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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Gebrechen der heutigen Bühne.

verdrängt. Die Zahl derer, die im Schauspiel künstlerischen Genuß suchen, ist
immer kleiner geworden. Man sucht Unterhaltung und ist bei dieser nicht
wählerisch. So groß das Theaterintercsse zu sein scheint, so hat doch fast kein
Theater ein Publikum, welches wahrhaftes Interesse an seiner Entwicklung
nimmt und bethätigt.

Fast jede Zeit bringt neue Gattungen des Dramas hervor oder giebt den
alten einen neuen Charakter. Als der dritte Napoleon die Republik überwunden
hatte, warf er, das Ausland zu beschäftigen, diesem den Zankapfel der Na¬
tionalitätsfrage hin, während er im Innern die politischen Leidenschaften durch
die Erregung der Gewinn- und Genußsucht zu beschwichtigen und zu ersticken
suchte. Da schössen unter anderm die glänzenden Giftblumen des Korruptions-
und Ehebruchsdramas und der leichtfertigsten Form der Operette, der doutlöL
xa.riÄonn68, üppig empor. Der Bühnengeschmack aller Völker Europas ward
davon angesteckt. Die Damen, welche die Demimonde spielten, setzten ihren
Ehrgeiz darein, auch wirklich zu sein, was sie nur scheinen sollten. Es sollte
alles an ihnen echt wie ihre eignen zur Schau getragenen Reize sein: die
Stoffe, Spitzen, Geschmeide, Brillanten.

Schon früh hatte der Ausstattungsprunk bei der Oper Eingang gefunden.
Das Schauspiel war davon unberührt geblieben, selbst wo es unter einem Dach
mit ihr lebte. Es war, als das Stiefkind, ja nur zum Verdienen für die
jüngere, glänzende Schwester da. Erst als für diese die großen kostbaren
Häuser gebaut und es darin mit geduldet wurde, erschien auch für das Schauspiel
die alte Einfachheit nicht mehr am Platze. Es wurden auch ihm die kostbaren
neuen Dekorationen mit zugewendet, und diese forderten wieder einen größeren
Aufwand an Ausstattung und Kostüm. Entscheidender aber noch wurde dafür,
daß an die Stelle des konventionell gewordnen Idealismus das Streben nach
Natürlichkeit und nach Nnturwahrheit getreten war. Es ging von der Malerei,
in der die koloristische Richtung gesiegt hatte, auf die Schauspielkunst und die
ganze Vühnenknnst über. Die bisher vernachlässigte malerische Seite wurde
bei beiden jetzt zu umso entschiednerer Entwicklung gebracht, die historische
Treue zu einer Hauptaufgabe der historischen Darstcllnngskunst erhoben. Die
Fortschritte in der Dekorationsmalerei, im Maschinenwesen, in der Beleuchtungs-
knnst und in den Knnstgcwerben kamen diesen Bestrebungen trefflich zu statten.
Es darf nicht verkannt werden, daß nach dieser Seite hin sehr Anerkennens¬
wertes geleistet wurde, besonders wenn man durch die lebensvollere, malerisch
stimmungsreiche Behandlung der äußeren Situation die Charaktere und ihre
innere Lage zu bedeutenderer Erscheinung zu bringen suchte und auch brachte.
Die Verdienste, welche das Meiningische Hoftheater sich hierdurch erworben hat,
sind anzuerkennen. Um sie vollkommen zu würdigen, darf man sich freilich
nicht sowohl an ihre Darstellung volkreicher, tumultuarischer Szenen als
an die der einfacheren, intimeren Stücke halten. Man hat ihr Prinzip bei


Die Gebrechen der heutigen Bühne.

verdrängt. Die Zahl derer, die im Schauspiel künstlerischen Genuß suchen, ist
immer kleiner geworden. Man sucht Unterhaltung und ist bei dieser nicht
wählerisch. So groß das Theaterintercsse zu sein scheint, so hat doch fast kein
Theater ein Publikum, welches wahrhaftes Interesse an seiner Entwicklung
nimmt und bethätigt.

Fast jede Zeit bringt neue Gattungen des Dramas hervor oder giebt den
alten einen neuen Charakter. Als der dritte Napoleon die Republik überwunden
hatte, warf er, das Ausland zu beschäftigen, diesem den Zankapfel der Na¬
tionalitätsfrage hin, während er im Innern die politischen Leidenschaften durch
die Erregung der Gewinn- und Genußsucht zu beschwichtigen und zu ersticken
suchte. Da schössen unter anderm die glänzenden Giftblumen des Korruptions-
und Ehebruchsdramas und der leichtfertigsten Form der Operette, der doutlöL
xa.riÄonn68, üppig empor. Der Bühnengeschmack aller Völker Europas ward
davon angesteckt. Die Damen, welche die Demimonde spielten, setzten ihren
Ehrgeiz darein, auch wirklich zu sein, was sie nur scheinen sollten. Es sollte
alles an ihnen echt wie ihre eignen zur Schau getragenen Reize sein: die
Stoffe, Spitzen, Geschmeide, Brillanten.

Schon früh hatte der Ausstattungsprunk bei der Oper Eingang gefunden.
Das Schauspiel war davon unberührt geblieben, selbst wo es unter einem Dach
mit ihr lebte. Es war, als das Stiefkind, ja nur zum Verdienen für die
jüngere, glänzende Schwester da. Erst als für diese die großen kostbaren
Häuser gebaut und es darin mit geduldet wurde, erschien auch für das Schauspiel
die alte Einfachheit nicht mehr am Platze. Es wurden auch ihm die kostbaren
neuen Dekorationen mit zugewendet, und diese forderten wieder einen größeren
Aufwand an Ausstattung und Kostüm. Entscheidender aber noch wurde dafür,
daß an die Stelle des konventionell gewordnen Idealismus das Streben nach
Natürlichkeit und nach Nnturwahrheit getreten war. Es ging von der Malerei,
in der die koloristische Richtung gesiegt hatte, auf die Schauspielkunst und die
ganze Vühnenknnst über. Die bisher vernachlässigte malerische Seite wurde
bei beiden jetzt zu umso entschiednerer Entwicklung gebracht, die historische
Treue zu einer Hauptaufgabe der historischen Darstcllnngskunst erhoben. Die
Fortschritte in der Dekorationsmalerei, im Maschinenwesen, in der Beleuchtungs-
knnst und in den Knnstgcwerben kamen diesen Bestrebungen trefflich zu statten.
Es darf nicht verkannt werden, daß nach dieser Seite hin sehr Anerkennens¬
wertes geleistet wurde, besonders wenn man durch die lebensvollere, malerisch
stimmungsreiche Behandlung der äußeren Situation die Charaktere und ihre
innere Lage zu bedeutenderer Erscheinung zu bringen suchte und auch brachte.
Die Verdienste, welche das Meiningische Hoftheater sich hierdurch erworben hat,
sind anzuerkennen. Um sie vollkommen zu würdigen, darf man sich freilich
nicht sowohl an ihre Darstellung volkreicher, tumultuarischer Szenen als
an die der einfacheren, intimeren Stücke halten. Man hat ihr Prinzip bei


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[0092] Die Gebrechen der heutigen Bühne. verdrängt. Die Zahl derer, die im Schauspiel künstlerischen Genuß suchen, ist immer kleiner geworden. Man sucht Unterhaltung und ist bei dieser nicht wählerisch. So groß das Theaterintercsse zu sein scheint, so hat doch fast kein Theater ein Publikum, welches wahrhaftes Interesse an seiner Entwicklung nimmt und bethätigt. Fast jede Zeit bringt neue Gattungen des Dramas hervor oder giebt den alten einen neuen Charakter. Als der dritte Napoleon die Republik überwunden hatte, warf er, das Ausland zu beschäftigen, diesem den Zankapfel der Na¬ tionalitätsfrage hin, während er im Innern die politischen Leidenschaften durch die Erregung der Gewinn- und Genußsucht zu beschwichtigen und zu ersticken suchte. Da schössen unter anderm die glänzenden Giftblumen des Korruptions- und Ehebruchsdramas und der leichtfertigsten Form der Operette, der doutlöL xa.riÄonn68, üppig empor. Der Bühnengeschmack aller Völker Europas ward davon angesteckt. Die Damen, welche die Demimonde spielten, setzten ihren Ehrgeiz darein, auch wirklich zu sein, was sie nur scheinen sollten. Es sollte alles an ihnen echt wie ihre eignen zur Schau getragenen Reize sein: die Stoffe, Spitzen, Geschmeide, Brillanten. Schon früh hatte der Ausstattungsprunk bei der Oper Eingang gefunden. Das Schauspiel war davon unberührt geblieben, selbst wo es unter einem Dach mit ihr lebte. Es war, als das Stiefkind, ja nur zum Verdienen für die jüngere, glänzende Schwester da. Erst als für diese die großen kostbaren Häuser gebaut und es darin mit geduldet wurde, erschien auch für das Schauspiel die alte Einfachheit nicht mehr am Platze. Es wurden auch ihm die kostbaren neuen Dekorationen mit zugewendet, und diese forderten wieder einen größeren Aufwand an Ausstattung und Kostüm. Entscheidender aber noch wurde dafür, daß an die Stelle des konventionell gewordnen Idealismus das Streben nach Natürlichkeit und nach Nnturwahrheit getreten war. Es ging von der Malerei, in der die koloristische Richtung gesiegt hatte, auf die Schauspielkunst und die ganze Vühnenknnst über. Die bisher vernachlässigte malerische Seite wurde bei beiden jetzt zu umso entschiednerer Entwicklung gebracht, die historische Treue zu einer Hauptaufgabe der historischen Darstcllnngskunst erhoben. Die Fortschritte in der Dekorationsmalerei, im Maschinenwesen, in der Beleuchtungs- knnst und in den Knnstgcwerben kamen diesen Bestrebungen trefflich zu statten. Es darf nicht verkannt werden, daß nach dieser Seite hin sehr Anerkennens¬ wertes geleistet wurde, besonders wenn man durch die lebensvollere, malerisch stimmungsreiche Behandlung der äußeren Situation die Charaktere und ihre innere Lage zu bedeutenderer Erscheinung zu bringen suchte und auch brachte. Die Verdienste, welche das Meiningische Hoftheater sich hierdurch erworben hat, sind anzuerkennen. Um sie vollkommen zu würdigen, darf man sich freilich nicht sowohl an ihre Darstellung volkreicher, tumultuarischer Szenen als an die der einfacheren, intimeren Stücke halten. Man hat ihr Prinzip bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/92>, abgerufen am 25.08.2024.