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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das Programm des Torykabinets.

durch die Affaire am Kaschkflusse von neuem nach einem Freundschaftsbunde
mit Nußland; Salisbury dentet, seiner Vergangenheit getreu, verständlich an,
daß er die Russen als entschiedene Nebenbuhler und Gegner in Asien betrachtet
und einen Ausgleich mit ihnen, der Dauer verheißt, für ein Ding der Unmög¬
lichkeit hält. Gladstone war endlich der Meinung, man dürfe die Verteidigungs¬
anstalten für Indien nicht zu weit hinausschieben, und er war wohl nicht ab¬
geneigt, unter Umständen Herat und selbst ganz Afghanistan preiszugeben;
Salisbury ist im Gegenteil überzeugt, daß die Bollwerke Indiens weit nach
Norden hinausgebaut werden müssen, damit der Kriegsstrom dessen Grenze nicht
bespüle. Man wird bald sehen, wie das in Petersburg berührt hat. Über die
andre große Schwierigkeit, Ägypten, konnte Salisbury wenig sagen, aber was
er sagte, lautete befriedigend, indem er die Absicht kundgab, mit dem unglück¬
lichen Lande, an dem England sich so schwer vergriffen hat, in fester und vor¬
sichtiger Weise vorzugehen. Er besitzt nicht den Zauberstab, der nötig wäre,
wenn das dortige Wirrsal mit einem Schlage aufgelöst werden sollte. Die
neuen Minister übernehmen hier eine ungeheure Erbschaft von finanziellen, mili¬
tärischen und politischen Verpflichtungen und Lasten, bei der man sie schon loben
würde, wenn ihnen nur einiges gelänge und anders nnr halb mißriete. Salisbury
nahm sich hier vor entschiednen Erklärungen in Acht, und er that weise daran.
Er steht hier nicht bloß einer Großmacht, sondern einer Koalition aller bedeu¬
tenden Mächte des europäischen Festlandes gegenüber, unter denen das deutsche
Reich mit Fürst Bismarck ist, mit welchem sich die Tories auf möglichst guten
Fuß stellen mochten. Trotzdem ließ der Redner durchblicken, daß er England
als berufnen Protektor des Nillandes betrachtet. "Wir" müssen dessen Fi¬
nanzen ordnen, sagte er. "Wir" können den Sudan nicht ganz seinem Schick¬
sal überlassen. "Wir" müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie das Ver¬
hältnis Ägyptens zu den andern Mächten zu regeln ist. Das klingt nicht nach
der Auffassung Gladstones, nach welcher der Staat des guten Chedive Tewfik
ein "afrikanisches Belgien," neutral und unantastbar sein soll. Es ist möglich,
daß es den Tories gelingt, die internationalen Beziehungen Englands so zu
verändern, daß sie Aussicht gewinnen, auch die internationalen Beziehungen
Ägyptens zu regeln. Wir gehen nicht weiter auf diesen Punkt ein und sagen
nur, daß es nicht an einem Hinweise fehlt, wie das zu bewerkstelligen ist.

Werfen wir noch einen Blick auf die gegenwärtige parlamentarische Lage
Englands und deren voraussichtliche Entwicklung in der nächsten Zeit. Die¬
selbe gleicht einem Drama, bei dem das Hauptinteresse in den letzten Akt sällt.
Noch niemals haben, wie es bis jetzt scheint, die Liberalen so gelassen zuge¬
sehen, als ihre politischen Widersacher zur Herrschaft gelangten, und diese Gleich-
giltigkeit ist nicht unbegreiflich. Sie erklärt sich u. a. aus dem Glauben, daß
das Kabinet Gladstone sich offenbar Glück wünschte, daß sein Tod so rechtzeitig
und so sauft eintrat, und aus der Hoffnung, daß die neuen Leute, die bei den


Das Programm des Torykabinets.

durch die Affaire am Kaschkflusse von neuem nach einem Freundschaftsbunde
mit Nußland; Salisbury dentet, seiner Vergangenheit getreu, verständlich an,
daß er die Russen als entschiedene Nebenbuhler und Gegner in Asien betrachtet
und einen Ausgleich mit ihnen, der Dauer verheißt, für ein Ding der Unmög¬
lichkeit hält. Gladstone war endlich der Meinung, man dürfe die Verteidigungs¬
anstalten für Indien nicht zu weit hinausschieben, und er war wohl nicht ab¬
geneigt, unter Umständen Herat und selbst ganz Afghanistan preiszugeben;
Salisbury ist im Gegenteil überzeugt, daß die Bollwerke Indiens weit nach
Norden hinausgebaut werden müssen, damit der Kriegsstrom dessen Grenze nicht
bespüle. Man wird bald sehen, wie das in Petersburg berührt hat. Über die
andre große Schwierigkeit, Ägypten, konnte Salisbury wenig sagen, aber was
er sagte, lautete befriedigend, indem er die Absicht kundgab, mit dem unglück¬
lichen Lande, an dem England sich so schwer vergriffen hat, in fester und vor¬
sichtiger Weise vorzugehen. Er besitzt nicht den Zauberstab, der nötig wäre,
wenn das dortige Wirrsal mit einem Schlage aufgelöst werden sollte. Die
neuen Minister übernehmen hier eine ungeheure Erbschaft von finanziellen, mili¬
tärischen und politischen Verpflichtungen und Lasten, bei der man sie schon loben
würde, wenn ihnen nur einiges gelänge und anders nnr halb mißriete. Salisbury
nahm sich hier vor entschiednen Erklärungen in Acht, und er that weise daran.
Er steht hier nicht bloß einer Großmacht, sondern einer Koalition aller bedeu¬
tenden Mächte des europäischen Festlandes gegenüber, unter denen das deutsche
Reich mit Fürst Bismarck ist, mit welchem sich die Tories auf möglichst guten
Fuß stellen mochten. Trotzdem ließ der Redner durchblicken, daß er England
als berufnen Protektor des Nillandes betrachtet. „Wir" müssen dessen Fi¬
nanzen ordnen, sagte er. „Wir" können den Sudan nicht ganz seinem Schick¬
sal überlassen. „Wir" müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie das Ver¬
hältnis Ägyptens zu den andern Mächten zu regeln ist. Das klingt nicht nach
der Auffassung Gladstones, nach welcher der Staat des guten Chedive Tewfik
ein „afrikanisches Belgien," neutral und unantastbar sein soll. Es ist möglich,
daß es den Tories gelingt, die internationalen Beziehungen Englands so zu
verändern, daß sie Aussicht gewinnen, auch die internationalen Beziehungen
Ägyptens zu regeln. Wir gehen nicht weiter auf diesen Punkt ein und sagen
nur, daß es nicht an einem Hinweise fehlt, wie das zu bewerkstelligen ist.

Werfen wir noch einen Blick auf die gegenwärtige parlamentarische Lage
Englands und deren voraussichtliche Entwicklung in der nächsten Zeit. Die¬
selbe gleicht einem Drama, bei dem das Hauptinteresse in den letzten Akt sällt.
Noch niemals haben, wie es bis jetzt scheint, die Liberalen so gelassen zuge¬
sehen, als ihre politischen Widersacher zur Herrschaft gelangten, und diese Gleich-
giltigkeit ist nicht unbegreiflich. Sie erklärt sich u. a. aus dem Glauben, daß
das Kabinet Gladstone sich offenbar Glück wünschte, daß sein Tod so rechtzeitig
und so sauft eintrat, und aus der Hoffnung, daß die neuen Leute, die bei den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/109>, abgerufen am 25.11.2024.