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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Reden des Fürsten Bismarck.

Staatsmann lange Zeit hindurch so furchtbarer Angriffe sich zu erwehren ge¬
habt, wie während dieser Jahre der Ministerpräsident von Bismarck.

Für alle diese Politiker, die sich so hoch über Herrn von Bismarck er¬
haben dünkten, brachte die Schlacht von Königgrätz eine moralische Niederlage,
die kaum geringer war als die physische Niederlage, welche Osterreich erlitt.
Ein Teil derselben war noch klug und patriotisch genug, fortan von ihrer
blinden Opposition abzustehen und dem Leiter der preußischen Politik gegenüber
eine andre Sprache zu führen. Manche uuter ihnen würden sicherlich vieles
darum geben, wenn sie ihre früher gehaltnen Reden aus den unerbittlichen
Protokollen hinwegschaffen konnten. Ein andrer Teil jener Männer hielt sich
dagegen für berufen, die Opposition, wenn auch in etwas gedämpftem Tone,
doch noch fortzusetzen. Das furchtbare Fiasko der vorausgegangncn Jahre
glaubten sie leichten Mutes abschütteln zu können. Manche von ihnen hat
seitdem der Tod hinweggerafft. Einzelne aber beharren bis auf den heutigen
Tag in den Deklamationen von 1863, und an die Stelle der Verstorbnen sind
andre getreten, welche ganz in deren Fußstapfen wandeln. Auch die längere
Zeit vorwaltende Schüchternheit des Ausdrucks hat man mehr und mehr wieder
abgelegt. Zwar wagt man auch heute noch nicht wieder, den Fürsten Bismarck
als einen Stümper in der auswärtigen Politik und als einen Verleugner des
nationalen Gedankens zu behandeln. Dagegen ist es nun die innere Politik,
vor allem die Wirtschaftspolitik, in welcher man nach dem Urteile jener Männer
den Fürsten Bismarck der, gänzlichen Ignoranz, andrer noch schlimmerer Eigen¬
schaften nicht zu gedenken, ohne Scheu zeihen darf.

Angesichts dieser Erscheinungen möchten wir wünschen, daß recht viele,
namentlich auch jene Männer selbst, das kleine Buch, welches uns die Ver¬
handlungen der Jahre 1862 bis 1866 in rmos wieder vor Augen führt, einmal
durchsäbelt. Sie würden sich kaum verhehlen können, daß die damals gehaltnen
Reden -- wir sehen sie ja mit den aufgeklärten Augen der Geschichte an --
doch eigentlich recht kindisch waren. Sollte unsern Oppositionsmännern dabei
nun garnicht der Gedanke kommen, daß vielleicht nach zwanzig Jahren auch
die Reden, die sie heute halten, der Welt ebenso erscheinen könnten, wie uns
schon jetzt die damals gehaltnen? Und sollten sie hierin nicht eine Mahnung
erblicken, doch wenigstens in etwas bescheidneren und minder anspruchsvollen
Formen ihre Opposition zu führen, als sie es zur Zeit thun? Oder genügt
es ihnen schon, daß sie im Augenblick wenigstens einen Teil des Publikums,
der die Geschichte der letzten Jahrzehnte bereits vergessen hat, glauben machen
können, daß sie allein die Staatsweisheit besitzen und ihnen gegenüber der
Reichskanzler nnr ein kleines Licht sei? Das sind die Fragen, die wir an die
uns neu in Erinnerung gebrachten Vorgänge jener Jahre knüpfen möchten.




Die Reden des Fürsten Bismarck.

Staatsmann lange Zeit hindurch so furchtbarer Angriffe sich zu erwehren ge¬
habt, wie während dieser Jahre der Ministerpräsident von Bismarck.

Für alle diese Politiker, die sich so hoch über Herrn von Bismarck er¬
haben dünkten, brachte die Schlacht von Königgrätz eine moralische Niederlage,
die kaum geringer war als die physische Niederlage, welche Osterreich erlitt.
Ein Teil derselben war noch klug und patriotisch genug, fortan von ihrer
blinden Opposition abzustehen und dem Leiter der preußischen Politik gegenüber
eine andre Sprache zu führen. Manche uuter ihnen würden sicherlich vieles
darum geben, wenn sie ihre früher gehaltnen Reden aus den unerbittlichen
Protokollen hinwegschaffen konnten. Ein andrer Teil jener Männer hielt sich
dagegen für berufen, die Opposition, wenn auch in etwas gedämpftem Tone,
doch noch fortzusetzen. Das furchtbare Fiasko der vorausgegangncn Jahre
glaubten sie leichten Mutes abschütteln zu können. Manche von ihnen hat
seitdem der Tod hinweggerafft. Einzelne aber beharren bis auf den heutigen
Tag in den Deklamationen von 1863, und an die Stelle der Verstorbnen sind
andre getreten, welche ganz in deren Fußstapfen wandeln. Auch die längere
Zeit vorwaltende Schüchternheit des Ausdrucks hat man mehr und mehr wieder
abgelegt. Zwar wagt man auch heute noch nicht wieder, den Fürsten Bismarck
als einen Stümper in der auswärtigen Politik und als einen Verleugner des
nationalen Gedankens zu behandeln. Dagegen ist es nun die innere Politik,
vor allem die Wirtschaftspolitik, in welcher man nach dem Urteile jener Männer
den Fürsten Bismarck der, gänzlichen Ignoranz, andrer noch schlimmerer Eigen¬
schaften nicht zu gedenken, ohne Scheu zeihen darf.

Angesichts dieser Erscheinungen möchten wir wünschen, daß recht viele,
namentlich auch jene Männer selbst, das kleine Buch, welches uns die Ver¬
handlungen der Jahre 1862 bis 1866 in rmos wieder vor Augen führt, einmal
durchsäbelt. Sie würden sich kaum verhehlen können, daß die damals gehaltnen
Reden — wir sehen sie ja mit den aufgeklärten Augen der Geschichte an —
doch eigentlich recht kindisch waren. Sollte unsern Oppositionsmännern dabei
nun garnicht der Gedanke kommen, daß vielleicht nach zwanzig Jahren auch
die Reden, die sie heute halten, der Welt ebenso erscheinen könnten, wie uns
schon jetzt die damals gehaltnen? Und sollten sie hierin nicht eine Mahnung
erblicken, doch wenigstens in etwas bescheidneren und minder anspruchsvollen
Formen ihre Opposition zu führen, als sie es zur Zeit thun? Oder genügt
es ihnen schon, daß sie im Augenblick wenigstens einen Teil des Publikums,
der die Geschichte der letzten Jahrzehnte bereits vergessen hat, glauben machen
können, daß sie allein die Staatsweisheit besitzen und ihnen gegenüber der
Reichskanzler nnr ein kleines Licht sei? Das sind die Fragen, die wir an die
uns neu in Erinnerung gebrachten Vorgänge jener Jahre knüpfen möchten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/117>, abgerufen am 28.11.2024.