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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Johannes Bngenhagen und die Reformation in der Ltadt Braunschweig.

schreite" und sie aus der Stadt zu verweisen, eine Maßregel, die Ostern 1525 noch¬
mals gegen den lutherisch gesinnten Prädikanten Curt Grotcwcill in Anwendung
gebracht wurde. Hatte aber dies Vorgehen des Rates von der Nachfolge ab¬
schrecken sollen, so verfehlte es seinen Zweck. stetig wuchs nicht nur die Be-
kennerschaft der neuen Lehre unter den Bürgern, sondern auch die Zahl der
mutigen Prädikanten, welche sich unterwanden im neuen Geiste zu predigen,
ohne daß der Rat, der in seinen fortwährenden Finanznöten den guten Willen
der Gemeinen dringend nötig hatte, auch stürmische Bewegungen des niedern
Volkes, wie sie sich an andern Stellen gezeigt hatten, befürchten mußte und
zudem in der nächsten Nachbarschaft, wie im Lüneburgischen, die evangelische
Sache wachsen und die Herrschaft erlangen sah, in der alten Weise einzugreifen
gewagt hätte. Gestützt auf die Mehrheit der Bevölkerung, konnten die beiden
Prädikanten zu Se. Magni Ende des Jahres 1527 den Anfang machen, deutsch
zu taufen und das Abendmahl unter großem Zulauf in beiderlei Gestalt aus¬
zuteilen. Schon zu Anfang des nächsten Jahres zwang die drohende Haltung
der Evangelischen, die trotz des strengen Verbots des alten Echtedinges Ver¬
sammlungen abgehalten und "Verordnete" bestellt hatten, den in seiner Mehr¬
heit immer noch der alten Kirche zugethaner Rat, sich mit den letztern in
Unterhandlungen über eine durchgreifende Änderung der Kirchenverfassung ein¬
zulassen. Freilich über den Grad und die Mittel dieser Umgestaltung gingen
nicht bloß die Meinungen der Laien, sondern auch die der antipapistischen Geiste
liehen weit auseinander. Zur Not einig in dem Gegensatze gegen die römische
Kirche, zeigten sich die letztern doch in sehr wesentlichen Punkten, beispielsweise
in der Abendmahlslehre, von den verschiedensten Ansichten, welche darüber im
Schwange gingen, namentlich auch vou Zwinglischen Lehren beeinflußt, und
keiner von ihnen stand als Charakter oder Ingenium so hoch über deu andern,
um nach der einen oder andern Seite den Ausschlag geben zu können. Dem
ärgerlichen Hader der Prädikanten, der Gewissensnot und Verlegenheit des
Volkes, der offnen und geheimen Freude der Gegner ein Ende zu machen,
schlugen die Evangelischen durch ihren Wortführer, den Juristen Autor Sander,
dem Rate vor, einen gelehrten Theologen von auswärts zur Herstellung einer
einheitlich geschlossenen Kirche im neuen Geiste zu berufen.

Die erste Wahl, welche man vereinbarte, war keine glückliche. Wohl war
der ehemalige Halberstädter Mönch Heinrich Winkel, der zur Zeit in Jena als
Prediger amtirte, eine durchaus reine Natur; um des Evangeliums willen
hatte er seine Heimat aufgegeben, mit Freuden folgte er jetzt dem Rufe nach
Braunschweig, predigte und lehrte hier unermüdlich und suchte mit bestem Willen
und heiligsten Ernste die ihm gewordne Aufgabe zu lösen. Aber es fehlte
ihm neben jeder Schärfe die weltkluge Gewandtheit, welche zwischen offnen und
versteckten Feinden, eigenwilligen, kamen und übereifriger Freunden den rechten
Weg zu finden vermag. Man verstand es von gegnerischer Seite, Mißtrauen


Johannes Bngenhagen und die Reformation in der Ltadt Braunschweig.

schreite» und sie aus der Stadt zu verweisen, eine Maßregel, die Ostern 1525 noch¬
mals gegen den lutherisch gesinnten Prädikanten Curt Grotcwcill in Anwendung
gebracht wurde. Hatte aber dies Vorgehen des Rates von der Nachfolge ab¬
schrecken sollen, so verfehlte es seinen Zweck. stetig wuchs nicht nur die Be-
kennerschaft der neuen Lehre unter den Bürgern, sondern auch die Zahl der
mutigen Prädikanten, welche sich unterwanden im neuen Geiste zu predigen,
ohne daß der Rat, der in seinen fortwährenden Finanznöten den guten Willen
der Gemeinen dringend nötig hatte, auch stürmische Bewegungen des niedern
Volkes, wie sie sich an andern Stellen gezeigt hatten, befürchten mußte und
zudem in der nächsten Nachbarschaft, wie im Lüneburgischen, die evangelische
Sache wachsen und die Herrschaft erlangen sah, in der alten Weise einzugreifen
gewagt hätte. Gestützt auf die Mehrheit der Bevölkerung, konnten die beiden
Prädikanten zu Se. Magni Ende des Jahres 1527 den Anfang machen, deutsch
zu taufen und das Abendmahl unter großem Zulauf in beiderlei Gestalt aus¬
zuteilen. Schon zu Anfang des nächsten Jahres zwang die drohende Haltung
der Evangelischen, die trotz des strengen Verbots des alten Echtedinges Ver¬
sammlungen abgehalten und „Verordnete" bestellt hatten, den in seiner Mehr¬
heit immer noch der alten Kirche zugethaner Rat, sich mit den letztern in
Unterhandlungen über eine durchgreifende Änderung der Kirchenverfassung ein¬
zulassen. Freilich über den Grad und die Mittel dieser Umgestaltung gingen
nicht bloß die Meinungen der Laien, sondern auch die der antipapistischen Geiste
liehen weit auseinander. Zur Not einig in dem Gegensatze gegen die römische
Kirche, zeigten sich die letztern doch in sehr wesentlichen Punkten, beispielsweise
in der Abendmahlslehre, von den verschiedensten Ansichten, welche darüber im
Schwange gingen, namentlich auch vou Zwinglischen Lehren beeinflußt, und
keiner von ihnen stand als Charakter oder Ingenium so hoch über deu andern,
um nach der einen oder andern Seite den Ausschlag geben zu können. Dem
ärgerlichen Hader der Prädikanten, der Gewissensnot und Verlegenheit des
Volkes, der offnen und geheimen Freude der Gegner ein Ende zu machen,
schlugen die Evangelischen durch ihren Wortführer, den Juristen Autor Sander,
dem Rate vor, einen gelehrten Theologen von auswärts zur Herstellung einer
einheitlich geschlossenen Kirche im neuen Geiste zu berufen.

Die erste Wahl, welche man vereinbarte, war keine glückliche. Wohl war
der ehemalige Halberstädter Mönch Heinrich Winkel, der zur Zeit in Jena als
Prediger amtirte, eine durchaus reine Natur; um des Evangeliums willen
hatte er seine Heimat aufgegeben, mit Freuden folgte er jetzt dem Rufe nach
Braunschweig, predigte und lehrte hier unermüdlich und suchte mit bestem Willen
und heiligsten Ernste die ihm gewordne Aufgabe zu lösen. Aber es fehlte
ihm neben jeder Schärfe die weltkluge Gewandtheit, welche zwischen offnen und
versteckten Feinden, eigenwilligen, kamen und übereifriger Freunden den rechten
Weg zu finden vermag. Man verstand es von gegnerischer Seite, Mißtrauen


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[0671] Johannes Bngenhagen und die Reformation in der Ltadt Braunschweig. schreite» und sie aus der Stadt zu verweisen, eine Maßregel, die Ostern 1525 noch¬ mals gegen den lutherisch gesinnten Prädikanten Curt Grotcwcill in Anwendung gebracht wurde. Hatte aber dies Vorgehen des Rates von der Nachfolge ab¬ schrecken sollen, so verfehlte es seinen Zweck. stetig wuchs nicht nur die Be- kennerschaft der neuen Lehre unter den Bürgern, sondern auch die Zahl der mutigen Prädikanten, welche sich unterwanden im neuen Geiste zu predigen, ohne daß der Rat, der in seinen fortwährenden Finanznöten den guten Willen der Gemeinen dringend nötig hatte, auch stürmische Bewegungen des niedern Volkes, wie sie sich an andern Stellen gezeigt hatten, befürchten mußte und zudem in der nächsten Nachbarschaft, wie im Lüneburgischen, die evangelische Sache wachsen und die Herrschaft erlangen sah, in der alten Weise einzugreifen gewagt hätte. Gestützt auf die Mehrheit der Bevölkerung, konnten die beiden Prädikanten zu Se. Magni Ende des Jahres 1527 den Anfang machen, deutsch zu taufen und das Abendmahl unter großem Zulauf in beiderlei Gestalt aus¬ zuteilen. Schon zu Anfang des nächsten Jahres zwang die drohende Haltung der Evangelischen, die trotz des strengen Verbots des alten Echtedinges Ver¬ sammlungen abgehalten und „Verordnete" bestellt hatten, den in seiner Mehr¬ heit immer noch der alten Kirche zugethaner Rat, sich mit den letztern in Unterhandlungen über eine durchgreifende Änderung der Kirchenverfassung ein¬ zulassen. Freilich über den Grad und die Mittel dieser Umgestaltung gingen nicht bloß die Meinungen der Laien, sondern auch die der antipapistischen Geiste liehen weit auseinander. Zur Not einig in dem Gegensatze gegen die römische Kirche, zeigten sich die letztern doch in sehr wesentlichen Punkten, beispielsweise in der Abendmahlslehre, von den verschiedensten Ansichten, welche darüber im Schwange gingen, namentlich auch vou Zwinglischen Lehren beeinflußt, und keiner von ihnen stand als Charakter oder Ingenium so hoch über deu andern, um nach der einen oder andern Seite den Ausschlag geben zu können. Dem ärgerlichen Hader der Prädikanten, der Gewissensnot und Verlegenheit des Volkes, der offnen und geheimen Freude der Gegner ein Ende zu machen, schlugen die Evangelischen durch ihren Wortführer, den Juristen Autor Sander, dem Rate vor, einen gelehrten Theologen von auswärts zur Herstellung einer einheitlich geschlossenen Kirche im neuen Geiste zu berufen. Die erste Wahl, welche man vereinbarte, war keine glückliche. Wohl war der ehemalige Halberstädter Mönch Heinrich Winkel, der zur Zeit in Jena als Prediger amtirte, eine durchaus reine Natur; um des Evangeliums willen hatte er seine Heimat aufgegeben, mit Freuden folgte er jetzt dem Rufe nach Braunschweig, predigte und lehrte hier unermüdlich und suchte mit bestem Willen und heiligsten Ernste die ihm gewordne Aufgabe zu lösen. Aber es fehlte ihm neben jeder Schärfe die weltkluge Gewandtheit, welche zwischen offnen und versteckten Feinden, eigenwilligen, kamen und übereifriger Freunden den rechten Weg zu finden vermag. Man verstand es von gegnerischer Seite, Mißtrauen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/671>, abgerufen am 22.07.2024.