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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreußische Skizzen.

liebe Ermland nebst den ähnlich beschaffenen Kreisen Heiligenbeil und Preußisch-
Holland bildet wohl (immer abgesehen vom Landkreise Königsberg) den besten,
ständig fruchtbarsten und am solidesten fortschreitenden Teil der Provinz. In
guten Jahren produzirt Ostpreußen sehr respektable Mengen; im Herbste 1882
ist geschätzt worden, daß allein im Landkreise Königsberg für eine Million Mark
Getreide auf den Mieter (oder wie man in Ostpreußen sagt "Getrcidebergen")
stehe. Nasse Jahre hingegen lassen aus den schon angedeutete" Gründen in
Ostpreußen eher als in andern Provinzen alles zu gründe gehen.

Zu viel Wasser! Das ist die große Klage, der man in Ostpreußen allent¬
halben begegnet. Wohl sind ausgedehnte Striche jetzt ganz oder teilweise
draiuirt, Meliorations- und Drainage-Genossenschaften sind vielfach vorhanden
oder in der Entstehung begriffen, ganze Seen sind abgelassen worden -- aber
immer noch bleibt sehr viel zu thun übrig. Neben dem Kapitalmangel ist es
besonders die hügelige, gewellte Formation des Bodens, welche der Drainirnug
starke Hindernisse in den Weg legt; dann kommt dazu die ungenügende Regu-
lirung eines Teiles der Flüsse, welche, infolge fast alljährlichen langdauernden
Übertretens derselben, die Drainirnug zahlreicher Grundstücke zwecklos erscheinen
läßt. Darum lassen auch namentlich die Wiesen viel zu wünschen übrig, und
wiederum infolge hiervon ist der Viehstand kein so guter, wie er sein sollte. Ost¬
preußen steht in der Viehhaltung (abgesehen von seiner herrlichen Pferdezucht)
hinter dem Durchschnitte der preußischen Monarchie immer noch weit zurück.
Wohl ist die Schafzucht, begünstigt durch die Wirtschaftsmethode, neuerdings
wieder in Aufnahme gekommen und liefert nach einer bestimmten Richtung
-- Vermittlung zwischen Zucht auf Wolle und solcher auf Fleisch -- recht gute
Resultate; auch mit der Schweinezucht geht es besser, seit die russischen Schweine
nicht mehr so ohne weiteres in das Land können; aber mit der Rindviehzucht
hapert es trotz aller Fortschritte, welche neuerlich durch Molkerei-, Stierhal-
tuugs-, Herdbuch- ?e. Genossenschaften gemacht worden sind, immer noch ge¬
waltig. Der Hauptgrund ist, wie schon gesagt, die ungenügende Menge und
Beschaffenheit der Wiesen. Natürlich tritt auch dieser Mangel nicht überall
und noch weniger in gleichmäßiger Stärke auf, aber vorhanden ist er entschieden.
Wirklich gute Wüsscrwiesen giebt es nur in gewissen Landesteilen in erheblichem
Umsange, die zahlreichen Güter müssen sich sozusagen ohne Wiesen behelfen.
Dies ist umso bedauerlicher, als gerade die Milchwirtschaft zu den zukuufts-
vollsten Zweigen des ostpreußischen Landbaues gehört. Die beste ostpreußische
Butter steht nur um ein ganz geringes hinter der besten holsteinischen zurück,
und der milde Tilsiter "Schmandkäse" gehört zu den feinsten Käsen, die es
geben kann.

Ein "Waldland" kann mau Ostpreußen eigentlich nicht nennen. Zwar
bilden der schon erwähnte Jbenhorster Forst und der "große Baumwald" im
Kreise Labien, schou infolge ihrer sumpfigen Beschaffenheit und demgemäß zeit-


Gstpreußische Skizzen.

liebe Ermland nebst den ähnlich beschaffenen Kreisen Heiligenbeil und Preußisch-
Holland bildet wohl (immer abgesehen vom Landkreise Königsberg) den besten,
ständig fruchtbarsten und am solidesten fortschreitenden Teil der Provinz. In
guten Jahren produzirt Ostpreußen sehr respektable Mengen; im Herbste 1882
ist geschätzt worden, daß allein im Landkreise Königsberg für eine Million Mark
Getreide auf den Mieter (oder wie man in Ostpreußen sagt „Getrcidebergen")
stehe. Nasse Jahre hingegen lassen aus den schon angedeutete» Gründen in
Ostpreußen eher als in andern Provinzen alles zu gründe gehen.

Zu viel Wasser! Das ist die große Klage, der man in Ostpreußen allent¬
halben begegnet. Wohl sind ausgedehnte Striche jetzt ganz oder teilweise
draiuirt, Meliorations- und Drainage-Genossenschaften sind vielfach vorhanden
oder in der Entstehung begriffen, ganze Seen sind abgelassen worden — aber
immer noch bleibt sehr viel zu thun übrig. Neben dem Kapitalmangel ist es
besonders die hügelige, gewellte Formation des Bodens, welche der Drainirnug
starke Hindernisse in den Weg legt; dann kommt dazu die ungenügende Regu-
lirung eines Teiles der Flüsse, welche, infolge fast alljährlichen langdauernden
Übertretens derselben, die Drainirnug zahlreicher Grundstücke zwecklos erscheinen
läßt. Darum lassen auch namentlich die Wiesen viel zu wünschen übrig, und
wiederum infolge hiervon ist der Viehstand kein so guter, wie er sein sollte. Ost¬
preußen steht in der Viehhaltung (abgesehen von seiner herrlichen Pferdezucht)
hinter dem Durchschnitte der preußischen Monarchie immer noch weit zurück.
Wohl ist die Schafzucht, begünstigt durch die Wirtschaftsmethode, neuerdings
wieder in Aufnahme gekommen und liefert nach einer bestimmten Richtung
— Vermittlung zwischen Zucht auf Wolle und solcher auf Fleisch — recht gute
Resultate; auch mit der Schweinezucht geht es besser, seit die russischen Schweine
nicht mehr so ohne weiteres in das Land können; aber mit der Rindviehzucht
hapert es trotz aller Fortschritte, welche neuerlich durch Molkerei-, Stierhal-
tuugs-, Herdbuch- ?e. Genossenschaften gemacht worden sind, immer noch ge¬
waltig. Der Hauptgrund ist, wie schon gesagt, die ungenügende Menge und
Beschaffenheit der Wiesen. Natürlich tritt auch dieser Mangel nicht überall
und noch weniger in gleichmäßiger Stärke auf, aber vorhanden ist er entschieden.
Wirklich gute Wüsscrwiesen giebt es nur in gewissen Landesteilen in erheblichem
Umsange, die zahlreichen Güter müssen sich sozusagen ohne Wiesen behelfen.
Dies ist umso bedauerlicher, als gerade die Milchwirtschaft zu den zukuufts-
vollsten Zweigen des ostpreußischen Landbaues gehört. Die beste ostpreußische
Butter steht nur um ein ganz geringes hinter der besten holsteinischen zurück,
und der milde Tilsiter „Schmandkäse" gehört zu den feinsten Käsen, die es
geben kann.

Ein „Waldland" kann mau Ostpreußen eigentlich nicht nennen. Zwar
bilden der schon erwähnte Jbenhorster Forst und der „große Baumwald" im
Kreise Labien, schou infolge ihrer sumpfigen Beschaffenheit und demgemäß zeit-


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[0083] Gstpreußische Skizzen. liebe Ermland nebst den ähnlich beschaffenen Kreisen Heiligenbeil und Preußisch- Holland bildet wohl (immer abgesehen vom Landkreise Königsberg) den besten, ständig fruchtbarsten und am solidesten fortschreitenden Teil der Provinz. In guten Jahren produzirt Ostpreußen sehr respektable Mengen; im Herbste 1882 ist geschätzt worden, daß allein im Landkreise Königsberg für eine Million Mark Getreide auf den Mieter (oder wie man in Ostpreußen sagt „Getrcidebergen") stehe. Nasse Jahre hingegen lassen aus den schon angedeutete» Gründen in Ostpreußen eher als in andern Provinzen alles zu gründe gehen. Zu viel Wasser! Das ist die große Klage, der man in Ostpreußen allent¬ halben begegnet. Wohl sind ausgedehnte Striche jetzt ganz oder teilweise draiuirt, Meliorations- und Drainage-Genossenschaften sind vielfach vorhanden oder in der Entstehung begriffen, ganze Seen sind abgelassen worden — aber immer noch bleibt sehr viel zu thun übrig. Neben dem Kapitalmangel ist es besonders die hügelige, gewellte Formation des Bodens, welche der Drainirnug starke Hindernisse in den Weg legt; dann kommt dazu die ungenügende Regu- lirung eines Teiles der Flüsse, welche, infolge fast alljährlichen langdauernden Übertretens derselben, die Drainirnug zahlreicher Grundstücke zwecklos erscheinen läßt. Darum lassen auch namentlich die Wiesen viel zu wünschen übrig, und wiederum infolge hiervon ist der Viehstand kein so guter, wie er sein sollte. Ost¬ preußen steht in der Viehhaltung (abgesehen von seiner herrlichen Pferdezucht) hinter dem Durchschnitte der preußischen Monarchie immer noch weit zurück. Wohl ist die Schafzucht, begünstigt durch die Wirtschaftsmethode, neuerdings wieder in Aufnahme gekommen und liefert nach einer bestimmten Richtung — Vermittlung zwischen Zucht auf Wolle und solcher auf Fleisch — recht gute Resultate; auch mit der Schweinezucht geht es besser, seit die russischen Schweine nicht mehr so ohne weiteres in das Land können; aber mit der Rindviehzucht hapert es trotz aller Fortschritte, welche neuerlich durch Molkerei-, Stierhal- tuugs-, Herdbuch- ?e. Genossenschaften gemacht worden sind, immer noch ge¬ waltig. Der Hauptgrund ist, wie schon gesagt, die ungenügende Menge und Beschaffenheit der Wiesen. Natürlich tritt auch dieser Mangel nicht überall und noch weniger in gleichmäßiger Stärke auf, aber vorhanden ist er entschieden. Wirklich gute Wüsscrwiesen giebt es nur in gewissen Landesteilen in erheblichem Umsange, die zahlreichen Güter müssen sich sozusagen ohne Wiesen behelfen. Dies ist umso bedauerlicher, als gerade die Milchwirtschaft zu den zukuufts- vollsten Zweigen des ostpreußischen Landbaues gehört. Die beste ostpreußische Butter steht nur um ein ganz geringes hinter der besten holsteinischen zurück, und der milde Tilsiter „Schmandkäse" gehört zu den feinsten Käsen, die es geben kann. Ein „Waldland" kann mau Ostpreußen eigentlich nicht nennen. Zwar bilden der schon erwähnte Jbenhorster Forst und der „große Baumwald" im Kreise Labien, schou infolge ihrer sumpfigen Beschaffenheit und demgemäß zeit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/83>, abgerufen am 22.07.2024.