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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig,

etwaigen Bedenken der Pietät, von Kunstinteresse, das kaum vorhanden war,
zu schweigen, den Sieg davontrug. Dem derben Pommern heißt an der an¬
geführten Stelle die Masse des bildlichen Kirchenschmuckes "logenbelden unde
unnutte klotze."

Der neue Impuls, welchen durch Bugenhagen die reformatorische Bewegung
in der Stadt empfangen hatte, begann mehr und mehr auch beim Rate seinen
Einfluß zu üben. Die Drohungen und Mahnungen Kaiser Karls und Herzog
Heinrichs traten bei den einen hinter den Forderungen des eignen Gewissens, bei
den andern hinter der Befürchtung zurück, der gestaute Strom mochte sich ge¬
waltsam Bahn brechen und dabei die ganze Ratsherrlichkcit mit fortschwemmen.
Gegen Ende August warm die Grundzüge der neuen Kirchenverfassung zwischen
Vugenhagen, den Verordneten des Rates und den Prädikanten vereinbart und
wurden nunmehr sofort abschriftlich als "Körte vortekeninge der dinge, darup
eyn Erbar Rat mit der gemeyne eyne christlike ordeninge bedrepende, to been-
deten best, beschreven dorch den Pomern" den Gilden und Gemeinheiten der
fünf städtischen Weichbilder zur Begutachtung übergeben.

Diese "Körte vortekeninge," welche unser Herausgeber am Schluß der Ein¬
leitung abdrückt, handelt bald knapp, bald ausführlicher von der Einrichtung
zweier lateinischen Schulen, von "Scholmestcrn unde gesellen," ihrer Besoldung
und Aufgabe, weiter vom " Supercittcndenten und spilen hulper," von den
Prüdikanten -- je zwei an den fünf Pfarrkirchen der Stadt --, sowie von
Küstern und Organisten. In der Vorlage über die "billigen Dage" werden
nußer den Sonntagen und den drei großen Festen zur Beibehaltung empfohlen
"Cireumcisionis, Epiphanie, Marien kcrkgangk, Marien vorkundinge, des heren
Himmelfart, Johannis baptiste, Marien berchgcmgk" und Michaelis. Se. Autors,
des legendären Beschützers der Stadt, und Se. Valentins Tag, an welchem
1492 den Städtern der Sieg von Blekenstedt zu teil geworden, werden auf
den nächsten Sonntag gelegt und als Dankfeste für sonderliche göttliche Hilfe
gefeiert. Entscheidung in Ehestreitigkeiten wird dem Rate zugewiesen. Grund¬
legend aber ist vor allem die Ordnung der Armenpflege, sowie der Kirchen- und
Schulfinanzen. In jeder der vier Pfarrkirchen werden zwei Kasten aufgestellt,
der eine in der Kirche selbst für die freiwilligen Opfer, aus denen nach wie
vor die Kosten der Armenpflege bestritten werden -- daneben sammelt der
Klingelbeutelder andre in der Sakristei, In dem letztern, dem "genehmen
schatkastcn," sollen die Einkünfte aus dem Kirchenvermögen, dazu die Vierzeitcn-
gelder, testamentarische und sonstige Zuweisungen, die bestehenden Legate für
Seelenmessen, Lichter und dergleichen gesammelt werden, damit daraus Kirchen-
und Schulkosten allerart, soweit die letztern nicht durch das Schulgeld gedeckt
sind, bestritten werden. Für jeden Kasten werden vier Vorsteher, "Diccken" oder
"kastenheren," bestellt. Den Pflegern des gemeinen Schatzkastens, von denen
je einer ein Ratsherr sein muß, liegt es nebenbei ob, im Einvernehmen mit


Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig,

etwaigen Bedenken der Pietät, von Kunstinteresse, das kaum vorhanden war,
zu schweigen, den Sieg davontrug. Dem derben Pommern heißt an der an¬
geführten Stelle die Masse des bildlichen Kirchenschmuckes „logenbelden unde
unnutte klotze."

Der neue Impuls, welchen durch Bugenhagen die reformatorische Bewegung
in der Stadt empfangen hatte, begann mehr und mehr auch beim Rate seinen
Einfluß zu üben. Die Drohungen und Mahnungen Kaiser Karls und Herzog
Heinrichs traten bei den einen hinter den Forderungen des eignen Gewissens, bei
den andern hinter der Befürchtung zurück, der gestaute Strom mochte sich ge¬
waltsam Bahn brechen und dabei die ganze Ratsherrlichkcit mit fortschwemmen.
Gegen Ende August warm die Grundzüge der neuen Kirchenverfassung zwischen
Vugenhagen, den Verordneten des Rates und den Prädikanten vereinbart und
wurden nunmehr sofort abschriftlich als „Körte vortekeninge der dinge, darup
eyn Erbar Rat mit der gemeyne eyne christlike ordeninge bedrepende, to been-
deten best, beschreven dorch den Pomern" den Gilden und Gemeinheiten der
fünf städtischen Weichbilder zur Begutachtung übergeben.

Diese „Körte vortekeninge," welche unser Herausgeber am Schluß der Ein¬
leitung abdrückt, handelt bald knapp, bald ausführlicher von der Einrichtung
zweier lateinischen Schulen, von „Scholmestcrn unde gesellen," ihrer Besoldung
und Aufgabe, weiter vom „ Supercittcndenten und spilen hulper," von den
Prüdikanten — je zwei an den fünf Pfarrkirchen der Stadt —, sowie von
Küstern und Organisten. In der Vorlage über die „billigen Dage" werden
nußer den Sonntagen und den drei großen Festen zur Beibehaltung empfohlen
„Cireumcisionis, Epiphanie, Marien kcrkgangk, Marien vorkundinge, des heren
Himmelfart, Johannis baptiste, Marien berchgcmgk" und Michaelis. Se. Autors,
des legendären Beschützers der Stadt, und Se. Valentins Tag, an welchem
1492 den Städtern der Sieg von Blekenstedt zu teil geworden, werden auf
den nächsten Sonntag gelegt und als Dankfeste für sonderliche göttliche Hilfe
gefeiert. Entscheidung in Ehestreitigkeiten wird dem Rate zugewiesen. Grund¬
legend aber ist vor allem die Ordnung der Armenpflege, sowie der Kirchen- und
Schulfinanzen. In jeder der vier Pfarrkirchen werden zwei Kasten aufgestellt,
der eine in der Kirche selbst für die freiwilligen Opfer, aus denen nach wie
vor die Kosten der Armenpflege bestritten werden — daneben sammelt der
Klingelbeutelder andre in der Sakristei, In dem letztern, dem „genehmen
schatkastcn," sollen die Einkünfte aus dem Kirchenvermögen, dazu die Vierzeitcn-
gelder, testamentarische und sonstige Zuweisungen, die bestehenden Legate für
Seelenmessen, Lichter und dergleichen gesammelt werden, damit daraus Kirchen-
und Schulkosten allerart, soweit die letztern nicht durch das Schulgeld gedeckt
sind, bestritten werden. Für jeden Kasten werden vier Vorsteher, „Diccken" oder
„kastenheren," bestellt. Den Pflegern des gemeinen Schatzkastens, von denen
je einer ein Ratsherr sein muß, liegt es nebenbei ob, im Einvernehmen mit


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[0674] Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig, etwaigen Bedenken der Pietät, von Kunstinteresse, das kaum vorhanden war, zu schweigen, den Sieg davontrug. Dem derben Pommern heißt an der an¬ geführten Stelle die Masse des bildlichen Kirchenschmuckes „logenbelden unde unnutte klotze." Der neue Impuls, welchen durch Bugenhagen die reformatorische Bewegung in der Stadt empfangen hatte, begann mehr und mehr auch beim Rate seinen Einfluß zu üben. Die Drohungen und Mahnungen Kaiser Karls und Herzog Heinrichs traten bei den einen hinter den Forderungen des eignen Gewissens, bei den andern hinter der Befürchtung zurück, der gestaute Strom mochte sich ge¬ waltsam Bahn brechen und dabei die ganze Ratsherrlichkcit mit fortschwemmen. Gegen Ende August warm die Grundzüge der neuen Kirchenverfassung zwischen Vugenhagen, den Verordneten des Rates und den Prädikanten vereinbart und wurden nunmehr sofort abschriftlich als „Körte vortekeninge der dinge, darup eyn Erbar Rat mit der gemeyne eyne christlike ordeninge bedrepende, to been- deten best, beschreven dorch den Pomern" den Gilden und Gemeinheiten der fünf städtischen Weichbilder zur Begutachtung übergeben. Diese „Körte vortekeninge," welche unser Herausgeber am Schluß der Ein¬ leitung abdrückt, handelt bald knapp, bald ausführlicher von der Einrichtung zweier lateinischen Schulen, von „Scholmestcrn unde gesellen," ihrer Besoldung und Aufgabe, weiter vom „ Supercittcndenten und spilen hulper," von den Prüdikanten — je zwei an den fünf Pfarrkirchen der Stadt —, sowie von Küstern und Organisten. In der Vorlage über die „billigen Dage" werden nußer den Sonntagen und den drei großen Festen zur Beibehaltung empfohlen „Cireumcisionis, Epiphanie, Marien kcrkgangk, Marien vorkundinge, des heren Himmelfart, Johannis baptiste, Marien berchgcmgk" und Michaelis. Se. Autors, des legendären Beschützers der Stadt, und Se. Valentins Tag, an welchem 1492 den Städtern der Sieg von Blekenstedt zu teil geworden, werden auf den nächsten Sonntag gelegt und als Dankfeste für sonderliche göttliche Hilfe gefeiert. Entscheidung in Ehestreitigkeiten wird dem Rate zugewiesen. Grund¬ legend aber ist vor allem die Ordnung der Armenpflege, sowie der Kirchen- und Schulfinanzen. In jeder der vier Pfarrkirchen werden zwei Kasten aufgestellt, der eine in der Kirche selbst für die freiwilligen Opfer, aus denen nach wie vor die Kosten der Armenpflege bestritten werden — daneben sammelt der Klingelbeutelder andre in der Sakristei, In dem letztern, dem „genehmen schatkastcn," sollen die Einkünfte aus dem Kirchenvermögen, dazu die Vierzeitcn- gelder, testamentarische und sonstige Zuweisungen, die bestehenden Legate für Seelenmessen, Lichter und dergleichen gesammelt werden, damit daraus Kirchen- und Schulkosten allerart, soweit die letztern nicht durch das Schulgeld gedeckt sind, bestritten werden. Für jeden Kasten werden vier Vorsteher, „Diccken" oder „kastenheren," bestellt. Den Pflegern des gemeinen Schatzkastens, von denen je einer ein Ratsherr sein muß, liegt es nebenbei ob, im Einvernehmen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/674>, abgerufen am 22.07.2024.