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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Modeliteratur.

er etwa geglaubt hat, daß durch die Öffnung zahlreicher neuer
Berufsarten für das weibliche Geschlecht dieses von der Schrift-
stellerei werde abgelenkt werden, muß heute seinen Irrtum bereits
erkannt haben. Im Gegenteil kann nur sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß manche jüngere oder ältere Dame, welche tagsüber
hat am Nccheupult oder am Schalter sitzen müssen, in stiller Nacht sich für
den Zwang und die prosaische Beschäftigung durch wilde Ritte auf dem Hippo-
gryphen schadlos zu hüllen und zugleich an der schnöden Welt Rache zu nehmen
suche. Zwar hatte die so oft und vielleicht über Gebühr verspottete Gouver¬
nanten-Romantik, welche niedliche Backfische am Arme junger Männer "mit
prächtigem blondem Vollbart" glücklich werden läßt, längst nicht mehr das
Feld allein behauptet; namentlich in jüdischen Gesellschaftskreisen entstand eine
George Sand um die andre, entschlossen, die schwierigsten sozialen Probleme
novellistisch zu losen. Allein auch diese siud überholt von verwegenen Nitterinnen
vom Geist. Gänzlich frei von dem leichten Anfluge von Pedanterie, den anch
die zweite Gattung nie ganz los wird, nimmt die dritte spielend jedes Hindernis,
sei dies nun von der Logik, der Grammatik, der Ethik oder welcher lästigen --it
sonst ausgeworfen worden; je leichter ihr Gepäck an Wissen ist, desto mehr
Lescfrüchte aus neuen Feuilletvnrvmanen birgt dasselbe.

Vor wenigen Jahren tauchte zum erstenmale der Autvrname Ossip Schubin
auf, gegenwärtig gehört dessen Träger bereits zu den "Berühmtheiten," mit
welchen Unterhaltuugsblätter prahlen. Damals wurde geheimnisvoll angedeutet,
hinter dein Pseudonym verberge sich ein alter Diplomat -- eine nicht sehr ge¬
schickte Reklame, denn wer nur drei Seiten von Ossip Schubin gelesen hatte,
wußte, daß dieser Diplomat ans jeden Fall einen Unterrock tragen müsse. Und
hat man erst das Vergnügen gehabt, mehrere ihrer Werke zu lesen, so geht
man mit ziemlicher Sicherheit weiter im Signalement. Frau oder Fräulein
Ossip ist entweder in Österreich geboren oder hat lange genug dort gelebt, um
sich gewisse Unarten anzugewöhnen. Bei ihr sitzt der Kutscher "am" Bock, sie
gebraucht "bis" wie "um" oder "wann," "nachdem" wie "weil," den Imperativ
"hilf" anstatt des Konjunktivs "helfe" u. a. in. Sie hat auch einen Einblick in das
Leben gewisser aristokratischen Kreise Österreichs gewonnen, etwa durch die Thür-
spalte oder das Schlüsselloch. In frühern Zeiten würde man durch die Sucht,
Fremdwörter und Zitate ans allen möglichen Schriftstellern zu gebrauchen, ver-


Modeliteratur.

er etwa geglaubt hat, daß durch die Öffnung zahlreicher neuer
Berufsarten für das weibliche Geschlecht dieses von der Schrift-
stellerei werde abgelenkt werden, muß heute seinen Irrtum bereits
erkannt haben. Im Gegenteil kann nur sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß manche jüngere oder ältere Dame, welche tagsüber
hat am Nccheupult oder am Schalter sitzen müssen, in stiller Nacht sich für
den Zwang und die prosaische Beschäftigung durch wilde Ritte auf dem Hippo-
gryphen schadlos zu hüllen und zugleich an der schnöden Welt Rache zu nehmen
suche. Zwar hatte die so oft und vielleicht über Gebühr verspottete Gouver¬
nanten-Romantik, welche niedliche Backfische am Arme junger Männer „mit
prächtigem blondem Vollbart" glücklich werden läßt, längst nicht mehr das
Feld allein behauptet; namentlich in jüdischen Gesellschaftskreisen entstand eine
George Sand um die andre, entschlossen, die schwierigsten sozialen Probleme
novellistisch zu losen. Allein auch diese siud überholt von verwegenen Nitterinnen
vom Geist. Gänzlich frei von dem leichten Anfluge von Pedanterie, den anch
die zweite Gattung nie ganz los wird, nimmt die dritte spielend jedes Hindernis,
sei dies nun von der Logik, der Grammatik, der Ethik oder welcher lästigen —it
sonst ausgeworfen worden; je leichter ihr Gepäck an Wissen ist, desto mehr
Lescfrüchte aus neuen Feuilletvnrvmanen birgt dasselbe.

Vor wenigen Jahren tauchte zum erstenmale der Autvrname Ossip Schubin
auf, gegenwärtig gehört dessen Träger bereits zu den „Berühmtheiten," mit
welchen Unterhaltuugsblätter prahlen. Damals wurde geheimnisvoll angedeutet,
hinter dein Pseudonym verberge sich ein alter Diplomat — eine nicht sehr ge¬
schickte Reklame, denn wer nur drei Seiten von Ossip Schubin gelesen hatte,
wußte, daß dieser Diplomat ans jeden Fall einen Unterrock tragen müsse. Und
hat man erst das Vergnügen gehabt, mehrere ihrer Werke zu lesen, so geht
man mit ziemlicher Sicherheit weiter im Signalement. Frau oder Fräulein
Ossip ist entweder in Österreich geboren oder hat lange genug dort gelebt, um
sich gewisse Unarten anzugewöhnen. Bei ihr sitzt der Kutscher „am" Bock, sie
gebraucht „bis" wie „um" oder „wann," „nachdem" wie „weil," den Imperativ
„hilf" anstatt des Konjunktivs „helfe" u. a. in. Sie hat auch einen Einblick in das
Leben gewisser aristokratischen Kreise Österreichs gewonnen, etwa durch die Thür-
spalte oder das Schlüsselloch. In frühern Zeiten würde man durch die Sucht,
Fremdwörter und Zitate ans allen möglichen Schriftstellern zu gebrauchen, ver-


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[0685] Modeliteratur. er etwa geglaubt hat, daß durch die Öffnung zahlreicher neuer Berufsarten für das weibliche Geschlecht dieses von der Schrift- stellerei werde abgelenkt werden, muß heute seinen Irrtum bereits erkannt haben. Im Gegenteil kann nur sich des Eindrucks nicht erwehren, daß manche jüngere oder ältere Dame, welche tagsüber hat am Nccheupult oder am Schalter sitzen müssen, in stiller Nacht sich für den Zwang und die prosaische Beschäftigung durch wilde Ritte auf dem Hippo- gryphen schadlos zu hüllen und zugleich an der schnöden Welt Rache zu nehmen suche. Zwar hatte die so oft und vielleicht über Gebühr verspottete Gouver¬ nanten-Romantik, welche niedliche Backfische am Arme junger Männer „mit prächtigem blondem Vollbart" glücklich werden läßt, längst nicht mehr das Feld allein behauptet; namentlich in jüdischen Gesellschaftskreisen entstand eine George Sand um die andre, entschlossen, die schwierigsten sozialen Probleme novellistisch zu losen. Allein auch diese siud überholt von verwegenen Nitterinnen vom Geist. Gänzlich frei von dem leichten Anfluge von Pedanterie, den anch die zweite Gattung nie ganz los wird, nimmt die dritte spielend jedes Hindernis, sei dies nun von der Logik, der Grammatik, der Ethik oder welcher lästigen —it sonst ausgeworfen worden; je leichter ihr Gepäck an Wissen ist, desto mehr Lescfrüchte aus neuen Feuilletvnrvmanen birgt dasselbe. Vor wenigen Jahren tauchte zum erstenmale der Autvrname Ossip Schubin auf, gegenwärtig gehört dessen Träger bereits zu den „Berühmtheiten," mit welchen Unterhaltuugsblätter prahlen. Damals wurde geheimnisvoll angedeutet, hinter dein Pseudonym verberge sich ein alter Diplomat — eine nicht sehr ge¬ schickte Reklame, denn wer nur drei Seiten von Ossip Schubin gelesen hatte, wußte, daß dieser Diplomat ans jeden Fall einen Unterrock tragen müsse. Und hat man erst das Vergnügen gehabt, mehrere ihrer Werke zu lesen, so geht man mit ziemlicher Sicherheit weiter im Signalement. Frau oder Fräulein Ossip ist entweder in Österreich geboren oder hat lange genug dort gelebt, um sich gewisse Unarten anzugewöhnen. Bei ihr sitzt der Kutscher „am" Bock, sie gebraucht „bis" wie „um" oder „wann," „nachdem" wie „weil," den Imperativ „hilf" anstatt des Konjunktivs „helfe" u. a. in. Sie hat auch einen Einblick in das Leben gewisser aristokratischen Kreise Österreichs gewonnen, etwa durch die Thür- spalte oder das Schlüsselloch. In frühern Zeiten würde man durch die Sucht, Fremdwörter und Zitate ans allen möglichen Schriftstellern zu gebrauchen, ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/685>, abgerufen am 22.07.2024.