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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Nachtigal in Tunis.

schiffe u. s, w., aber bei der geringen Ordnung, die in den Finanzen herrschte,
bei der Last, die infolge früherer Darlehen das Land bedrückte, konnte das kein
gutes Ende nehmen. Und wie sah es im Kreise der Machthaber aus?

Ich habe hinlänglich Gelegenheit, es zu beobachten, denn der Minister ist der
Mittelpunkt von allein, der Bey selbst eine komplette Null. Ich habe mit größter
Mühe bis jetzt ein halbes Dutzend Menschen entdecken können, die wirklich arbeiten.
Das ist der Minister su me-t, seine Stütze und sein Halt Sidi-el-Azis, der nach ihm
wichtigste Mann im Staate, und drei oder vier Schreibinaschiueu. Alle andern
arbeite" hier und da einmal, wenn sie einen Auftrag erhalten, aber durchaus nicht
gewohnheitsmäßig oder regelmäßig. Ich habe bisweilen Sorge, daß der Schwindel
nicht lange mehr fortdauern wird. Die paar Dreier, welche ich inzwischen als
Notpfennige erübrigen kann, werde ich dann in auswärtigen Papieren anlegen.
Doch Vorher muß ich noch etwas verdienen, wozu ich jetzt leider keine großen
Aussichten entdecken kann.

Einstweilen galt es daher, die Protektion Sidi Nustans, der inzwischen
Minister des Innern geworden war, und vor allem des Khasnadar wahrzu¬
nehmen, der ja für die Kollision seiner Ansprüche mit den Funktionen der eigent¬
lichen Stellung Dr. Nachtigals verantwortlich war. Noch im Oktober meldet
Nachtigal:

Ich habe bis jetzt noch absolut nichts in meinem Amte thun können. Ich
bleibe von morgens bis abends beim Minister, und alle Welt sagt, ich dürfe ihn
und seine Nähe durchaus nicht verlassen. Genauer Wird es sich entscheiden, sobald
der Hof nach dem Vardo zurückkehren wird. Alsdann werde ich den Minister
direkt fragen. Meine Stellung bei diesem selbst ist noch etwas unbestimmt. Er
würde mich wohl allmählich zu seinem vollständigen Hausärzte machen wollen, da
er den Dr. Lumbrosu, den ersten Arzt des Reiches, nicht mehr leiden zu können
scheint. Doch seine Damen haben mich noch nicht zugelassen. Es scheint, die Prin¬
zessin ist eine stolze, eigenwillige Frau. Ich nenne die Frau des Ministers Prin¬
zessin, da sie, soviel ich weiß, die Schwester Achmed Bass ist. Sobald ich von
ihr zugelassen sein werde, ist meine Stellung gesichert, und um dahin zu gelange",
muß ich die Eunuchen gilt behandeln. Solch ein Hausstand ist sehr groß. Die
Prinzessin hat fünfzehn Gesellschaftsdamen, von denen jede einzelne wieder zahllose
Dienerschaft hat. Wenn ich wegen irgend eines kleinen Kindes bisweilen ins
Innere des Harems geführt werde und die Eunuchen mit dem Ausruf "Aufge¬
paßt!" vor mir herschreiten, höre ich es in den Korridoren hinter jeder Thür vou
weiblichen Gewändern rauschen. Hoffentlich wird der Minister mir endlich auch
den Anblick seiner Gemahlin verschaffen und ich dann dieselben Vorteile wie Lum-
brosv genießen. Mein Marineminister -- dem, seiner Botmäßigkeit gehöre ich
an -- ist nach der Aussage aller ein sehr braver und verhältnismäßig sehr thätiger
Mann. Bei einem etwaigen Sturze des jetzigem Ministers würde er wahrscheinlich
das neue Kabinet zu bilden haben.

(Schluß folgt.)




Gustav Nachtigal in Tunis.

schiffe u. s, w., aber bei der geringen Ordnung, die in den Finanzen herrschte,
bei der Last, die infolge früherer Darlehen das Land bedrückte, konnte das kein
gutes Ende nehmen. Und wie sah es im Kreise der Machthaber aus?

Ich habe hinlänglich Gelegenheit, es zu beobachten, denn der Minister ist der
Mittelpunkt von allein, der Bey selbst eine komplette Null. Ich habe mit größter
Mühe bis jetzt ein halbes Dutzend Menschen entdecken können, die wirklich arbeiten.
Das ist der Minister su me-t, seine Stütze und sein Halt Sidi-el-Azis, der nach ihm
wichtigste Mann im Staate, und drei oder vier Schreibinaschiueu. Alle andern
arbeite« hier und da einmal, wenn sie einen Auftrag erhalten, aber durchaus nicht
gewohnheitsmäßig oder regelmäßig. Ich habe bisweilen Sorge, daß der Schwindel
nicht lange mehr fortdauern wird. Die paar Dreier, welche ich inzwischen als
Notpfennige erübrigen kann, werde ich dann in auswärtigen Papieren anlegen.
Doch Vorher muß ich noch etwas verdienen, wozu ich jetzt leider keine großen
Aussichten entdecken kann.

Einstweilen galt es daher, die Protektion Sidi Nustans, der inzwischen
Minister des Innern geworden war, und vor allem des Khasnadar wahrzu¬
nehmen, der ja für die Kollision seiner Ansprüche mit den Funktionen der eigent¬
lichen Stellung Dr. Nachtigals verantwortlich war. Noch im Oktober meldet
Nachtigal:

Ich habe bis jetzt noch absolut nichts in meinem Amte thun können. Ich
bleibe von morgens bis abends beim Minister, und alle Welt sagt, ich dürfe ihn
und seine Nähe durchaus nicht verlassen. Genauer Wird es sich entscheiden, sobald
der Hof nach dem Vardo zurückkehren wird. Alsdann werde ich den Minister
direkt fragen. Meine Stellung bei diesem selbst ist noch etwas unbestimmt. Er
würde mich wohl allmählich zu seinem vollständigen Hausärzte machen wollen, da
er den Dr. Lumbrosu, den ersten Arzt des Reiches, nicht mehr leiden zu können
scheint. Doch seine Damen haben mich noch nicht zugelassen. Es scheint, die Prin¬
zessin ist eine stolze, eigenwillige Frau. Ich nenne die Frau des Ministers Prin¬
zessin, da sie, soviel ich weiß, die Schwester Achmed Bass ist. Sobald ich von
ihr zugelassen sein werde, ist meine Stellung gesichert, und um dahin zu gelange»,
muß ich die Eunuchen gilt behandeln. Solch ein Hausstand ist sehr groß. Die
Prinzessin hat fünfzehn Gesellschaftsdamen, von denen jede einzelne wieder zahllose
Dienerschaft hat. Wenn ich wegen irgend eines kleinen Kindes bisweilen ins
Innere des Harems geführt werde und die Eunuchen mit dem Ausruf „Aufge¬
paßt!" vor mir herschreiten, höre ich es in den Korridoren hinter jeder Thür vou
weiblichen Gewändern rauschen. Hoffentlich wird der Minister mir endlich auch
den Anblick seiner Gemahlin verschaffen und ich dann dieselben Vorteile wie Lum-
brosv genießen. Mein Marineminister — dem, seiner Botmäßigkeit gehöre ich
an — ist nach der Aussage aller ein sehr braver und verhältnismäßig sehr thätiger
Mann. Bei einem etwaigen Sturze des jetzigem Ministers würde er wahrscheinlich
das neue Kabinet zu bilden haben.

(Schluß folgt.)




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[0126] Gustav Nachtigal in Tunis. schiffe u. s, w., aber bei der geringen Ordnung, die in den Finanzen herrschte, bei der Last, die infolge früherer Darlehen das Land bedrückte, konnte das kein gutes Ende nehmen. Und wie sah es im Kreise der Machthaber aus? Ich habe hinlänglich Gelegenheit, es zu beobachten, denn der Minister ist der Mittelpunkt von allein, der Bey selbst eine komplette Null. Ich habe mit größter Mühe bis jetzt ein halbes Dutzend Menschen entdecken können, die wirklich arbeiten. Das ist der Minister su me-t, seine Stütze und sein Halt Sidi-el-Azis, der nach ihm wichtigste Mann im Staate, und drei oder vier Schreibinaschiueu. Alle andern arbeite« hier und da einmal, wenn sie einen Auftrag erhalten, aber durchaus nicht gewohnheitsmäßig oder regelmäßig. Ich habe bisweilen Sorge, daß der Schwindel nicht lange mehr fortdauern wird. Die paar Dreier, welche ich inzwischen als Notpfennige erübrigen kann, werde ich dann in auswärtigen Papieren anlegen. Doch Vorher muß ich noch etwas verdienen, wozu ich jetzt leider keine großen Aussichten entdecken kann. Einstweilen galt es daher, die Protektion Sidi Nustans, der inzwischen Minister des Innern geworden war, und vor allem des Khasnadar wahrzu¬ nehmen, der ja für die Kollision seiner Ansprüche mit den Funktionen der eigent¬ lichen Stellung Dr. Nachtigals verantwortlich war. Noch im Oktober meldet Nachtigal: Ich habe bis jetzt noch absolut nichts in meinem Amte thun können. Ich bleibe von morgens bis abends beim Minister, und alle Welt sagt, ich dürfe ihn und seine Nähe durchaus nicht verlassen. Genauer Wird es sich entscheiden, sobald der Hof nach dem Vardo zurückkehren wird. Alsdann werde ich den Minister direkt fragen. Meine Stellung bei diesem selbst ist noch etwas unbestimmt. Er würde mich wohl allmählich zu seinem vollständigen Hausärzte machen wollen, da er den Dr. Lumbrosu, den ersten Arzt des Reiches, nicht mehr leiden zu können scheint. Doch seine Damen haben mich noch nicht zugelassen. Es scheint, die Prin¬ zessin ist eine stolze, eigenwillige Frau. Ich nenne die Frau des Ministers Prin¬ zessin, da sie, soviel ich weiß, die Schwester Achmed Bass ist. Sobald ich von ihr zugelassen sein werde, ist meine Stellung gesichert, und um dahin zu gelange», muß ich die Eunuchen gilt behandeln. Solch ein Hausstand ist sehr groß. Die Prinzessin hat fünfzehn Gesellschaftsdamen, von denen jede einzelne wieder zahllose Dienerschaft hat. Wenn ich wegen irgend eines kleinen Kindes bisweilen ins Innere des Harems geführt werde und die Eunuchen mit dem Ausruf „Aufge¬ paßt!" vor mir herschreiten, höre ich es in den Korridoren hinter jeder Thür vou weiblichen Gewändern rauschen. Hoffentlich wird der Minister mir endlich auch den Anblick seiner Gemahlin verschaffen und ich dann dieselben Vorteile wie Lum- brosv genießen. Mein Marineminister — dem, seiner Botmäßigkeit gehöre ich an — ist nach der Aussage aller ein sehr braver und verhältnismäßig sehr thätiger Mann. Bei einem etwaigen Sturze des jetzigem Ministers würde er wahrscheinlich das neue Kabinet zu bilden haben. (Schluß folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/126>, abgerufen am 25.11.2024.