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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Line neue Schiller-Biographie.

eine leichte ist. Wir haben es, vielleicht eben weil wir die entgegenstehenden
Schwierigkeiten besser erkannten, Engländern überlassen, die ersten Biographien
Schillers und Goethes zu schreiben. Daß eine umfassende Goethebiographie vor
Erschließung des Weimarischen Archivs nicht möglich war, versteht sich von selbst.
Die früher als abschließendes Werk gepriesene Lessingbiographie Dcmzels fand
man im Laufe des Fortganges der literarischen Studien nicht mehr genügend.
Was Rudolf Haym für Wilhelm von Humboldt bereits seit langem geleistet,
das wird er für Herder hoffentlich bald vollenden. Klopstock, Wieland, Schlegel,
Tieck, Arnim u. a. haben noch keinen Biographen gefunden, oder wenigstens sind
die Arbeiten ihrer Biographen noch nicht zum Abschluß gebracht. An Schiller-
bivgraphien haben wir keinen Mangel, und wer wollte Hoffmeisters trockener
Gründlichkeit, Palleskcs anziehender, nirgends aber in die Tiefe dringender
Darstellung, Düntzers übersichtlich und einsichtsvoll zusauunenfassender Anordnung
das gebührende Lob versagen? Wie unschätzbar bleibt, was Schillers Witwe
und Schwägerin, sein treuester Genosse Körner und seine Jugendfreunde von
ihm erzählt haben! Allein alle diese und ähnliche Arbeiten haben sich zum Teil,
wie Hoveu, Streicher, Düntzer, Fielitz, nur engbegrenztc Ziele selber gesetzt oder
ihre große Aufgabe nur einseitig, wie Johannes Scherr, oder oberflächlich, wie
Gustav Schwab, behandelt.

Eine große Anzahl von Briefwechseln, der wichtigste unter ihnen wohl
der mit dem Herzoge von Augustenburg, die Originalentwttrfc der "Briefe über
ästhetische Erziehung" enthaltend, und der ganze umfangreiche und inhaltreiche
Nachlaß Schillers sind erst lange nachdem Palleske, Hoffmeister und Viehvff ihre
Arbeiten ausgeführt hatten, bekannt geworden. Goedetes "historisch-kritische Aus¬
gabe" von Schillers sämtlichen Schriften (Stuttgart, 1367--1876) hat Schillers
ganzen Entwicklungsgang als Dichter und Schriftsteller, die Gründlichkeit und
sittlich-künstlerische Sorgfalt seiner Arbeitsmethode in einer bis dahin unge¬
ahnten Weise anschaulich gemacht. Die Änderungen und Fortschritte in der
Behandlung unsrer Literaturgeschichte stellen jetzt an einen Biographen ganz
andre Anforderungen, als zur Zeit des großen Schillerjubilänins erfüllt werdeu
mußten. Die Aufgabe selbst und die zu ihrer Lösung sich darbietenden Mittel
haben sich verändert. Eine umfassende Geschichte von Schillers Leben und
Wirken zu schreiben ward nachgerade eine dringende Aufgabe, umsomehr als
manche Umstände, wie z. B. die auf Kosten der Philosophie erfolgte einseitige
Teilnahme für die Naturwissenschaften, dem liebevollen Verständnis für Schillers
große Thaten Hindernisse zu bereite,: schienen. Von einem solchen Werke über
Schiller liegt nun der erste von vier in Aussicht gestellten Teilen vor,^) Schillers



Friedrich Schiller. Geschichte seines Lebens und Charakteristik seiner Werke. Unter
kritischem Nachweis der biographischen Quellen. Von Richard Weltrich, tgi. Professor an
der Kriegsakademie und dem Kadcttenkorps zu München. Erste Lieferung. Mit dem Bildnis
der Dauueckerscheu Schillerbüste. Stuttgart, I. G. Cotta, 1885.
Line neue Schiller-Biographie.

eine leichte ist. Wir haben es, vielleicht eben weil wir die entgegenstehenden
Schwierigkeiten besser erkannten, Engländern überlassen, die ersten Biographien
Schillers und Goethes zu schreiben. Daß eine umfassende Goethebiographie vor
Erschließung des Weimarischen Archivs nicht möglich war, versteht sich von selbst.
Die früher als abschließendes Werk gepriesene Lessingbiographie Dcmzels fand
man im Laufe des Fortganges der literarischen Studien nicht mehr genügend.
Was Rudolf Haym für Wilhelm von Humboldt bereits seit langem geleistet,
das wird er für Herder hoffentlich bald vollenden. Klopstock, Wieland, Schlegel,
Tieck, Arnim u. a. haben noch keinen Biographen gefunden, oder wenigstens sind
die Arbeiten ihrer Biographen noch nicht zum Abschluß gebracht. An Schiller-
bivgraphien haben wir keinen Mangel, und wer wollte Hoffmeisters trockener
Gründlichkeit, Palleskcs anziehender, nirgends aber in die Tiefe dringender
Darstellung, Düntzers übersichtlich und einsichtsvoll zusauunenfassender Anordnung
das gebührende Lob versagen? Wie unschätzbar bleibt, was Schillers Witwe
und Schwägerin, sein treuester Genosse Körner und seine Jugendfreunde von
ihm erzählt haben! Allein alle diese und ähnliche Arbeiten haben sich zum Teil,
wie Hoveu, Streicher, Düntzer, Fielitz, nur engbegrenztc Ziele selber gesetzt oder
ihre große Aufgabe nur einseitig, wie Johannes Scherr, oder oberflächlich, wie
Gustav Schwab, behandelt.

Eine große Anzahl von Briefwechseln, der wichtigste unter ihnen wohl
der mit dem Herzoge von Augustenburg, die Originalentwttrfc der „Briefe über
ästhetische Erziehung" enthaltend, und der ganze umfangreiche und inhaltreiche
Nachlaß Schillers sind erst lange nachdem Palleske, Hoffmeister und Viehvff ihre
Arbeiten ausgeführt hatten, bekannt geworden. Goedetes „historisch-kritische Aus¬
gabe" von Schillers sämtlichen Schriften (Stuttgart, 1367—1876) hat Schillers
ganzen Entwicklungsgang als Dichter und Schriftsteller, die Gründlichkeit und
sittlich-künstlerische Sorgfalt seiner Arbeitsmethode in einer bis dahin unge¬
ahnten Weise anschaulich gemacht. Die Änderungen und Fortschritte in der
Behandlung unsrer Literaturgeschichte stellen jetzt an einen Biographen ganz
andre Anforderungen, als zur Zeit des großen Schillerjubilänins erfüllt werdeu
mußten. Die Aufgabe selbst und die zu ihrer Lösung sich darbietenden Mittel
haben sich verändert. Eine umfassende Geschichte von Schillers Leben und
Wirken zu schreiben ward nachgerade eine dringende Aufgabe, umsomehr als
manche Umstände, wie z. B. die auf Kosten der Philosophie erfolgte einseitige
Teilnahme für die Naturwissenschaften, dem liebevollen Verständnis für Schillers
große Thaten Hindernisse zu bereite,: schienen. Von einem solchen Werke über
Schiller liegt nun der erste von vier in Aussicht gestellten Teilen vor,^) Schillers



Friedrich Schiller. Geschichte seines Lebens und Charakteristik seiner Werke. Unter
kritischem Nachweis der biographischen Quellen. Von Richard Weltrich, tgi. Professor an
der Kriegsakademie und dem Kadcttenkorps zu München. Erste Lieferung. Mit dem Bildnis
der Dauueckerscheu Schillerbüste. Stuttgart, I. G. Cotta, 1885.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/680>, abgerufen am 22.07.2024.