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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Reden des Fürsten Bismarck.

netenhcms, Herr von Bismarck erklärte, daß zunächst an dem Londoner Pro¬
tokoll festgehalten werden müsse, aber auch dafür Sorge getragen werden solle,
daß die bisherigen Zustände in Schleswig-Holstein nicht fortdauerten. Ohne
Zweifel hatte er schon damals die Verbindung der Herzogtümer mit Preußen
ins Auge gefaßt. Aber man verstand ihn nicht. Man sah in ihm nur einen
Verräter an der deutschen Sache. Als im Dezember 1863 die Negierung
"angesichts der gegenwärtigen Gestaltung der zwischen Dänemark und Deutsch¬
land schwebenden Streitfragen" eine Staatsanleihe von 12 Millionen Thalern
verlangte, antwortete das Abgeordnetenhaus zunächst mit einer Adresse an den
König, worin es bekundete, daß es mit tiefem Leidwesen auf die Wirksamkeit
der königlichen Staatsregierung blicke. Auch eine königliche Botschaft, welche
die beruhigendsten Versicherungen gab, blieb ohne Erfolg. Die Anleihe wurde
abgelehnt.

Gleichwohl wurde der dänische Krieg geführt. Der Wiener Frieden
war geschlossen, Schleswig-Holstein und Lauenburg in den Besitz von Preußen
und Osterreich übergegangen. Damit war die Herrschaft Deutschlands in den
Herzogtümern gesichert. Nun verlangte die Negierung, das Abgeordnetenhaus
solle wenigstens nachträglich die Bestreitung der Kriegskosten ans dem Staats¬
schatze genehmigen. Dabei kam bereits durch einen Antrag des Abgeordneten
Wagener die Frage der Annexion der Herzogtümer an Preußen zur Sprache.
Der Ministerpräsident bat dringend, das Abgeordnetenhaus möge sich doch über
die Zukunft der Herzogtümer aussprechen. Aber man hatte keine andre Ant¬
wort, als Verwerfung der Vorlage.

Auch die soziale Frage regte sich schon damals. Eine größere Anzahl
Arbeiter der Reichenheimschen Fabrik in Schlesien hatte eine Bittschrift an den
König gerichtet, worin sie bittre Klage über ihre Arbeitsverhältnisse führten.
Der Ministerpräsident veranlaßte, daß eine Deputation dieser Arbeiter (die so¬
genannte Waldenbnrger Deputation) von dem Könige empfangen und daß eine
Untersuchung ihrer Beschwerden angeordnet wurde. Auch gewährte der König
aus seinen eignen Mitteln zum Versuche einer Produktivassoziation der Arbeiter
ein Kapital von 6000 Thalern. Auf Grund dieser Vorgänge wurden wiederum
im Abgeordnetenhause, namentlich von dem beteiligten Abgeordneten Reichenheim,
die heftigsten Angriffe gegen den Ministerpräsidenten erhoben. Er lehnte sie ab
mit der Hinweisung darauf, daß von jeher die Könige Preußens es als ihre
Aufgabe angesehen haben, sich der Not und Armut anzunehmen.

In allen diesen Fragen hat seitdem die Geschichte ihr Urteil gesprochen.
Niemand zweifelt heute, daß die Aufrechterhaltung der Armeeorganisation eine
Notwendigkeit war, um die Größe Preußens und Deutschlands vorzubereiten.
Das Zusammenhalten mit Rußland hat sich für die deutsche Politik der fol¬
genden Jahre reichlich gelohnt; für ein selbständiges Polen schwärmen heute in
Deutschland nur noch hirnverbrannte Politiker. Die Elbherzogtümer gehören


Die Reden des Fürsten Bismarck.

netenhcms, Herr von Bismarck erklärte, daß zunächst an dem Londoner Pro¬
tokoll festgehalten werden müsse, aber auch dafür Sorge getragen werden solle,
daß die bisherigen Zustände in Schleswig-Holstein nicht fortdauerten. Ohne
Zweifel hatte er schon damals die Verbindung der Herzogtümer mit Preußen
ins Auge gefaßt. Aber man verstand ihn nicht. Man sah in ihm nur einen
Verräter an der deutschen Sache. Als im Dezember 1863 die Negierung
„angesichts der gegenwärtigen Gestaltung der zwischen Dänemark und Deutsch¬
land schwebenden Streitfragen" eine Staatsanleihe von 12 Millionen Thalern
verlangte, antwortete das Abgeordnetenhaus zunächst mit einer Adresse an den
König, worin es bekundete, daß es mit tiefem Leidwesen auf die Wirksamkeit
der königlichen Staatsregierung blicke. Auch eine königliche Botschaft, welche
die beruhigendsten Versicherungen gab, blieb ohne Erfolg. Die Anleihe wurde
abgelehnt.

Gleichwohl wurde der dänische Krieg geführt. Der Wiener Frieden
war geschlossen, Schleswig-Holstein und Lauenburg in den Besitz von Preußen
und Osterreich übergegangen. Damit war die Herrschaft Deutschlands in den
Herzogtümern gesichert. Nun verlangte die Negierung, das Abgeordnetenhaus
solle wenigstens nachträglich die Bestreitung der Kriegskosten ans dem Staats¬
schatze genehmigen. Dabei kam bereits durch einen Antrag des Abgeordneten
Wagener die Frage der Annexion der Herzogtümer an Preußen zur Sprache.
Der Ministerpräsident bat dringend, das Abgeordnetenhaus möge sich doch über
die Zukunft der Herzogtümer aussprechen. Aber man hatte keine andre Ant¬
wort, als Verwerfung der Vorlage.

Auch die soziale Frage regte sich schon damals. Eine größere Anzahl
Arbeiter der Reichenheimschen Fabrik in Schlesien hatte eine Bittschrift an den
König gerichtet, worin sie bittre Klage über ihre Arbeitsverhältnisse führten.
Der Ministerpräsident veranlaßte, daß eine Deputation dieser Arbeiter (die so¬
genannte Waldenbnrger Deputation) von dem Könige empfangen und daß eine
Untersuchung ihrer Beschwerden angeordnet wurde. Auch gewährte der König
aus seinen eignen Mitteln zum Versuche einer Produktivassoziation der Arbeiter
ein Kapital von 6000 Thalern. Auf Grund dieser Vorgänge wurden wiederum
im Abgeordnetenhause, namentlich von dem beteiligten Abgeordneten Reichenheim,
die heftigsten Angriffe gegen den Ministerpräsidenten erhoben. Er lehnte sie ab
mit der Hinweisung darauf, daß von jeher die Könige Preußens es als ihre
Aufgabe angesehen haben, sich der Not und Armut anzunehmen.

In allen diesen Fragen hat seitdem die Geschichte ihr Urteil gesprochen.
Niemand zweifelt heute, daß die Aufrechterhaltung der Armeeorganisation eine
Notwendigkeit war, um die Größe Preußens und Deutschlands vorzubereiten.
Das Zusammenhalten mit Rußland hat sich für die deutsche Politik der fol¬
genden Jahre reichlich gelohnt; für ein selbständiges Polen schwärmen heute in
Deutschland nur noch hirnverbrannte Politiker. Die Elbherzogtümer gehören


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[0115] Die Reden des Fürsten Bismarck. netenhcms, Herr von Bismarck erklärte, daß zunächst an dem Londoner Pro¬ tokoll festgehalten werden müsse, aber auch dafür Sorge getragen werden solle, daß die bisherigen Zustände in Schleswig-Holstein nicht fortdauerten. Ohne Zweifel hatte er schon damals die Verbindung der Herzogtümer mit Preußen ins Auge gefaßt. Aber man verstand ihn nicht. Man sah in ihm nur einen Verräter an der deutschen Sache. Als im Dezember 1863 die Negierung „angesichts der gegenwärtigen Gestaltung der zwischen Dänemark und Deutsch¬ land schwebenden Streitfragen" eine Staatsanleihe von 12 Millionen Thalern verlangte, antwortete das Abgeordnetenhaus zunächst mit einer Adresse an den König, worin es bekundete, daß es mit tiefem Leidwesen auf die Wirksamkeit der königlichen Staatsregierung blicke. Auch eine königliche Botschaft, welche die beruhigendsten Versicherungen gab, blieb ohne Erfolg. Die Anleihe wurde abgelehnt. Gleichwohl wurde der dänische Krieg geführt. Der Wiener Frieden war geschlossen, Schleswig-Holstein und Lauenburg in den Besitz von Preußen und Osterreich übergegangen. Damit war die Herrschaft Deutschlands in den Herzogtümern gesichert. Nun verlangte die Negierung, das Abgeordnetenhaus solle wenigstens nachträglich die Bestreitung der Kriegskosten ans dem Staats¬ schatze genehmigen. Dabei kam bereits durch einen Antrag des Abgeordneten Wagener die Frage der Annexion der Herzogtümer an Preußen zur Sprache. Der Ministerpräsident bat dringend, das Abgeordnetenhaus möge sich doch über die Zukunft der Herzogtümer aussprechen. Aber man hatte keine andre Ant¬ wort, als Verwerfung der Vorlage. Auch die soziale Frage regte sich schon damals. Eine größere Anzahl Arbeiter der Reichenheimschen Fabrik in Schlesien hatte eine Bittschrift an den König gerichtet, worin sie bittre Klage über ihre Arbeitsverhältnisse führten. Der Ministerpräsident veranlaßte, daß eine Deputation dieser Arbeiter (die so¬ genannte Waldenbnrger Deputation) von dem Könige empfangen und daß eine Untersuchung ihrer Beschwerden angeordnet wurde. Auch gewährte der König aus seinen eignen Mitteln zum Versuche einer Produktivassoziation der Arbeiter ein Kapital von 6000 Thalern. Auf Grund dieser Vorgänge wurden wiederum im Abgeordnetenhause, namentlich von dem beteiligten Abgeordneten Reichenheim, die heftigsten Angriffe gegen den Ministerpräsidenten erhoben. Er lehnte sie ab mit der Hinweisung darauf, daß von jeher die Könige Preußens es als ihre Aufgabe angesehen haben, sich der Not und Armut anzunehmen. In allen diesen Fragen hat seitdem die Geschichte ihr Urteil gesprochen. Niemand zweifelt heute, daß die Aufrechterhaltung der Armeeorganisation eine Notwendigkeit war, um die Größe Preußens und Deutschlands vorzubereiten. Das Zusammenhalten mit Rußland hat sich für die deutsche Politik der fol¬ genden Jahre reichlich gelohnt; für ein selbständiges Polen schwärmen heute in Deutschland nur noch hirnverbrannte Politiker. Die Elbherzogtümer gehören

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/115>, abgerufen am 25.11.2024.