Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Notizen, Bis jetzt ist über die weiteren Abenteuer der jungen Amazone nichts in die Eine ernstere Frage ist: Wie weit läuft die Verkehrung der geschlechtlichen Er¬ Wider den Schwindel in geschäftlichen Anpreisungen. Zu den Ge¬ So kam uns jüngst als Beilage der in Berlin erscheinenden "Offertenzeitung her¬ Notizen, Bis jetzt ist über die weiteren Abenteuer der jungen Amazone nichts in die Eine ernstere Frage ist: Wie weit läuft die Verkehrung der geschlechtlichen Er¬ Wider den Schwindel in geschäftlichen Anpreisungen. Zu den Ge¬ So kam uns jüngst als Beilage der in Berlin erscheinenden „Offertenzeitung her¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196202"/> <fw type="header" place="top"> Notizen,</fw><lb/> <p xml:id="ID_370"> Bis jetzt ist über die weiteren Abenteuer der jungen Amazone nichts in die<lb/> Oeffentlichkeit gedrungen, als daß sie sich auf einen Roman berufen haben soll, in<lb/> welchem ein mit einer schwedischen Admirals-Familie in Riva zusammengetroffener<lb/> junger Maler sich als ein Fräulein entpuppt habe. Wenn dies Buch, wie nicht zu<lb/> zweifeln ist, Waldmüllers in Ur. 44 (1884) dieser Blätter ausführlich besprochuer Ro¬<lb/> man „Darja" war, so zeigt sich wieder einmal, wie bei dem berühmten Roman des<lb/> Cervantes und bei Goethes ,.Leiden des jungen Werthers," mit welchen Augen das<lb/> Publikum liest. Don Quixote sollte die Ritter-Romane persistiren und wurde selbst<lb/> als Ritter-Roman aufgefaßt und zerlesen. Die Pistole des jungen Werther trat<lb/> erst in Funktion, nachdem der Liebende von Qualen mürbe gefoltert war, und kein<lb/> Federstrich des Autors hatte den Selbstmord glorifizirt. Dennoch glaubten un¬<lb/> zählige Leser und Leserinnen darin eine Aufforderung zu erblicken, kurzer Hand<lb/> dein schönen Erdendasein auf die Weise des jungen Werther ein Ende zu machen.<lb/> Auch Darja, die Steppentochter, geht erst nach Drangsalen, welche alle aus dem<lb/> unvorsichtig von ihr angelegten Männerkostüm erwachsen sind, in den Hafen<lb/> des Friedens und des Glückes ein. Dennoch wird sie, wie schou erwähnt, vermut¬<lb/> lich eine Anzahl von wohlgemuten Nachfolgerinnen erhalten, zumal da die erste<lb/> — und ist sie wirklich die erste? — in Aussig ihr Abenteuer mit so gutem Ge¬<lb/> lingen bestanden hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_371"> Eine ernstere Frage ist: Wie weit läuft die Verkehrung der geschlechtlichen Er¬<lb/> scheinung den bestehenden Gesetzen entgegen? Ist sie im deutschen Reiche straf¬<lb/> fälliger als in Böhmen? Die Frage scheint kontrovers; ihre Beantwortung möge<lb/> hierdurch angeregt sein.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Wider den Schwindel in geschäftlichen Anpreisungen.</head> <p xml:id="ID_372"> Zu den Ge¬<lb/> schäften, in welchen Unwahrheit und Unredlichkeit noch tief eingenistet ihr Unwesen<lb/> treiben, gehört allerorten und nicht bloß innerhalb Deutschlands der Handel mit Wein.<lb/> Kein Mensch, der gelegentlich eine Flasche Se. Estephe oder Se. Julien vorgesetzt erhält,<lb/> glaubt mehr daran, daß der Wein wirklich an jenen gesegneten Geländen gewachsen<lb/> sei, deren Namen er trägt, ja sein Bordeaux muß schon aus recht zuverlässiger Be¬<lb/> zugsquelle herkommen, wenn er überhaupt noch als reines Naturgcwächs angesehen<lb/> werden soll. Auch die Namen unsrer bekannten deutschen Weiuvrte, Deidesheün,<lb/> Hochheim, Nüdeshcim und wie die anheimelnden Fleckchen alle heißen, werden<lb/> nachgerade allenthalben zur Bezeichnung von Weinen gemißbraucht, die um gewisse<lb/> höhere Preise abgegeben werden, möge ihr Ursprung auch ganz wo anders zu suchen<lb/> sein, als der Name besagt. Bei bessern Geschäftshäusern scheint es daher mehr<lb/> und mehr Sitte zu werden, dem Weine die eigne Firmnbezeichnung zu geben, wohl<lb/> auch den Namen des Weingartcnbesitzers beizufügen, von welchem der Wein stammt,<lb/> um hiermit eine Gewähr für deu Gehalt zu bieten. Auch dieser guten Sitte aber<lb/> drängt sich die Unsitte falscher Firmenangabe zur Seite.</p><lb/> <p xml:id="ID_373" next="#ID_374"> So kam uns jüngst als Beilage der in Berlin erscheinenden „Offertenzeitung her¬<lb/> vorragender Firmen für die deutsche Aristokratie" eine gedruckte Anzeige zur Hand, in<lb/> welcher ein deutsches Geschäftshaus seine Schaumweiue empfiehlt und dabei unverhohlen<lb/> ausschreibt, daß man seine teils aus deutscheu, teils aus französischen Weinen hergestellte<lb/> Waare je nach Wunsch anstatt mit seiner eignen deutschen Firma auch mit einer falschen<lb/> französischen Etikette erhalte» könne; das Anerbieten der falschen Etiketten ist dabei<lb/> mit fetteren Buchstaben gedruckt, damit der saubere Lockvogel ja uicht übersehen<lb/> werde. Der Name des uns gänzlich fremden Geschäfts hat mit dem Zwecke gegen¬<lb/> wärtiger Einsendung nichts zu thun, sein Inhaber scheint keine Ahnung von dem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Notizen,
Bis jetzt ist über die weiteren Abenteuer der jungen Amazone nichts in die
Oeffentlichkeit gedrungen, als daß sie sich auf einen Roman berufen haben soll, in
welchem ein mit einer schwedischen Admirals-Familie in Riva zusammengetroffener
junger Maler sich als ein Fräulein entpuppt habe. Wenn dies Buch, wie nicht zu
zweifeln ist, Waldmüllers in Ur. 44 (1884) dieser Blätter ausführlich besprochuer Ro¬
man „Darja" war, so zeigt sich wieder einmal, wie bei dem berühmten Roman des
Cervantes und bei Goethes ,.Leiden des jungen Werthers," mit welchen Augen das
Publikum liest. Don Quixote sollte die Ritter-Romane persistiren und wurde selbst
als Ritter-Roman aufgefaßt und zerlesen. Die Pistole des jungen Werther trat
erst in Funktion, nachdem der Liebende von Qualen mürbe gefoltert war, und kein
Federstrich des Autors hatte den Selbstmord glorifizirt. Dennoch glaubten un¬
zählige Leser und Leserinnen darin eine Aufforderung zu erblicken, kurzer Hand
dein schönen Erdendasein auf die Weise des jungen Werther ein Ende zu machen.
Auch Darja, die Steppentochter, geht erst nach Drangsalen, welche alle aus dem
unvorsichtig von ihr angelegten Männerkostüm erwachsen sind, in den Hafen
des Friedens und des Glückes ein. Dennoch wird sie, wie schou erwähnt, vermut¬
lich eine Anzahl von wohlgemuten Nachfolgerinnen erhalten, zumal da die erste
— und ist sie wirklich die erste? — in Aussig ihr Abenteuer mit so gutem Ge¬
lingen bestanden hat.
Eine ernstere Frage ist: Wie weit läuft die Verkehrung der geschlechtlichen Er¬
scheinung den bestehenden Gesetzen entgegen? Ist sie im deutschen Reiche straf¬
fälliger als in Böhmen? Die Frage scheint kontrovers; ihre Beantwortung möge
hierdurch angeregt sein.
Wider den Schwindel in geschäftlichen Anpreisungen. Zu den Ge¬
schäften, in welchen Unwahrheit und Unredlichkeit noch tief eingenistet ihr Unwesen
treiben, gehört allerorten und nicht bloß innerhalb Deutschlands der Handel mit Wein.
Kein Mensch, der gelegentlich eine Flasche Se. Estephe oder Se. Julien vorgesetzt erhält,
glaubt mehr daran, daß der Wein wirklich an jenen gesegneten Geländen gewachsen
sei, deren Namen er trägt, ja sein Bordeaux muß schon aus recht zuverlässiger Be¬
zugsquelle herkommen, wenn er überhaupt noch als reines Naturgcwächs angesehen
werden soll. Auch die Namen unsrer bekannten deutschen Weiuvrte, Deidesheün,
Hochheim, Nüdeshcim und wie die anheimelnden Fleckchen alle heißen, werden
nachgerade allenthalben zur Bezeichnung von Weinen gemißbraucht, die um gewisse
höhere Preise abgegeben werden, möge ihr Ursprung auch ganz wo anders zu suchen
sein, als der Name besagt. Bei bessern Geschäftshäusern scheint es daher mehr
und mehr Sitte zu werden, dem Weine die eigne Firmnbezeichnung zu geben, wohl
auch den Namen des Weingartcnbesitzers beizufügen, von welchem der Wein stammt,
um hiermit eine Gewähr für deu Gehalt zu bieten. Auch dieser guten Sitte aber
drängt sich die Unsitte falscher Firmenangabe zur Seite.
So kam uns jüngst als Beilage der in Berlin erscheinenden „Offertenzeitung her¬
vorragender Firmen für die deutsche Aristokratie" eine gedruckte Anzeige zur Hand, in
welcher ein deutsches Geschäftshaus seine Schaumweiue empfiehlt und dabei unverhohlen
ausschreibt, daß man seine teils aus deutscheu, teils aus französischen Weinen hergestellte
Waare je nach Wunsch anstatt mit seiner eignen deutschen Firma auch mit einer falschen
französischen Etikette erhalte» könne; das Anerbieten der falschen Etiketten ist dabei
mit fetteren Buchstaben gedruckt, damit der saubere Lockvogel ja uicht übersehen
werde. Der Name des uns gänzlich fremden Geschäfts hat mit dem Zwecke gegen¬
wärtiger Einsendung nichts zu thun, sein Inhaber scheint keine Ahnung von dem
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