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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Persien höchst gefährlich wirken muß. In diesem Sinne waren die Instruk¬
tionen des Gesandten in Teheran sSimvnitW abgefaßt, und wenn Persien dessen
Ratschläge nicht befolgt hat, so trifft die Schuld nicht Rußland." Wäre, so
hieß es in der betreffenden Denkschrift weiter, Herat gefallen, so würde es nicht
bei Persien geblieben sein; denn es sei durch Simonitschs Vermittlung zwischen
dem Schah und den Sirdars von Kcmdcihar ein Vertrag zu stände gekommen,
nach welchem es diesen in der Eigenschaft eines völlig unabhängigen Fürsten¬
tums zugefallen wäre. Die Stämme und Fürsten Afghanistans müßten nach
der Meinung Rußlands frei und in ihrem jetzigen Zustande verbleiben, da dies
zum Vorteile aller bei dem Handel mit Mittelasien beteiligten Nationen ge¬
reichen werde. Afghanistan sei reich genug, um den Kaufleuten aller Völker
einen gewinnbringenden Markt darzubieten, dieselben brauchten sich also einander
nicht auszuschließen. Witkowitschs Sendung nach Kabul habe auf Anregung des
dortigen Emir stattgefunden und nur Handelszwecken gegolten, nicht der An¬
knüpfung politischer Beziehungen. "Wenn von den beiden Mächten, so fuhr die
Denkschrift fort, eine Grund zur Beschwerde hat, so ist es Rußland. Man
kennt die unermüdliche Thätigkeit der hier reisenden Engländer, die darauf aus¬
gehen, unter den Völkerschaften Mittelasiens, selbst unter denen an unsern
Grenzen, Unruhe zu stiften; während wir nur Anteil am Gewinne des asia¬
tischen Handels erstreben, sucht die eifersüchtige Gewerbthätigkeit Englands jeden
Mitbewerber auszuschließen. Großbritannien und Rußland haben aber das
gleiche Interesse dnrau, daß in Mittelasien die Ruhe erhalten werde, und beide
Teile sollten alles aufbieten, um in den Zwischenländern zwischen ihren Be¬
sitzungen die bestehende Ordnung zu stützen und deren Unabhängigkeit zu sichern.
Die unumgängliche Bedingung einer dauernden Freundschaft zwischen Gro߬
britannien und Rußland ist, daß sie sich nicht in Mittelasien berühre" und
reiben."

Die englische Negierung erklärte hierauf, wenn Rußland nach den hier
ausgesprochenen Grundsätzen handeln wolle, so würde es seine Agenten im Osten
anweisen, genau nach denselben zu verfahren. Man höre mit Vergnügen, daß
es keine feindlichen Anschläge gegen die britischen Besitzungen in Asien verfolge,
und man wolle deshalb keine Einrede gegen gewisse Stellen der Denkschrift
erheben; doch möge dies nicht so gedeutet werden, als ob man die Nichtigkeit
der Thatsachen, Ansichten und Endzwecke anerkenne, mit denen man sich nicht
ausdrücklich einverstanden erklärt habe.

Rußland hatte damals sein Augenmerk mehr auf die Länder der Pforte
gerichtet, es war mit seinen Grenzen und Kräften noch weit von Afghanistan
entfernt, und die Zustände in Mittelasien waren überhaupt noch nicht soweit
gereift, daß mau mit viel Aussicht auf Erfolg hätte wagen können, den Eng¬
ländern den Fehdehandschuh hinzuwerfen. So ließ es seine Pläne vorläufig
fallen. Der Kaiser verweigerte die Garantie des Vertrages des Schäds mit den


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Persien höchst gefährlich wirken muß. In diesem Sinne waren die Instruk¬
tionen des Gesandten in Teheran sSimvnitW abgefaßt, und wenn Persien dessen
Ratschläge nicht befolgt hat, so trifft die Schuld nicht Rußland." Wäre, so
hieß es in der betreffenden Denkschrift weiter, Herat gefallen, so würde es nicht
bei Persien geblieben sein; denn es sei durch Simonitschs Vermittlung zwischen
dem Schah und den Sirdars von Kcmdcihar ein Vertrag zu stände gekommen,
nach welchem es diesen in der Eigenschaft eines völlig unabhängigen Fürsten¬
tums zugefallen wäre. Die Stämme und Fürsten Afghanistans müßten nach
der Meinung Rußlands frei und in ihrem jetzigen Zustande verbleiben, da dies
zum Vorteile aller bei dem Handel mit Mittelasien beteiligten Nationen ge¬
reichen werde. Afghanistan sei reich genug, um den Kaufleuten aller Völker
einen gewinnbringenden Markt darzubieten, dieselben brauchten sich also einander
nicht auszuschließen. Witkowitschs Sendung nach Kabul habe auf Anregung des
dortigen Emir stattgefunden und nur Handelszwecken gegolten, nicht der An¬
knüpfung politischer Beziehungen. „Wenn von den beiden Mächten, so fuhr die
Denkschrift fort, eine Grund zur Beschwerde hat, so ist es Rußland. Man
kennt die unermüdliche Thätigkeit der hier reisenden Engländer, die darauf aus¬
gehen, unter den Völkerschaften Mittelasiens, selbst unter denen an unsern
Grenzen, Unruhe zu stiften; während wir nur Anteil am Gewinne des asia¬
tischen Handels erstreben, sucht die eifersüchtige Gewerbthätigkeit Englands jeden
Mitbewerber auszuschließen. Großbritannien und Rußland haben aber das
gleiche Interesse dnrau, daß in Mittelasien die Ruhe erhalten werde, und beide
Teile sollten alles aufbieten, um in den Zwischenländern zwischen ihren Be¬
sitzungen die bestehende Ordnung zu stützen und deren Unabhängigkeit zu sichern.
Die unumgängliche Bedingung einer dauernden Freundschaft zwischen Gro߬
britannien und Rußland ist, daß sie sich nicht in Mittelasien berühre» und
reiben."

Die englische Negierung erklärte hierauf, wenn Rußland nach den hier
ausgesprochenen Grundsätzen handeln wolle, so würde es seine Agenten im Osten
anweisen, genau nach denselben zu verfahren. Man höre mit Vergnügen, daß
es keine feindlichen Anschläge gegen die britischen Besitzungen in Asien verfolge,
und man wolle deshalb keine Einrede gegen gewisse Stellen der Denkschrift
erheben; doch möge dies nicht so gedeutet werden, als ob man die Nichtigkeit
der Thatsachen, Ansichten und Endzwecke anerkenne, mit denen man sich nicht
ausdrücklich einverstanden erklärt habe.

Rußland hatte damals sein Augenmerk mehr auf die Länder der Pforte
gerichtet, es war mit seinen Grenzen und Kräften noch weit von Afghanistan
entfernt, und die Zustände in Mittelasien waren überhaupt noch nicht soweit
gereift, daß mau mit viel Aussicht auf Erfolg hätte wagen können, den Eng¬
ländern den Fehdehandschuh hinzuwerfen. So ließ es seine Pläne vorläufig
fallen. Der Kaiser verweigerte die Garantie des Vertrages des Schäds mit den


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[0068] Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage. Persien höchst gefährlich wirken muß. In diesem Sinne waren die Instruk¬ tionen des Gesandten in Teheran sSimvnitW abgefaßt, und wenn Persien dessen Ratschläge nicht befolgt hat, so trifft die Schuld nicht Rußland." Wäre, so hieß es in der betreffenden Denkschrift weiter, Herat gefallen, so würde es nicht bei Persien geblieben sein; denn es sei durch Simonitschs Vermittlung zwischen dem Schah und den Sirdars von Kcmdcihar ein Vertrag zu stände gekommen, nach welchem es diesen in der Eigenschaft eines völlig unabhängigen Fürsten¬ tums zugefallen wäre. Die Stämme und Fürsten Afghanistans müßten nach der Meinung Rußlands frei und in ihrem jetzigen Zustande verbleiben, da dies zum Vorteile aller bei dem Handel mit Mittelasien beteiligten Nationen ge¬ reichen werde. Afghanistan sei reich genug, um den Kaufleuten aller Völker einen gewinnbringenden Markt darzubieten, dieselben brauchten sich also einander nicht auszuschließen. Witkowitschs Sendung nach Kabul habe auf Anregung des dortigen Emir stattgefunden und nur Handelszwecken gegolten, nicht der An¬ knüpfung politischer Beziehungen. „Wenn von den beiden Mächten, so fuhr die Denkschrift fort, eine Grund zur Beschwerde hat, so ist es Rußland. Man kennt die unermüdliche Thätigkeit der hier reisenden Engländer, die darauf aus¬ gehen, unter den Völkerschaften Mittelasiens, selbst unter denen an unsern Grenzen, Unruhe zu stiften; während wir nur Anteil am Gewinne des asia¬ tischen Handels erstreben, sucht die eifersüchtige Gewerbthätigkeit Englands jeden Mitbewerber auszuschließen. Großbritannien und Rußland haben aber das gleiche Interesse dnrau, daß in Mittelasien die Ruhe erhalten werde, und beide Teile sollten alles aufbieten, um in den Zwischenländern zwischen ihren Be¬ sitzungen die bestehende Ordnung zu stützen und deren Unabhängigkeit zu sichern. Die unumgängliche Bedingung einer dauernden Freundschaft zwischen Gro߬ britannien und Rußland ist, daß sie sich nicht in Mittelasien berühre» und reiben." Die englische Negierung erklärte hierauf, wenn Rußland nach den hier ausgesprochenen Grundsätzen handeln wolle, so würde es seine Agenten im Osten anweisen, genau nach denselben zu verfahren. Man höre mit Vergnügen, daß es keine feindlichen Anschläge gegen die britischen Besitzungen in Asien verfolge, und man wolle deshalb keine Einrede gegen gewisse Stellen der Denkschrift erheben; doch möge dies nicht so gedeutet werden, als ob man die Nichtigkeit der Thatsachen, Ansichten und Endzwecke anerkenne, mit denen man sich nicht ausdrücklich einverstanden erklärt habe. Rußland hatte damals sein Augenmerk mehr auf die Länder der Pforte gerichtet, es war mit seinen Grenzen und Kräften noch weit von Afghanistan entfernt, und die Zustände in Mittelasien waren überhaupt noch nicht soweit gereift, daß mau mit viel Aussicht auf Erfolg hätte wagen können, den Eng¬ ländern den Fehdehandschuh hinzuwerfen. So ließ es seine Pläne vorläufig fallen. Der Kaiser verweigerte die Garantie des Vertrages des Schäds mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/68>, abgerufen am 22.07.2024.