Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

manischer Stammesart in scharfer Ausprägung hervor. Die unverwüstliche Stahl-
kraft und der freudige Kampfeszvrn in Luther und Bismarck, die lautere Wahrheits¬
liebe Lessings, der 'strengsittliche Ernst im Erfassen der größten wie der kleinsten
Aufgaben und die Seid'stbescheidung bei Goethe, der kühne Idealismus Schillers
sind ebensoviele Züge, wie sie uns an den Helden der germanischen Mythen ent-
gegenleuchteu. Wie die von einzelnen Stämmen zuerst ausgebildeten Sagen-
Helden, gehören auch die großen Geisteöführer in ihrer Ausbildung und ihrem
Wirken Gesamtdeutschland an. Die Wurzeln ihrer Kraft dagegen ruhen in dem
gesonderten Stammesbodeu, aus ihm sind sie erwachsen. Die charakteristischen
Eigenschaften und Anlagen des Stammes treten in idealer Potenzirung in seinen
größten Söhnen wieder hervor. So ist nach Weltrich "Goethe in seiner all¬
seitigen Empfänglichkeit, geistigen Versntilität, harmonischen Milde und freudigen
Lebensbehcrrschnng die feinste und glückliche Spiegelung des fränkischen Geistes;
Schiller in der Macht seines Jdeenlebens, in seiner Hingabe an idealistische
Seelenstimmung, in der Hoheit und Strenge seines ethischen Willens der gro߬
artigste Repräsentant des schwäbischen Geistes." Treffend charakterisirt Weltrich,
dem Vorgange Wischers in "Auch Einer" folgend, den Typus des würtem-
bergischen Schwaben nach seiner Lichtseite hin: "Es sind innerliche Menschen;
tiefkräftig, schwer zugänglich, in sich gefestet, voll Eigenwillens; natürlich begabt
für jede höchste Thätigkeit deS Geistes; auf das Phnntasieleben angelegt, das
in Lied und Sage, in der Anschaulichkeit der Rede gleich einer immer sprudelnden
Quelle hervorbricht, nicht minder jedoch auf den philosophischen Gedanken, auf
die unerbittliche Strenge der Forschung." Von dem Stamme, der im sechzehnten
Jahrhundert der Nation Kepler und Frischlin, im achtzehnten und neunzehnten
neben Schiller noch Wieland, Schubart, Hölderlin, Schelling und Hegel, Mörike,
Uhlcuid, Hermnun Kurz und Strauß geboren, darf dies gerühmt werden. Wenn
aber Weltrich, ehe er charakterisirt, durch einen kurze" historischen Rückblick auf
die ethnographischen Verhältnisse von des Dichters Heimatlande sich einen festen
Boden für die Charakterisirung zu sichern strebt, so ist dies durchaus zu billigem
Würde Hermann Fischer das von Adalbert von Keller begonnene schwäbische
Idiotikon bereits vollendet haben, so hätte Weltrich sich wohl kürzer fassen
können. Wessen Kosmopolitismus sich durch die starke Betonung der in unsern
großen Dichtern fortwirkenden germanischen Stammesart verletzt sühlt, der möge
Wcltrichs Worte beherzigen: "Nur der hat wahres Leben, in welchem der wirk¬
liche, der konkrete Geist seines Volkes sich wiedererkennt, sich selbst entbindet,
dem Schaffen deu Puls giebt."

Mit diesem Ausspruche hat er auch bereits das Urteil über den Fürsten
gefällt, in dessen Schule der Eleve Schiller aufgewachsen ist. Herzog Karl
Eugen, der undankbare und ungeratene Zögling des großen Preußeuköuigs, ist
von manchen Biographen Schillers in möglichst günstiges Licht gestellt worden;
und in der That, ein unbedeutender Mensch ist der würtenbergische "Herodes,"


manischer Stammesart in scharfer Ausprägung hervor. Die unverwüstliche Stahl-
kraft und der freudige Kampfeszvrn in Luther und Bismarck, die lautere Wahrheits¬
liebe Lessings, der 'strengsittliche Ernst im Erfassen der größten wie der kleinsten
Aufgaben und die Seid'stbescheidung bei Goethe, der kühne Idealismus Schillers
sind ebensoviele Züge, wie sie uns an den Helden der germanischen Mythen ent-
gegenleuchteu. Wie die von einzelnen Stämmen zuerst ausgebildeten Sagen-
Helden, gehören auch die großen Geisteöführer in ihrer Ausbildung und ihrem
Wirken Gesamtdeutschland an. Die Wurzeln ihrer Kraft dagegen ruhen in dem
gesonderten Stammesbodeu, aus ihm sind sie erwachsen. Die charakteristischen
Eigenschaften und Anlagen des Stammes treten in idealer Potenzirung in seinen
größten Söhnen wieder hervor. So ist nach Weltrich „Goethe in seiner all¬
seitigen Empfänglichkeit, geistigen Versntilität, harmonischen Milde und freudigen
Lebensbehcrrschnng die feinste und glückliche Spiegelung des fränkischen Geistes;
Schiller in der Macht seines Jdeenlebens, in seiner Hingabe an idealistische
Seelenstimmung, in der Hoheit und Strenge seines ethischen Willens der gro߬
artigste Repräsentant des schwäbischen Geistes." Treffend charakterisirt Weltrich,
dem Vorgange Wischers in „Auch Einer" folgend, den Typus des würtem-
bergischen Schwaben nach seiner Lichtseite hin: „Es sind innerliche Menschen;
tiefkräftig, schwer zugänglich, in sich gefestet, voll Eigenwillens; natürlich begabt
für jede höchste Thätigkeit deS Geistes; auf das Phnntasieleben angelegt, das
in Lied und Sage, in der Anschaulichkeit der Rede gleich einer immer sprudelnden
Quelle hervorbricht, nicht minder jedoch auf den philosophischen Gedanken, auf
die unerbittliche Strenge der Forschung." Von dem Stamme, der im sechzehnten
Jahrhundert der Nation Kepler und Frischlin, im achtzehnten und neunzehnten
neben Schiller noch Wieland, Schubart, Hölderlin, Schelling und Hegel, Mörike,
Uhlcuid, Hermnun Kurz und Strauß geboren, darf dies gerühmt werden. Wenn
aber Weltrich, ehe er charakterisirt, durch einen kurze» historischen Rückblick auf
die ethnographischen Verhältnisse von des Dichters Heimatlande sich einen festen
Boden für die Charakterisirung zu sichern strebt, so ist dies durchaus zu billigem
Würde Hermann Fischer das von Adalbert von Keller begonnene schwäbische
Idiotikon bereits vollendet haben, so hätte Weltrich sich wohl kürzer fassen
können. Wessen Kosmopolitismus sich durch die starke Betonung der in unsern
großen Dichtern fortwirkenden germanischen Stammesart verletzt sühlt, der möge
Wcltrichs Worte beherzigen: „Nur der hat wahres Leben, in welchem der wirk¬
liche, der konkrete Geist seines Volkes sich wiedererkennt, sich selbst entbindet,
dem Schaffen deu Puls giebt."

Mit diesem Ausspruche hat er auch bereits das Urteil über den Fürsten
gefällt, in dessen Schule der Eleve Schiller aufgewachsen ist. Herzog Karl
Eugen, der undankbare und ungeratene Zögling des großen Preußeuköuigs, ist
von manchen Biographen Schillers in möglichst günstiges Licht gestellt worden;
und in der That, ein unbedeutender Mensch ist der würtenbergische „Herodes,"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0682" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196071"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2495" prev="#ID_2494"> manischer Stammesart in scharfer Ausprägung hervor. Die unverwüstliche Stahl-<lb/>
kraft und der freudige Kampfeszvrn in Luther und Bismarck, die lautere Wahrheits¬<lb/>
liebe Lessings, der 'strengsittliche Ernst im Erfassen der größten wie der kleinsten<lb/>
Aufgaben und die Seid'stbescheidung bei Goethe, der kühne Idealismus Schillers<lb/>
sind ebensoviele Züge, wie sie uns an den Helden der germanischen Mythen ent-<lb/>
gegenleuchteu.  Wie die von einzelnen Stämmen zuerst ausgebildeten Sagen-<lb/>
Helden, gehören auch die großen Geisteöführer in ihrer Ausbildung und ihrem<lb/>
Wirken Gesamtdeutschland an. Die Wurzeln ihrer Kraft dagegen ruhen in dem<lb/>
gesonderten Stammesbodeu, aus ihm sind sie erwachsen. Die charakteristischen<lb/>
Eigenschaften und Anlagen des Stammes treten in idealer Potenzirung in seinen<lb/>
größten Söhnen wieder hervor.  So ist nach Weltrich &#x201E;Goethe in seiner all¬<lb/>
seitigen Empfänglichkeit, geistigen Versntilität, harmonischen Milde und freudigen<lb/>
Lebensbehcrrschnng die feinste und glückliche Spiegelung des fränkischen Geistes;<lb/>
Schiller in der Macht seines Jdeenlebens, in seiner Hingabe an idealistische<lb/>
Seelenstimmung, in der Hoheit und Strenge seines ethischen Willens der gro߬<lb/>
artigste Repräsentant des schwäbischen Geistes." Treffend charakterisirt Weltrich,<lb/>
dem Vorgange Wischers in &#x201E;Auch Einer" folgend, den Typus des würtem-<lb/>
bergischen Schwaben nach seiner Lichtseite hin: &#x201E;Es sind innerliche Menschen;<lb/>
tiefkräftig, schwer zugänglich, in sich gefestet, voll Eigenwillens; natürlich begabt<lb/>
für jede höchste Thätigkeit deS Geistes; auf das Phnntasieleben angelegt, das<lb/>
in Lied und Sage, in der Anschaulichkeit der Rede gleich einer immer sprudelnden<lb/>
Quelle hervorbricht, nicht minder jedoch auf den philosophischen Gedanken, auf<lb/>
die unerbittliche Strenge der Forschung." Von dem Stamme, der im sechzehnten<lb/>
Jahrhundert der Nation Kepler und Frischlin, im achtzehnten und neunzehnten<lb/>
neben Schiller noch Wieland, Schubart, Hölderlin, Schelling und Hegel, Mörike,<lb/>
Uhlcuid, Hermnun Kurz und Strauß geboren, darf dies gerühmt werden. Wenn<lb/>
aber Weltrich, ehe er charakterisirt, durch einen kurze» historischen Rückblick auf<lb/>
die ethnographischen Verhältnisse von des Dichters Heimatlande sich einen festen<lb/>
Boden für die Charakterisirung zu sichern strebt, so ist dies durchaus zu billigem<lb/>
Würde Hermann Fischer das von Adalbert von Keller begonnene schwäbische<lb/>
Idiotikon bereits vollendet haben, so hätte Weltrich sich wohl kürzer fassen<lb/>
können. Wessen Kosmopolitismus sich durch die starke Betonung der in unsern<lb/>
großen Dichtern fortwirkenden germanischen Stammesart verletzt sühlt, der möge<lb/>
Wcltrichs Worte beherzigen: &#x201E;Nur der hat wahres Leben, in welchem der wirk¬<lb/>
liche, der konkrete Geist seines Volkes sich wiedererkennt, sich selbst entbindet,<lb/>
dem Schaffen deu Puls giebt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2496" next="#ID_2497"> Mit diesem Ausspruche hat er auch bereits das Urteil über den Fürsten<lb/>
gefällt, in dessen Schule der Eleve Schiller aufgewachsen ist. Herzog Karl<lb/>
Eugen, der undankbare und ungeratene Zögling des großen Preußeuköuigs, ist<lb/>
von manchen Biographen Schillers in möglichst günstiges Licht gestellt worden;<lb/>
und in der That, ein unbedeutender Mensch ist der würtenbergische &#x201E;Herodes,"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0682] manischer Stammesart in scharfer Ausprägung hervor. Die unverwüstliche Stahl- kraft und der freudige Kampfeszvrn in Luther und Bismarck, die lautere Wahrheits¬ liebe Lessings, der 'strengsittliche Ernst im Erfassen der größten wie der kleinsten Aufgaben und die Seid'stbescheidung bei Goethe, der kühne Idealismus Schillers sind ebensoviele Züge, wie sie uns an den Helden der germanischen Mythen ent- gegenleuchteu. Wie die von einzelnen Stämmen zuerst ausgebildeten Sagen- Helden, gehören auch die großen Geisteöführer in ihrer Ausbildung und ihrem Wirken Gesamtdeutschland an. Die Wurzeln ihrer Kraft dagegen ruhen in dem gesonderten Stammesbodeu, aus ihm sind sie erwachsen. Die charakteristischen Eigenschaften und Anlagen des Stammes treten in idealer Potenzirung in seinen größten Söhnen wieder hervor. So ist nach Weltrich „Goethe in seiner all¬ seitigen Empfänglichkeit, geistigen Versntilität, harmonischen Milde und freudigen Lebensbehcrrschnng die feinste und glückliche Spiegelung des fränkischen Geistes; Schiller in der Macht seines Jdeenlebens, in seiner Hingabe an idealistische Seelenstimmung, in der Hoheit und Strenge seines ethischen Willens der gro߬ artigste Repräsentant des schwäbischen Geistes." Treffend charakterisirt Weltrich, dem Vorgange Wischers in „Auch Einer" folgend, den Typus des würtem- bergischen Schwaben nach seiner Lichtseite hin: „Es sind innerliche Menschen; tiefkräftig, schwer zugänglich, in sich gefestet, voll Eigenwillens; natürlich begabt für jede höchste Thätigkeit deS Geistes; auf das Phnntasieleben angelegt, das in Lied und Sage, in der Anschaulichkeit der Rede gleich einer immer sprudelnden Quelle hervorbricht, nicht minder jedoch auf den philosophischen Gedanken, auf die unerbittliche Strenge der Forschung." Von dem Stamme, der im sechzehnten Jahrhundert der Nation Kepler und Frischlin, im achtzehnten und neunzehnten neben Schiller noch Wieland, Schubart, Hölderlin, Schelling und Hegel, Mörike, Uhlcuid, Hermnun Kurz und Strauß geboren, darf dies gerühmt werden. Wenn aber Weltrich, ehe er charakterisirt, durch einen kurze» historischen Rückblick auf die ethnographischen Verhältnisse von des Dichters Heimatlande sich einen festen Boden für die Charakterisirung zu sichern strebt, so ist dies durchaus zu billigem Würde Hermann Fischer das von Adalbert von Keller begonnene schwäbische Idiotikon bereits vollendet haben, so hätte Weltrich sich wohl kürzer fassen können. Wessen Kosmopolitismus sich durch die starke Betonung der in unsern großen Dichtern fortwirkenden germanischen Stammesart verletzt sühlt, der möge Wcltrichs Worte beherzigen: „Nur der hat wahres Leben, in welchem der wirk¬ liche, der konkrete Geist seines Volkes sich wiedererkennt, sich selbst entbindet, dem Schaffen deu Puls giebt." Mit diesem Ausspruche hat er auch bereits das Urteil über den Fürsten gefällt, in dessen Schule der Eleve Schiller aufgewachsen ist. Herzog Karl Eugen, der undankbare und ungeratene Zögling des großen Preußeuköuigs, ist von manchen Biographen Schillers in möglichst günstiges Licht gestellt worden; und in der That, ein unbedeutender Mensch ist der würtenbergische „Herodes,"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/682
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/682>, abgerufen am 22.07.2024.