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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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andrer Gruppirung vorgeführt; der ehemalige Kavallerieoffizier und die be¬
zaubernde Komtesse, Nicki und Vicki, oder Mucki und Lohi, oder welcher an¬
mutigen Kosenamen sie sich sonst rühmen, dazu die ahnenstolze alte Dame, die
klatsch- und naschhafte arme Verwandte, der lächerliche Fabriksjunker führen
unermüdlich ihre banalen Gespräche, und von Zeit zu Zeit fällt ihnen die
Verfasserin ins Wort, um im schlechtesten Feuilletonstil, verschwenderisch mit
Epithctis und geizig mit Hilfszeitwörtern, mitzuteilen, daß der Mond scheint
oder daß Gewitterschwüle herrscht -- was jedoch in der Regel auf den Gang
der Handlung keinen Einfluß hat. Mau möchte darauf schwören, daß der
Dame das unglückselige Romanschreiber niemals eingefallen wäre, hätte sie nicht
so viel von Zoln und von Turgenjew gelesen, und gemeint, der brutale
Realismus des einen, die scharfe, porträtmäßige Charakteristik des andern seien
leicht nachzuahmen; Ehebruche und von Slawen bewohnte Steppen kommen ja
auch in Österreich vor! Daß ihre Zeichnungen von anfang ein oberflächlich
waren und durch die stete Wiederholung manierirt geworden sind, wird jeder
Leser gewahr, genaue Kenner von Land und Leuten vermissen sogar den Grad
von Treue, den man auch vou einer skizzenhaften Schilderung fordern dürfe.
Nach ihrer Ansicht ist die österreichische Aristokratie nur zu verstehen, wenn die
historische Entwicklung derselben im Auge behalten werde, die immer nur teilweise
Verschmelzung des feudalen mit dem Hofadel, der aus allen europäischen Ländern
sich rekrutirt hat, mit den rheinischen, belgischen, irischen 2e. Katholiken, die
nicht sowohl dein deutschen Kaiser als dem Beschützer ihrer Kirche im Felde
oder in der Diplomatie dienen wollten, mit den Lothringern, welche ihrem letzten
Herzoge Franz Stephan folgten, mit den Hannoveranern und Mecklenburgern,
welche rasches Avancement in der Armee suchten, n. s. f. Auch bestehe die
Scheidewand zwischen der alten Aristokratie lind dem Börsen- und Fabritanteu-
adel großenteils nur noch in der Einbildung, seitdem die Träger der stolzesten
Namen sich gern die Verwaltuugsratseinnahmen gefallen lassen, und Fürstinnen
und Bankiersfraueu einträchtiglich miteinander Bälle und Theatervorstellungen
nrrcmgiren. Das Bild, welches Ossip Schubin male, sei der österreichischen
Gesellschaft nicht ähnlicher als das mit dem Namen 1s voluto ?loi Va,>M
bezeichnete der Berliner -- was demnach wieder auf den Kammermädchen¬
gesichtspunkt znrnckleiten würde.

Die vielen Auflagen, welche die ausländischen Realisten erleben, richten
überhaupt manches Unheil an. Was ist z. B. aus Friedrich Spielhagen ge¬
worden! Wir hätten Veranlassung, demselben recht nachsichtig zu begegnen, da
er in seinem neuesten Roman Reklame für die Grenzboten macht: ein Dichter
wird als Mitarbeiter unsers Blattes vorgestellt, ein Dichter freilich, wie er in
einem Spielhagenschen Romane steht. Immerhin ist es gut gemeint. Aber der
Wahrheit muß doch die Ehre bleiben: wäre die Identität nicht durch jedes
Konversationslexikon festzustellen, man könnte glauben, daß eine andre schreib-


andrer Gruppirung vorgeführt; der ehemalige Kavallerieoffizier und die be¬
zaubernde Komtesse, Nicki und Vicki, oder Mucki und Lohi, oder welcher an¬
mutigen Kosenamen sie sich sonst rühmen, dazu die ahnenstolze alte Dame, die
klatsch- und naschhafte arme Verwandte, der lächerliche Fabriksjunker führen
unermüdlich ihre banalen Gespräche, und von Zeit zu Zeit fällt ihnen die
Verfasserin ins Wort, um im schlechtesten Feuilletonstil, verschwenderisch mit
Epithctis und geizig mit Hilfszeitwörtern, mitzuteilen, daß der Mond scheint
oder daß Gewitterschwüle herrscht — was jedoch in der Regel auf den Gang
der Handlung keinen Einfluß hat. Mau möchte darauf schwören, daß der
Dame das unglückselige Romanschreiber niemals eingefallen wäre, hätte sie nicht
so viel von Zoln und von Turgenjew gelesen, und gemeint, der brutale
Realismus des einen, die scharfe, porträtmäßige Charakteristik des andern seien
leicht nachzuahmen; Ehebruche und von Slawen bewohnte Steppen kommen ja
auch in Österreich vor! Daß ihre Zeichnungen von anfang ein oberflächlich
waren und durch die stete Wiederholung manierirt geworden sind, wird jeder
Leser gewahr, genaue Kenner von Land und Leuten vermissen sogar den Grad
von Treue, den man auch vou einer skizzenhaften Schilderung fordern dürfe.
Nach ihrer Ansicht ist die österreichische Aristokratie nur zu verstehen, wenn die
historische Entwicklung derselben im Auge behalten werde, die immer nur teilweise
Verschmelzung des feudalen mit dem Hofadel, der aus allen europäischen Ländern
sich rekrutirt hat, mit den rheinischen, belgischen, irischen 2e. Katholiken, die
nicht sowohl dein deutschen Kaiser als dem Beschützer ihrer Kirche im Felde
oder in der Diplomatie dienen wollten, mit den Lothringern, welche ihrem letzten
Herzoge Franz Stephan folgten, mit den Hannoveranern und Mecklenburgern,
welche rasches Avancement in der Armee suchten, n. s. f. Auch bestehe die
Scheidewand zwischen der alten Aristokratie lind dem Börsen- und Fabritanteu-
adel großenteils nur noch in der Einbildung, seitdem die Träger der stolzesten
Namen sich gern die Verwaltuugsratseinnahmen gefallen lassen, und Fürstinnen
und Bankiersfraueu einträchtiglich miteinander Bälle und Theatervorstellungen
nrrcmgiren. Das Bild, welches Ossip Schubin male, sei der österreichischen
Gesellschaft nicht ähnlicher als das mit dem Namen 1s voluto ?loi Va,>M
bezeichnete der Berliner — was demnach wieder auf den Kammermädchen¬
gesichtspunkt znrnckleiten würde.

Die vielen Auflagen, welche die ausländischen Realisten erleben, richten
überhaupt manches Unheil an. Was ist z. B. aus Friedrich Spielhagen ge¬
worden! Wir hätten Veranlassung, demselben recht nachsichtig zu begegnen, da
er in seinem neuesten Roman Reklame für die Grenzboten macht: ein Dichter
wird als Mitarbeiter unsers Blattes vorgestellt, ein Dichter freilich, wie er in
einem Spielhagenschen Romane steht. Immerhin ist es gut gemeint. Aber der
Wahrheit muß doch die Ehre bleiben: wäre die Identität nicht durch jedes
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[0687] andrer Gruppirung vorgeführt; der ehemalige Kavallerieoffizier und die be¬ zaubernde Komtesse, Nicki und Vicki, oder Mucki und Lohi, oder welcher an¬ mutigen Kosenamen sie sich sonst rühmen, dazu die ahnenstolze alte Dame, die klatsch- und naschhafte arme Verwandte, der lächerliche Fabriksjunker führen unermüdlich ihre banalen Gespräche, und von Zeit zu Zeit fällt ihnen die Verfasserin ins Wort, um im schlechtesten Feuilletonstil, verschwenderisch mit Epithctis und geizig mit Hilfszeitwörtern, mitzuteilen, daß der Mond scheint oder daß Gewitterschwüle herrscht — was jedoch in der Regel auf den Gang der Handlung keinen Einfluß hat. Mau möchte darauf schwören, daß der Dame das unglückselige Romanschreiber niemals eingefallen wäre, hätte sie nicht so viel von Zoln und von Turgenjew gelesen, und gemeint, der brutale Realismus des einen, die scharfe, porträtmäßige Charakteristik des andern seien leicht nachzuahmen; Ehebruche und von Slawen bewohnte Steppen kommen ja auch in Österreich vor! Daß ihre Zeichnungen von anfang ein oberflächlich waren und durch die stete Wiederholung manierirt geworden sind, wird jeder Leser gewahr, genaue Kenner von Land und Leuten vermissen sogar den Grad von Treue, den man auch vou einer skizzenhaften Schilderung fordern dürfe. Nach ihrer Ansicht ist die österreichische Aristokratie nur zu verstehen, wenn die historische Entwicklung derselben im Auge behalten werde, die immer nur teilweise Verschmelzung des feudalen mit dem Hofadel, der aus allen europäischen Ländern sich rekrutirt hat, mit den rheinischen, belgischen, irischen 2e. Katholiken, die nicht sowohl dein deutschen Kaiser als dem Beschützer ihrer Kirche im Felde oder in der Diplomatie dienen wollten, mit den Lothringern, welche ihrem letzten Herzoge Franz Stephan folgten, mit den Hannoveranern und Mecklenburgern, welche rasches Avancement in der Armee suchten, n. s. f. Auch bestehe die Scheidewand zwischen der alten Aristokratie lind dem Börsen- und Fabritanteu- adel großenteils nur noch in der Einbildung, seitdem die Träger der stolzesten Namen sich gern die Verwaltuugsratseinnahmen gefallen lassen, und Fürstinnen und Bankiersfraueu einträchtiglich miteinander Bälle und Theatervorstellungen nrrcmgiren. Das Bild, welches Ossip Schubin male, sei der österreichischen Gesellschaft nicht ähnlicher als das mit dem Namen 1s voluto ?loi Va,>M bezeichnete der Berliner — was demnach wieder auf den Kammermädchen¬ gesichtspunkt znrnckleiten würde. Die vielen Auflagen, welche die ausländischen Realisten erleben, richten überhaupt manches Unheil an. Was ist z. B. aus Friedrich Spielhagen ge¬ worden! Wir hätten Veranlassung, demselben recht nachsichtig zu begegnen, da er in seinem neuesten Roman Reklame für die Grenzboten macht: ein Dichter wird als Mitarbeiter unsers Blattes vorgestellt, ein Dichter freilich, wie er in einem Spielhagenschen Romane steht. Immerhin ist es gut gemeint. Aber der Wahrheit muß doch die Ehre bleiben: wäre die Identität nicht durch jedes Konversationslexikon festzustellen, man könnte glauben, daß eine andre schreib-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/687>, abgerufen am 22.07.2024.