihr mir eben nanntet —

Niemand — niemand außer ihrem Vater Marcello und dem ihr als liinf-
tigen Gatten zugedachten Schwächling Abbondio.

Aber, Eeeellenza, erwiederte Giacinta nach neuen Einwänden suchend, ich bin
ja doch die Medusa! Wenn man mich nun, wie eben schon einmal, erkennt und mich
wieder als Fahnenträgerin zum Mitziehen in einer der draußen lärmenden
Prozessionen preßt! Wie soll ich Euern Auftrag ausrichten, Eeeelleuza! Hört
nur das Jubiliren!

Ich höre nichts mehr.

Ihr habt Recht, es ist still geworden. Sie hielt bestürzt den Atem an.
Ferne, dumpfe Glockentöne hatten seit geraumer Zeit in langen Absätzen sich
vernehmen lassen — die Pestglocke. Beide hatten sie überhört. Beide hörten
die unheimliche Metallstimme jetzt zum erstenmale, kannten, als in Mnntua nicht
Heimische, nicht ihre Bedeutung, liehen ihr aber mit dem Vorgefühl eines herauf¬
ziehenden düstern Verhängnisses das Ohr.

Es war in der That bis auf jene dumpf über die erschrockne Stadt dahiu-
zitterndcn, schauerlich dumpfen Töne ganz still geworden.

Was wird es groß zu sagen haben! kehrte Giuseppe zu dem Anliegen
zurück, welches Giacinta zu erfüllen gesäumt hatte.

Ich fürchte mich, aber Ihr wollt es, und ich gehe, sagte die Neapolita¬
nerin, indem sie das ihr in den Nacken gefallene weiße gestickte Kopftuch wieder
heraufzog; nur nennt mir die Straße, wohin ich gehen soll; ich werde Leute
finden, die mir den Weg dahin zeigen.

Giuseppe lauschte; er kam sich rücksichtslos, er kam sich grausam vor. Die
Stille nach dem lärmenden Jubel, das dumpfe Glockenlciuten, die Furchtsamkeit
des Mädchens — nein, es ging nicht; er ergriff ihre Hand. Ich will nicht,
daß dn dich in Gefahr begiebst, sagte er; bleibe, es wird sich ein andrer Bote
finden lassen.

Nein, nein! rief Giacinta, Ihr sollt mich nicht mit Unrecht Eure Wohl¬
thäterin genannt haben — hört nicht auf die Mißtöne der Glocke, Eceellenza,
wie heißt die Straße?

Wirre Stimmen auf den Treppen und Gängen des Palastes unterbrachen
die Antwort Giuseppes. Alles schien in Aufruhr, in Auflösung.

Wie in einem Grabe, so lautlos war es bis heute in diesem Teile des
weitläufigen Schlosses zugegangen. Und jetzt! Giacinta duckte sich, als sei sie
wieder ein kleines Kind und habe eben das Rollen eines Ausbruchs des Vesuvs
vernommen. Giuseppes Augen blitzten — eine phantastische Möglichkeit stieg
vor seinem Geiste auf.

.Hilf mir mich aufrichten, sagte er in fieberhafter Erregung, dort liegen


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[0146] Um eine Perle. Geh, gutes Kind! bat der Kranke. Ich werde mich verirren, Eccellenza! Wer weiß, wie viele Leute in Man- tua den Namen führen, den Ihr mir eben nanntet — Niemand — niemand außer ihrem Vater Marcello und dem ihr als liinf- tigen Gatten zugedachten Schwächling Abbondio. Aber, Eeeellenza, erwiederte Giacinta nach neuen Einwänden suchend, ich bin ja doch die Medusa! Wenn man mich nun, wie eben schon einmal, erkennt und mich wieder als Fahnenträgerin zum Mitziehen in einer der draußen lärmenden Prozessionen preßt! Wie soll ich Euern Auftrag ausrichten, Eeeelleuza! Hört nur das Jubiliren! Ich höre nichts mehr. Ihr habt Recht, es ist still geworden. Sie hielt bestürzt den Atem an. Ferne, dumpfe Glockentöne hatten seit geraumer Zeit in langen Absätzen sich vernehmen lassen — die Pestglocke. Beide hatten sie überhört. Beide hörten die unheimliche Metallstimme jetzt zum erstenmale, kannten, als in Mnntua nicht Heimische, nicht ihre Bedeutung, liehen ihr aber mit dem Vorgefühl eines herauf¬ ziehenden düstern Verhängnisses das Ohr. Es war in der That bis auf jene dumpf über die erschrockne Stadt dahiu- zitterndcn, schauerlich dumpfen Töne ganz still geworden. Was wird es groß zu sagen haben! kehrte Giuseppe zu dem Anliegen zurück, welches Giacinta zu erfüllen gesäumt hatte. Ich fürchte mich, aber Ihr wollt es, und ich gehe, sagte die Neapolita¬ nerin, indem sie das ihr in den Nacken gefallene weiße gestickte Kopftuch wieder heraufzog; nur nennt mir die Straße, wohin ich gehen soll; ich werde Leute finden, die mir den Weg dahin zeigen. Giuseppe lauschte; er kam sich rücksichtslos, er kam sich grausam vor. Die Stille nach dem lärmenden Jubel, das dumpfe Glockenlciuten, die Furchtsamkeit des Mädchens — nein, es ging nicht; er ergriff ihre Hand. Ich will nicht, daß dn dich in Gefahr begiebst, sagte er; bleibe, es wird sich ein andrer Bote finden lassen. Nein, nein! rief Giacinta, Ihr sollt mich nicht mit Unrecht Eure Wohl¬ thäterin genannt haben — hört nicht auf die Mißtöne der Glocke, Eceellenza, wie heißt die Straße? Wirre Stimmen auf den Treppen und Gängen des Palastes unterbrachen die Antwort Giuseppes. Alles schien in Aufruhr, in Auflösung. Wie in einem Grabe, so lautlos war es bis heute in diesem Teile des weitläufigen Schlosses zugegangen. Und jetzt! Giacinta duckte sich, als sei sie wieder ein kleines Kind und habe eben das Rollen eines Ausbruchs des Vesuvs vernommen. Giuseppes Augen blitzten — eine phantastische Möglichkeit stieg vor seinem Geiste auf. .Hilf mir mich aufrichten, sagte er in fieberhafter Erregung, dort liegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/146>, abgerufen am 25.11.2024.