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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Alberta von Puttkcnnor.

Dein Sang war mild, wie frühe Zeit im Mai --
Und leicht gcschwingt wie erster Lcrchenflng ,..
Du kanntest nicht den Sturm, der bis ins Herz
Verwirrend greift. Du warst von Wildheit frei.
Nur kanntest du den leichten Sturm des März,
Der, heißen Atems, spielt mit reichen Blüten,
Und nicht Baumkronen fällt in blindem Wüten.
Wie vieles, was zu hoch in nur entbrannt,
Hast dn hcrabgcdämmt in kühle Schranken;
Wie vieles zwang und tilgte deine Hand,
Was allzu üppig schoß in krause Ranken!
Ob dich mein Auge niemals auch ersah,
In feinen Zügen schaute dich mein Geist.
Du bliebest meinen Jugcndwegen nah,
Wie seltsam sie auch liefen, und wie kühn
Ihr letztes Ziel ans fremde Höhen weis't...
.Kein Kräutlein war in uns verwandtes Bind'n,
Und dennoch zog's mich an: deun deine Seele
Gab meinem Geist, was ihm an Milde fehle.

In der That ist die milde Gemütsart des modernen Minnesängers kein
ihr wahlverwandtes Naturell. Streng kritisch, ja schneidig stellt sie sich der
Welt und ihrer nähern Umgebung gegenüber. So sehr sie die Schönheit zu
feiern weiß, so vermag diese allein sie nicht zu erfüllen, voran stellt sie die
Wahrheit. Keine der holden Musen geleitet sie zum Parnaß, sondern der leiden¬
reiche Feuerräuber Prometheus, und zwar führt sie seine Flammenspnr durch
die dunkeln Wirren der Welt:


An dein betäubenden Hauch
Der Städte vorüber;
Abseits der schillernde" Fesseln der Sünde,
Der bunten und eiteln Wunder der Lust,
Der Ohnmacht des Irdischen;
Abseits der goldübertünchten
Thöneruen Götzen der Ehre.

Es ist bezeichnend, daß zwei ihrer besten Gedichte Heroen der sittlichen Welt
feiern. Im "Diogenes vor Korinth" läßt sie den griechischen Bettlerphilvsvphen
leidenschaftlich gegen die Üppigkeit und Genußsucht der Korinther sprechen:


Ihr könntet göttlich sein nach eurer Kraft,
Und seid kaum Männer I

Er forderte sie auf zur Thätigkeit, doch sie verharrten in der Schwelgerei, und
er blieb der einzige, der den nahenden Untergang ihrer Freiheit voraussah. Da
floh er in die Einsamkeit: "Beschränkung in Natur ist gottgefeit." In "Mose's
Tod" wird ausdrücklich des Kampfes gedacht, den der Verkündiger göttlicher
Gesetze gegen die Diener des goldnen Kalbes zu bestehen hatte. Und zur Oster-
zeit, da sie in der Kirche der Musik lauscht, ersteht vor ihr die Szene, wie


Alberta von Puttkcnnor.

Dein Sang war mild, wie frühe Zeit im Mai —
Und leicht gcschwingt wie erster Lcrchenflng ,..
Du kanntest nicht den Sturm, der bis ins Herz
Verwirrend greift. Du warst von Wildheit frei.
Nur kanntest du den leichten Sturm des März,
Der, heißen Atems, spielt mit reichen Blüten,
Und nicht Baumkronen fällt in blindem Wüten.
Wie vieles, was zu hoch in nur entbrannt,
Hast dn hcrabgcdämmt in kühle Schranken;
Wie vieles zwang und tilgte deine Hand,
Was allzu üppig schoß in krause Ranken!
Ob dich mein Auge niemals auch ersah,
In feinen Zügen schaute dich mein Geist.
Du bliebest meinen Jugcndwegen nah,
Wie seltsam sie auch liefen, und wie kühn
Ihr letztes Ziel ans fremde Höhen weis't...
.Kein Kräutlein war in uns verwandtes Bind'n,
Und dennoch zog's mich an: deun deine Seele
Gab meinem Geist, was ihm an Milde fehle.

In der That ist die milde Gemütsart des modernen Minnesängers kein
ihr wahlverwandtes Naturell. Streng kritisch, ja schneidig stellt sie sich der
Welt und ihrer nähern Umgebung gegenüber. So sehr sie die Schönheit zu
feiern weiß, so vermag diese allein sie nicht zu erfüllen, voran stellt sie die
Wahrheit. Keine der holden Musen geleitet sie zum Parnaß, sondern der leiden¬
reiche Feuerräuber Prometheus, und zwar führt sie seine Flammenspnr durch
die dunkeln Wirren der Welt:


An dein betäubenden Hauch
Der Städte vorüber;
Abseits der schillernde« Fesseln der Sünde,
Der bunten und eiteln Wunder der Lust,
Der Ohnmacht des Irdischen;
Abseits der goldübertünchten
Thöneruen Götzen der Ehre.

Es ist bezeichnend, daß zwei ihrer besten Gedichte Heroen der sittlichen Welt
feiern. Im „Diogenes vor Korinth" läßt sie den griechischen Bettlerphilvsvphen
leidenschaftlich gegen die Üppigkeit und Genußsucht der Korinther sprechen:


Ihr könntet göttlich sein nach eurer Kraft,
Und seid kaum Männer I

Er forderte sie auf zur Thätigkeit, doch sie verharrten in der Schwelgerei, und
er blieb der einzige, der den nahenden Untergang ihrer Freiheit voraussah. Da
floh er in die Einsamkeit: „Beschränkung in Natur ist gottgefeit." In „Mose's
Tod" wird ausdrücklich des Kampfes gedacht, den der Verkündiger göttlicher
Gesetze gegen die Diener des goldnen Kalbes zu bestehen hatte. Und zur Oster-
zeit, da sie in der Kirche der Musik lauscht, ersteht vor ihr die Szene, wie


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[0128] Alberta von Puttkcnnor. Dein Sang war mild, wie frühe Zeit im Mai — Und leicht gcschwingt wie erster Lcrchenflng ,.. Du kanntest nicht den Sturm, der bis ins Herz Verwirrend greift. Du warst von Wildheit frei. Nur kanntest du den leichten Sturm des März, Der, heißen Atems, spielt mit reichen Blüten, Und nicht Baumkronen fällt in blindem Wüten. Wie vieles, was zu hoch in nur entbrannt, Hast dn hcrabgcdämmt in kühle Schranken; Wie vieles zwang und tilgte deine Hand, Was allzu üppig schoß in krause Ranken! Ob dich mein Auge niemals auch ersah, In feinen Zügen schaute dich mein Geist. Du bliebest meinen Jugcndwegen nah, Wie seltsam sie auch liefen, und wie kühn Ihr letztes Ziel ans fremde Höhen weis't... .Kein Kräutlein war in uns verwandtes Bind'n, Und dennoch zog's mich an: deun deine Seele Gab meinem Geist, was ihm an Milde fehle. In der That ist die milde Gemütsart des modernen Minnesängers kein ihr wahlverwandtes Naturell. Streng kritisch, ja schneidig stellt sie sich der Welt und ihrer nähern Umgebung gegenüber. So sehr sie die Schönheit zu feiern weiß, so vermag diese allein sie nicht zu erfüllen, voran stellt sie die Wahrheit. Keine der holden Musen geleitet sie zum Parnaß, sondern der leiden¬ reiche Feuerräuber Prometheus, und zwar führt sie seine Flammenspnr durch die dunkeln Wirren der Welt: An dein betäubenden Hauch Der Städte vorüber; Abseits der schillernde« Fesseln der Sünde, Der bunten und eiteln Wunder der Lust, Der Ohnmacht des Irdischen; Abseits der goldübertünchten Thöneruen Götzen der Ehre. Es ist bezeichnend, daß zwei ihrer besten Gedichte Heroen der sittlichen Welt feiern. Im „Diogenes vor Korinth" läßt sie den griechischen Bettlerphilvsvphen leidenschaftlich gegen die Üppigkeit und Genußsucht der Korinther sprechen: Ihr könntet göttlich sein nach eurer Kraft, Und seid kaum Männer I Er forderte sie auf zur Thätigkeit, doch sie verharrten in der Schwelgerei, und er blieb der einzige, der den nahenden Untergang ihrer Freiheit voraussah. Da floh er in die Einsamkeit: „Beschränkung in Natur ist gottgefeit." In „Mose's Tod" wird ausdrücklich des Kampfes gedacht, den der Verkündiger göttlicher Gesetze gegen die Diener des goldnen Kalbes zu bestehen hatte. Und zur Oster- zeit, da sie in der Kirche der Musik lauscht, ersteht vor ihr die Szene, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/128>, abgerufen am 25.11.2024.