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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Brcmnschwoig,

sich UM den beim Volke beliebten, obwohl der geordneten Kirchenverfassung nicht
unbedingt zugethaner Johannes Kopmann; im übrigen blieb es bei der Vor¬
lage, die, selbst ein Kompromiß, auch Bngenhagen einige Zngeständisse -- Auf¬
hebung der Apostelfestc und Weglassung der Nachnüttagspredigten in vier Pfarr¬
kirchen -- gekostet hatte.

Nicht allen Beteiligten war das Resultat recht, die Prädikcmten klagten
über Überbürdung. "Allein Bngenhagen, selber ein Mann von robuster Kraft
und Gesundheit, dem die längsten Predigten keine Beschwerde, sondern eitel Lust
waren, verstand derartige Bedenklichsten nicht, und froh seines Glaubens, die
Begierde nach Gottes Wort, welche damals die Kirchen der Stadt bei jeder
Gelegenheit bis auf den letzten Platz füllte, werde für alle Zeit gleich uner¬
sättlich bleiben, hätte er sich selber als ungetreuen Hirten verdammt, wenn er
die Hand zu einem Nachlaß geboten, wodurch diesen Schciflein an ihrer Weide
das mindeste abgebrochen wäre." Auch das erhöhte Solarium befriedigte
vielfach die Ansprüche nicht, die man --- und Bugenhagen ursprünglich selber
mit -- machen zu dürfen geglaubt hatte. Da wies er die Klagenden auf die
katholischen Prädikcmten hin, die noch weniger hätten, und weissagte, daß es
nicht an Leuten fehlen würde, die ihnen auch das jetzt Gewährte noch als ein
Überflüssiges mißgönnen würden, ein Wort, das die Zeit nur zu bald wahr machte.

Am 5. September ward die neue Kirchenordnung von Rat und Bürger¬
schaft gutgeheißen und am andern Tage, als einem Sonntage, ihre Annahme
mit Tedeum in allen Kirchen verkündigt. In der ausgearbeiteten und vervoll¬
ständigten Form, wie sie bald darauf bei Joseph Kluck zu Wittenberg im Druck
erschien, ist sie das Muster eines geistlichen Volksbuches. Kein dürres schema-
tisiren, kein starres Gesetz, überall eine zum Verstände nicht bloß, sondern auch
zum Herzen sprechende Motivirung, vielfach auch breit und behaglich ausgeführte
Lektionen über christliche Lehre und Lebensführung, wuchtige Polemik gegen
die hauptsächlichsten Irrtümer und Fehler, denen Bngcuhagen in der Stadt
hatte begegnen müssen -- das alles in einer Sprache von kerniger Einfalt, die
der Geringste verstand und an der der Gelehrteste seine Freude haben mußte,
und über dem alle" der Geist fröhlichen Glaubens, der seines Jubels kein Ende
finden kann über die göttliche Gnade, die das reine Wort wieder habe ans
Licht treten lasten.

Nur ungern versage ich es mir, das eine oder andre Stück im vollen
Umfange wiederzugeben; ich begnüge mich damit, als kurze Sprach- und Dar¬
stellungsprobe den Eingang des Abschnittes "Van den Schoten" hierherzusetzen.
"Je is Mich unde christlik recht, aise gehende is, dat Wh unse kinderken Christo
lor dope bringen. Overs ach leyder, wen se upwassen unde de dye kümpt, dat
me se leren schal, so is renard darheyme, renard vorbermet sick over de armen
Andere, dat me se so lerede, dat se mochten bh Christo blyven, deine se in der
dope geoffert sind. Renart vorsumet gerne deu kinderken de dope, aise ok recht


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Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Brcmnschwoig,

sich UM den beim Volke beliebten, obwohl der geordneten Kirchenverfassung nicht
unbedingt zugethaner Johannes Kopmann; im übrigen blieb es bei der Vor¬
lage, die, selbst ein Kompromiß, auch Bngenhagen einige Zngeständisse — Auf¬
hebung der Apostelfestc und Weglassung der Nachnüttagspredigten in vier Pfarr¬
kirchen — gekostet hatte.

Nicht allen Beteiligten war das Resultat recht, die Prädikcmten klagten
über Überbürdung. „Allein Bngenhagen, selber ein Mann von robuster Kraft
und Gesundheit, dem die längsten Predigten keine Beschwerde, sondern eitel Lust
waren, verstand derartige Bedenklichsten nicht, und froh seines Glaubens, die
Begierde nach Gottes Wort, welche damals die Kirchen der Stadt bei jeder
Gelegenheit bis auf den letzten Platz füllte, werde für alle Zeit gleich uner¬
sättlich bleiben, hätte er sich selber als ungetreuen Hirten verdammt, wenn er
die Hand zu einem Nachlaß geboten, wodurch diesen Schciflein an ihrer Weide
das mindeste abgebrochen wäre." Auch das erhöhte Solarium befriedigte
vielfach die Ansprüche nicht, die man -— und Bugenhagen ursprünglich selber
mit — machen zu dürfen geglaubt hatte. Da wies er die Klagenden auf die
katholischen Prädikcmten hin, die noch weniger hätten, und weissagte, daß es
nicht an Leuten fehlen würde, die ihnen auch das jetzt Gewährte noch als ein
Überflüssiges mißgönnen würden, ein Wort, das die Zeit nur zu bald wahr machte.

Am 5. September ward die neue Kirchenordnung von Rat und Bürger¬
schaft gutgeheißen und am andern Tage, als einem Sonntage, ihre Annahme
mit Tedeum in allen Kirchen verkündigt. In der ausgearbeiteten und vervoll¬
ständigten Form, wie sie bald darauf bei Joseph Kluck zu Wittenberg im Druck
erschien, ist sie das Muster eines geistlichen Volksbuches. Kein dürres schema-
tisiren, kein starres Gesetz, überall eine zum Verstände nicht bloß, sondern auch
zum Herzen sprechende Motivirung, vielfach auch breit und behaglich ausgeführte
Lektionen über christliche Lehre und Lebensführung, wuchtige Polemik gegen
die hauptsächlichsten Irrtümer und Fehler, denen Bngcuhagen in der Stadt
hatte begegnen müssen — das alles in einer Sprache von kerniger Einfalt, die
der Geringste verstand und an der der Gelehrteste seine Freude haben mußte,
und über dem alle» der Geist fröhlichen Glaubens, der seines Jubels kein Ende
finden kann über die göttliche Gnade, die das reine Wort wieder habe ans
Licht treten lasten.

Nur ungern versage ich es mir, das eine oder andre Stück im vollen
Umfange wiederzugeben; ich begnüge mich damit, als kurze Sprach- und Dar¬
stellungsprobe den Eingang des Abschnittes „Van den Schoten" hierherzusetzen.
„Je is Mich unde christlik recht, aise gehende is, dat Wh unse kinderken Christo
lor dope bringen. Overs ach leyder, wen se upwassen unde de dye kümpt, dat
me se leren schal, so is renard darheyme, renard vorbermet sick over de armen
Andere, dat me se so lerede, dat se mochten bh Christo blyven, deine se in der
dope geoffert sind. Renart vorsumet gerne deu kinderken de dope, aise ok recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/676>, abgerufen am 22.07.2024.