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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Nachdem die Kampagne elf Monate gedauert hatte, rückte man endlich
anfang Juli 1865 wieder in Tunis ein.

Gestern früh, schreibt er an: 4. Juli, wurden wir feierlich in der Residenz
Bardv vom Bey und 0om Minister empfangen. Ich habe dem erstem der Sitte
des Landes gemäß die Hand geküßt und vom Premier und andern hohen Personen
schmeichelhafte Komplimente nicht allein über meine ärztlichen Leistungen, sondern
auch wegen meinem Zeitungsberichte über die Ereignisse während der Revolution -- die
öffentliche Meinung Europas mußte gegenüber tendenziöser Entstellung französischer
Organe aufgeklärt werden -- erhalten. Der Bey hat mir die Offiziersklasse des
Ordens Jftakar-Nischam angeheftet; des weitern Lohnes Vonseiten des geretteten
Vaterlandes harre ich noch.

Seine Ahnungen über die Schwierigkeit, diesen Lohn zu gewinnen, hatten
ihn nicht getäuscht. Es kostete noch Umwege, und das Endresultat stand, dank
den Machinationen der Gegner, in keinem Verhältnis zu seinen Verdiensten. Am
1. September berichtet er:

Es ist unleugbare Thatsache, daß ich seit Wochen das traurige Leben eines
Höflings führe. Ich bin provisorisch in der Sommerresidenz des Hofes (an
der Stelle des alten Karthago) um Meeresufer installirt, zehn Minuten vom
Wohnsitze des Khasnadar, und bringe meine Tage in gräßlicher Nichtsthuerei
im Hause des letztern zu. Ich bin zwar vom Bey zum ersten Arzt der tune¬
sischen Flotte ernannt worden, doch hatte dies bis jetzt noch keine andre Folge,
als daß ich auf dem Bureau des Marincministerinms meinen Namen ver¬
stümmelt eintragen ließ. Ich fürchte, daß sich das Provisorium sehr verlängern
wird, da die Anstellung garnicht im Sinne des Ministers war, der mich in seiner
Nähe behalten wollte. So besteht denn mein Dienst bis jetzt in nichts weiter als
darin, morgens in das Haus des Münsters zu gehen, ihm guten Morgen zu sagen,
wenn er seine Privatwohnung, die natürlich für die Außenwelt abgeschlossen ist,
verläßt, dann vier Stunden in den Vorzimmern herumzuirren, bis er zum Bey
geht, was ungefähr zu Mittag stattfindet. Dann kann ich zum Frühstück nach
Hanse gehen, um gegen zwei Uhr ihm bei seiner Rückkehr aufzulauern und ihn in
seinen Gemächer" verschwinden zu sehen. Abends gehe ich dann noch einmal hin
und treibe mich dort bis neun oder zehn Uhr herum. Dann dinire ich und gehe
äußerst erschöpft zu Bette, ohne auch uur das Geringste gethan zu haben.

Diese seltsame Zwitterstcllung, deren Grund ihm erst später klar wurde,
dauerte eine geraume Weile. Sem Interesse gebot, dem Verlangen des all¬
mächtigen Ministers, der eine Vorliebe sür ihn gehabt hatte, ihn täglich zu sehen
wünschte und ihn anstatt des Dr. Lumbroso zum Leibarzt zu begehren schien,
möglichst zu willfahren. Diese Perspektive war wesentlich verlockender als die
Stellung, die er jetzt fast nur nominell bekleidete, die ihm nur etwa tausend
Thaler Jahrgehalt bot und ihn mit Ausgaben für Domestiken, Haushalt,
berufsmäßigen Apparat u. s. w. unverhältnismäßig belastete. Auch war sein
Vertrauen in den Bestand der Dinge in Tunis sehr gering. Man hatte zwar
seit der Revolution dort fabelhafte Anstrengungen gemacht, hatte eine Armee
geschaffen, kleidete die Soldaten aufs schönste, hatte den rückständigen Sold
mehrerer Jahre bezahlt, hatte neue Kanonen gießen lassen, besaß zehn große Dampf-


Nachdem die Kampagne elf Monate gedauert hatte, rückte man endlich
anfang Juli 1865 wieder in Tunis ein.

Gestern früh, schreibt er an: 4. Juli, wurden wir feierlich in der Residenz
Bardv vom Bey und 0om Minister empfangen. Ich habe dem erstem der Sitte
des Landes gemäß die Hand geküßt und vom Premier und andern hohen Personen
schmeichelhafte Komplimente nicht allein über meine ärztlichen Leistungen, sondern
auch wegen meinem Zeitungsberichte über die Ereignisse während der Revolution — die
öffentliche Meinung Europas mußte gegenüber tendenziöser Entstellung französischer
Organe aufgeklärt werden — erhalten. Der Bey hat mir die Offiziersklasse des
Ordens Jftakar-Nischam angeheftet; des weitern Lohnes Vonseiten des geretteten
Vaterlandes harre ich noch.

Seine Ahnungen über die Schwierigkeit, diesen Lohn zu gewinnen, hatten
ihn nicht getäuscht. Es kostete noch Umwege, und das Endresultat stand, dank
den Machinationen der Gegner, in keinem Verhältnis zu seinen Verdiensten. Am
1. September berichtet er:

Es ist unleugbare Thatsache, daß ich seit Wochen das traurige Leben eines
Höflings führe. Ich bin provisorisch in der Sommerresidenz des Hofes (an
der Stelle des alten Karthago) um Meeresufer installirt, zehn Minuten vom
Wohnsitze des Khasnadar, und bringe meine Tage in gräßlicher Nichtsthuerei
im Hause des letztern zu. Ich bin zwar vom Bey zum ersten Arzt der tune¬
sischen Flotte ernannt worden, doch hatte dies bis jetzt noch keine andre Folge,
als daß ich auf dem Bureau des Marincministerinms meinen Namen ver¬
stümmelt eintragen ließ. Ich fürchte, daß sich das Provisorium sehr verlängern
wird, da die Anstellung garnicht im Sinne des Ministers war, der mich in seiner
Nähe behalten wollte. So besteht denn mein Dienst bis jetzt in nichts weiter als
darin, morgens in das Haus des Münsters zu gehen, ihm guten Morgen zu sagen,
wenn er seine Privatwohnung, die natürlich für die Außenwelt abgeschlossen ist,
verläßt, dann vier Stunden in den Vorzimmern herumzuirren, bis er zum Bey
geht, was ungefähr zu Mittag stattfindet. Dann kann ich zum Frühstück nach
Hanse gehen, um gegen zwei Uhr ihm bei seiner Rückkehr aufzulauern und ihn in
seinen Gemächer» verschwinden zu sehen. Abends gehe ich dann noch einmal hin
und treibe mich dort bis neun oder zehn Uhr herum. Dann dinire ich und gehe
äußerst erschöpft zu Bette, ohne auch uur das Geringste gethan zu haben.

Diese seltsame Zwitterstcllung, deren Grund ihm erst später klar wurde,
dauerte eine geraume Weile. Sem Interesse gebot, dem Verlangen des all¬
mächtigen Ministers, der eine Vorliebe sür ihn gehabt hatte, ihn täglich zu sehen
wünschte und ihn anstatt des Dr. Lumbroso zum Leibarzt zu begehren schien,
möglichst zu willfahren. Diese Perspektive war wesentlich verlockender als die
Stellung, die er jetzt fast nur nominell bekleidete, die ihm nur etwa tausend
Thaler Jahrgehalt bot und ihn mit Ausgaben für Domestiken, Haushalt,
berufsmäßigen Apparat u. s. w. unverhältnismäßig belastete. Auch war sein
Vertrauen in den Bestand der Dinge in Tunis sehr gering. Man hatte zwar
seit der Revolution dort fabelhafte Anstrengungen gemacht, hatte eine Armee
geschaffen, kleidete die Soldaten aufs schönste, hatte den rückständigen Sold
mehrerer Jahre bezahlt, hatte neue Kanonen gießen lassen, besaß zehn große Dampf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/125>, abgerufen am 25.11.2024.