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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreußischc Skizzen.

während ist zu beobachten, wie das Littauische räumlich und numerisch weiter
zurückweicht. Setzt der Masure der Germanisirung höchstens passiven Wider¬
stand entgegen, so kann man fast sagen, daß der Littauer auch dies nicht thut,
sondern ein instinktives Bewußtsein davon hat, daß die Germanisirung unver¬
meidlich und ein Segen für ihn sei. Es mag jetzt noch 50 000 Littauer
geben, in zwei dichteren Haufen (Kreis Ragnit und Kreise Heydekrng-Meine!)
und einigen schon von Deutschen stark durchsetzten Strichen verteilt. Schwer
fällt ins Gewicht, daß, wie der Verkehr über die russische Grenze ungleich
schwächer ist als der über die polnische, so auch der Rückhalt von deu russischen
Littanern ein ungleich schwächerer ist als derjenige der Masuren von den Polen.
An Zuckungen eines selbständigen lithauischen Volksgeistes fehlt es wohl auch
hier nicht ganz, aber sie sind zu schwach und vereinzelt. Noch ein Menschen-
nlter, und die letzten alten, dem Aussterben entgegengehenden Littauer werden
zu zählen sein. Sowohl die Königstreue wie -- leider! -- die Branntwein¬
seuche hat der Littauer mit dem Masuren gemein. Hat aber der Masure ein
zäheres Volkstum, so ist der Littauer dafür ein besserer Wirt. Als Pferde¬
züchter ist er unvergleichlich -- daher die alte Redensart, daß jeder Littauer
mit einem Zaum in der Hand ans die Welt komme --, er hat auch sonst
manche gediegene Eigenschaften. Der Umgang mit ihm ist aber nicht ganz
leicht, denn die entwickeltste aller seiner Eigenschaften ist Mißtrauen.

Soll man nur versuchen, eine charakteristische gesamt-ostpreußische Art fest¬
zustellen, so giebt es wenigstens eine Eigenschaft, welche so ziemlich allen Ost¬
preußen gemeinsam ist: das ist der entschieden militärische Zug, Der Ostpreuße
will kommandirt sein, aber von jemand, der das Recht dazu hat; das steckt ihm
tief im Blute. Mit schönen Worten ist ihm schwer beizukommen, sondern der richtige
Weg ist, sich irgendeine, vom Ostpreußen anerkannte Autorisation zu verschaffen
und ihm dann in kräftiger, sogar etwas derber Weise zu sagen, was er zu thun hat.
Nicht als ob man hierbei rücksichtslos zu Werke gehen dürfte -- das vertrüge
er wiederum nicht, da er ein sehr ausgeprägtes Gefühl seiner Persönlichkeit
hat; aber wenn man ihn nach dieser Seite hin schont, so darf man andrerseits
seinem militärischen Gehorsam viel zumuten. Vormalige hohe Offiziere können
immer am besten mit ihm fertig werden. Ein fernerer, wenigstens bei den ost-
preußischen Deutschen stark hervortretender Zug ist eine gewisse Abenteuerlichkeit,
oder wenn man lieber will, ein etwas überspannter Zug von Unternehmungsgeist.
Kein Ostpreuße wird sich mit einem kleinen Gute begnügen, wenn er nur halb¬
wegs die Mittel hat, ein großes zu bewirtschaften, und nicht leicht wird einer
der Versuchung widerstehen können, irgendwelche Gelegenheit zu industriellen Be¬
trieben für sich auszunutzen. Ist das doch am Ende ein Rest polnischen Blutes
oder doch polnischen Einflusses? Kurzum: ein tüchtiges, unternehmendes, sein
Land liebendes Volk, mit dem vieles auszurichten ist; und ein einigermaßen
rauhes, aber produkteurciches und noch einer großen Entwicklung fähiges Land.




Gstpreußischc Skizzen.

während ist zu beobachten, wie das Littauische räumlich und numerisch weiter
zurückweicht. Setzt der Masure der Germanisirung höchstens passiven Wider¬
stand entgegen, so kann man fast sagen, daß der Littauer auch dies nicht thut,
sondern ein instinktives Bewußtsein davon hat, daß die Germanisirung unver¬
meidlich und ein Segen für ihn sei. Es mag jetzt noch 50 000 Littauer
geben, in zwei dichteren Haufen (Kreis Ragnit und Kreise Heydekrng-Meine!)
und einigen schon von Deutschen stark durchsetzten Strichen verteilt. Schwer
fällt ins Gewicht, daß, wie der Verkehr über die russische Grenze ungleich
schwächer ist als der über die polnische, so auch der Rückhalt von deu russischen
Littanern ein ungleich schwächerer ist als derjenige der Masuren von den Polen.
An Zuckungen eines selbständigen lithauischen Volksgeistes fehlt es wohl auch
hier nicht ganz, aber sie sind zu schwach und vereinzelt. Noch ein Menschen-
nlter, und die letzten alten, dem Aussterben entgegengehenden Littauer werden
zu zählen sein. Sowohl die Königstreue wie — leider! — die Branntwein¬
seuche hat der Littauer mit dem Masuren gemein. Hat aber der Masure ein
zäheres Volkstum, so ist der Littauer dafür ein besserer Wirt. Als Pferde¬
züchter ist er unvergleichlich — daher die alte Redensart, daß jeder Littauer
mit einem Zaum in der Hand ans die Welt komme —, er hat auch sonst
manche gediegene Eigenschaften. Der Umgang mit ihm ist aber nicht ganz
leicht, denn die entwickeltste aller seiner Eigenschaften ist Mißtrauen.

Soll man nur versuchen, eine charakteristische gesamt-ostpreußische Art fest¬
zustellen, so giebt es wenigstens eine Eigenschaft, welche so ziemlich allen Ost¬
preußen gemeinsam ist: das ist der entschieden militärische Zug, Der Ostpreuße
will kommandirt sein, aber von jemand, der das Recht dazu hat; das steckt ihm
tief im Blute. Mit schönen Worten ist ihm schwer beizukommen, sondern der richtige
Weg ist, sich irgendeine, vom Ostpreußen anerkannte Autorisation zu verschaffen
und ihm dann in kräftiger, sogar etwas derber Weise zu sagen, was er zu thun hat.
Nicht als ob man hierbei rücksichtslos zu Werke gehen dürfte — das vertrüge
er wiederum nicht, da er ein sehr ausgeprägtes Gefühl seiner Persönlichkeit
hat; aber wenn man ihn nach dieser Seite hin schont, so darf man andrerseits
seinem militärischen Gehorsam viel zumuten. Vormalige hohe Offiziere können
immer am besten mit ihm fertig werden. Ein fernerer, wenigstens bei den ost-
preußischen Deutschen stark hervortretender Zug ist eine gewisse Abenteuerlichkeit,
oder wenn man lieber will, ein etwas überspannter Zug von Unternehmungsgeist.
Kein Ostpreuße wird sich mit einem kleinen Gute begnügen, wenn er nur halb¬
wegs die Mittel hat, ein großes zu bewirtschaften, und nicht leicht wird einer
der Versuchung widerstehen können, irgendwelche Gelegenheit zu industriellen Be¬
trieben für sich auszunutzen. Ist das doch am Ende ein Rest polnischen Blutes
oder doch polnischen Einflusses? Kurzum: ein tüchtiges, unternehmendes, sein
Land liebendes Volk, mit dem vieles auszurichten ist; und ein einigermaßen
rauhes, aber produkteurciches und noch einer großen Entwicklung fähiges Land.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/87>, abgerufen am 22.07.2024.