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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Line neue Schiller-Biographie.

Jugendgeschichte bis zu der am Jnbilatesvnntag des Jahres 1781 erfolgten
ersten Ausgabe der "Räuber" erzählend. "Das Werk müßte fertig sein, sagt
Lessing einmal in einem ähnlichen Falle, wenn man von der Ökonomie desselben
urteilen wollte"; man müsse abwarten, wie der Schriftsteller sich aus dem La¬
byrinth herausfinden werde. Weltrich selber bittet die Kritik, über den Plan
seiner Arbeit nicht nach dem vorliegenden Bruchstücke zu urteilen, sein Buch
sei als ein Ganzes gedacht: "die Verteilung des Stoffes kann sich erst, wenn
das Ganze vorliegt, vollständig rechtfertigen; manches, dessen Aufnahme viel¬
leicht auf den ersten Anblick befremdet, wird als Teil des Gesamtplanes nach
und nach erst sich erklären." Nicht viel mehr als der Unterbau zu dem Denk¬
mal Schillers ist in den vorliegenden vierundeiuhalb Kapiteln gegeben: Ge¬
burt und Elternhaus (S. 1^-35); Heimat und Kindheit (S. 36--82); Herzog
Karl und seine pädagogischen Schöpfungen (S. 83--140, bereits in den beiden
ersten Heften der Cottaschen "Zeitschrift für allgemeine Geschichte" 1885 ab¬
gedruckt); Schiller als Zögling der herzoglichen Militärakademie (S. 141--330);
Schiller als Regimentsmedikus in Stuttgart; die "Räuber" (S. 331--384);
die Gedichte der Anthologie; Schillers Flucht.

In der kurzen Zeit, seit welcher die erste Lieferung von Weltrichs Arbeit
vorliegt, ist bereits ein spöttischer Tadel gegen den Inhalt des zweiten Kapitels
laut geworden. Gerade in dem Abschnitte "Heimat" tritt uns Weltrichs eigen¬
artige Vehandlungsweise im Gegensatze zu den frühern Biographen entgegen.
Von der Familie des Dichters geht Weltrich im ersten Kapitel aus; der väter¬
liche Stammbaum Schillers läßt sich bis 1587, der mütterliche bis 1640 zurück¬
verfolgen. Von Vater und Mutter werden scharfumrissne Charakterbilder ent¬
worfen. Nachdem aber schon im Anfang (S. 16) hervorgehoben worden, daß
"Marbach, die Heimat der Mutter des Dichters, an der Grenze der schwäbisch¬
fränkischen Mischnngszone" gelegen sei -- Markbach (Grenzbach) war der ur¬
sprüngliche, auf fränkische Gründung hinweisende Name des Städtchens --, läßt
sich der Verfasser im folgenden zu eiuer weitausgreifenden Untersuchung der
Stammesart von Schillers Heimat verleiten. Er ist sich dieser Digression selber
völlig bewußt, "denn die vorliegende Biographie möchte überhaupt auf Art und
Erscheinen des deutschen Volkstums, wo immer ein Anlaß gegeben ist, Bezug
nehmen." Die literarischen und anderweitigen Einflüsse, welche bestimmend auf
die Entwicklung unsrer Dichter und Denker eingewirkt haben, zu untersuchen,
ist längst für den Biographen Regel geworden. Sind aber nicht auch viel
tieferliegende, von der Natur gegebene Einflüsse wahrzunehmen und so viel
als möglich darzulegen? Während die große Masse unsers Volkes in ge¬
wöhnlichen Zeiten nur allzugern sich einer charakterlosen Philisterhaftigteit er¬
giebt, treten in unsern großen Männern, wie sie in gleicheigentümlicher Weise
und Erhabenheit eben nur Deutschland zu alleu Zeiten erzeugt hat, die dnrch
keine internationale Kulturverflachung vertilgbaren großen Charakterzüge ger-


Line neue Schiller-Biographie.

Jugendgeschichte bis zu der am Jnbilatesvnntag des Jahres 1781 erfolgten
ersten Ausgabe der „Räuber" erzählend. „Das Werk müßte fertig sein, sagt
Lessing einmal in einem ähnlichen Falle, wenn man von der Ökonomie desselben
urteilen wollte"; man müsse abwarten, wie der Schriftsteller sich aus dem La¬
byrinth herausfinden werde. Weltrich selber bittet die Kritik, über den Plan
seiner Arbeit nicht nach dem vorliegenden Bruchstücke zu urteilen, sein Buch
sei als ein Ganzes gedacht: „die Verteilung des Stoffes kann sich erst, wenn
das Ganze vorliegt, vollständig rechtfertigen; manches, dessen Aufnahme viel¬
leicht auf den ersten Anblick befremdet, wird als Teil des Gesamtplanes nach
und nach erst sich erklären." Nicht viel mehr als der Unterbau zu dem Denk¬
mal Schillers ist in den vorliegenden vierundeiuhalb Kapiteln gegeben: Ge¬
burt und Elternhaus (S. 1^-35); Heimat und Kindheit (S. 36—82); Herzog
Karl und seine pädagogischen Schöpfungen (S. 83—140, bereits in den beiden
ersten Heften der Cottaschen „Zeitschrift für allgemeine Geschichte" 1885 ab¬
gedruckt); Schiller als Zögling der herzoglichen Militärakademie (S. 141—330);
Schiller als Regimentsmedikus in Stuttgart; die „Räuber" (S. 331—384);
die Gedichte der Anthologie; Schillers Flucht.

In der kurzen Zeit, seit welcher die erste Lieferung von Weltrichs Arbeit
vorliegt, ist bereits ein spöttischer Tadel gegen den Inhalt des zweiten Kapitels
laut geworden. Gerade in dem Abschnitte „Heimat" tritt uns Weltrichs eigen¬
artige Vehandlungsweise im Gegensatze zu den frühern Biographen entgegen.
Von der Familie des Dichters geht Weltrich im ersten Kapitel aus; der väter¬
liche Stammbaum Schillers läßt sich bis 1587, der mütterliche bis 1640 zurück¬
verfolgen. Von Vater und Mutter werden scharfumrissne Charakterbilder ent¬
worfen. Nachdem aber schon im Anfang (S. 16) hervorgehoben worden, daß
„Marbach, die Heimat der Mutter des Dichters, an der Grenze der schwäbisch¬
fränkischen Mischnngszone" gelegen sei — Markbach (Grenzbach) war der ur¬
sprüngliche, auf fränkische Gründung hinweisende Name des Städtchens —, läßt
sich der Verfasser im folgenden zu eiuer weitausgreifenden Untersuchung der
Stammesart von Schillers Heimat verleiten. Er ist sich dieser Digression selber
völlig bewußt, „denn die vorliegende Biographie möchte überhaupt auf Art und
Erscheinen des deutschen Volkstums, wo immer ein Anlaß gegeben ist, Bezug
nehmen." Die literarischen und anderweitigen Einflüsse, welche bestimmend auf
die Entwicklung unsrer Dichter und Denker eingewirkt haben, zu untersuchen,
ist längst für den Biographen Regel geworden. Sind aber nicht auch viel
tieferliegende, von der Natur gegebene Einflüsse wahrzunehmen und so viel
als möglich darzulegen? Während die große Masse unsers Volkes in ge¬
wöhnlichen Zeiten nur allzugern sich einer charakterlosen Philisterhaftigteit er¬
giebt, treten in unsern großen Männern, wie sie in gleicheigentümlicher Weise
und Erhabenheit eben nur Deutschland zu alleu Zeiten erzeugt hat, die dnrch
keine internationale Kulturverflachung vertilgbaren großen Charakterzüge ger-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/681>, abgerufen am 22.07.2024.