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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Afghanistan und die Afghane".

Alters einige Jahre als Soldat dienen. Diese Maßregel sowie die Entwaff¬
nung mehrerer Bezirke riefen Widerstand vonseiten vieler Sirdars hervor,
welche zunächst ihre Verwandten, dann auch andre abhielten, dem Befehle des
Emirs nachzukommen. Um sie, die immer noch sehr mächtig waren, umzu¬
stimmen, griff schir Ali zu einem eigenen Mittel: er ließ seinen Bruder Neit
Muhammed als Gemeinen in das Heer einreihen und zwei volle Jahre dienen,
und in gleicher Weise verfuhr er später mit seinem Enkel Achmed Ali, worauf
die Opposition zwar nicht verschwand, aber bedeutend abnahm. Bemerkenswert
ist, daß die Armee uur Rekruten ohne deu geringsten physischen Mangel in
ihre Reihen aufnehmen durfte; selbst Leute mit spärlichem Haarwuchs wurden
zurückgewiesen. Zu Ende seiner Regierung besaß der Emir sechzig Bataillone
Infanterie, die gut formirt und von denen mehrere mit schnellfeuernden Ge¬
wehren versehen waren, und auch an Feldartillcrie fehlte es ihm nicht. Jaworsti
sah in Masari Scherif den Teil des Heeres, den der Emir bei seiner Flucht
aus Kabul nach der Provinz im Norden des Hindukusch mitgenommen hatte.
Er berichtet darüber, daß der Emir beim Einzug in die Stadt auf einem Ele¬
fanten ritt, daß er dabei durch Ehrenpforten passirte, an welchen mit breiten,
grünen Turbantüchern Exemplare des Koran befestigt waren, und daß er mit
101 Kanonenschüssen empfangen wurde. Dann fährt er fort: "Als wir dahin
kämen, wo die Truppen aufgestellt waren, hatten wir ein malerisches Bild vor
uns. Einige Abteilungen standen noch in Reih und Glied, andre zogen in Ko¬
lonnen oder zerstreuten Gruppen ucich der Stadt zurück. An einigen Stellen
ergötzten sich die Soldaten mit Spielen. Vor einem Scheiterhaufen, dessen
gelbliche Flammen sich scharf von der Decke des frischgefallnen lockern Schnees
abhoben, führten zwei Afghanen mit blanken Säbeln in der Hand ihren Na¬
tionaltanz auf. Ihre Bewegungen waren rasch, feurig und gewandt. Der Tanz
wurde von einem originellen Orchester begleitet, welches ans einer Haudpauke,
zwei melancholischen Flöten und eiuer Kamantschci bestand. Die Gesamtzahl
der hier versammelten Truppen war nach Mitteilungen des Wessirs folgende:
1V Bataillone Infanterie, 6 Regimenter Reiterei und 4 Batterien Artillerie mit
je 6 Geschützen. . . . Die glänzenden Bronzekanonen waren etwa von demselben
Kaliber wie unsre Neuupfüuder, und jedes Geschütz war paarweise mit zwölf
Pferden bespannt; auf jedes Paar kam ein reitender Artillerist auf dem linken
Pferde. Während unsrer Anwesenheit rückte auch die berittne Gebirgsartillerie
aus, bei der jedes Geschütz mit Zubehör, Lafette, Rädern, Protzkasten und der¬
gleichen von acht Pferden getragen wird; das Rohr trägt ein besonders kräftiges
Tier. ... In der Bekleidung der Mannschaften erkannte ich drei verschiedne
Uniformen: Jacken vom Schnitt unsrer früheren Monturen, Hosen von schwarzem
Tuch und weiße Turbane, blaue Jacken und weiße Beinkleider und Mützen
von schwarzem Lammfell, endlich rote Jacken und blaue Hosen und rote Mützen
mit einem Rande von Pelzwerk. Das Fußvolk trug an den Füßen Pantoffeln


Afghanistan und die Afghane».

Alters einige Jahre als Soldat dienen. Diese Maßregel sowie die Entwaff¬
nung mehrerer Bezirke riefen Widerstand vonseiten vieler Sirdars hervor,
welche zunächst ihre Verwandten, dann auch andre abhielten, dem Befehle des
Emirs nachzukommen. Um sie, die immer noch sehr mächtig waren, umzu¬
stimmen, griff schir Ali zu einem eigenen Mittel: er ließ seinen Bruder Neit
Muhammed als Gemeinen in das Heer einreihen und zwei volle Jahre dienen,
und in gleicher Weise verfuhr er später mit seinem Enkel Achmed Ali, worauf
die Opposition zwar nicht verschwand, aber bedeutend abnahm. Bemerkenswert
ist, daß die Armee uur Rekruten ohne deu geringsten physischen Mangel in
ihre Reihen aufnehmen durfte; selbst Leute mit spärlichem Haarwuchs wurden
zurückgewiesen. Zu Ende seiner Regierung besaß der Emir sechzig Bataillone
Infanterie, die gut formirt und von denen mehrere mit schnellfeuernden Ge¬
wehren versehen waren, und auch an Feldartillcrie fehlte es ihm nicht. Jaworsti
sah in Masari Scherif den Teil des Heeres, den der Emir bei seiner Flucht
aus Kabul nach der Provinz im Norden des Hindukusch mitgenommen hatte.
Er berichtet darüber, daß der Emir beim Einzug in die Stadt auf einem Ele¬
fanten ritt, daß er dabei durch Ehrenpforten passirte, an welchen mit breiten,
grünen Turbantüchern Exemplare des Koran befestigt waren, und daß er mit
101 Kanonenschüssen empfangen wurde. Dann fährt er fort: „Als wir dahin
kämen, wo die Truppen aufgestellt waren, hatten wir ein malerisches Bild vor
uns. Einige Abteilungen standen noch in Reih und Glied, andre zogen in Ko¬
lonnen oder zerstreuten Gruppen ucich der Stadt zurück. An einigen Stellen
ergötzten sich die Soldaten mit Spielen. Vor einem Scheiterhaufen, dessen
gelbliche Flammen sich scharf von der Decke des frischgefallnen lockern Schnees
abhoben, führten zwei Afghanen mit blanken Säbeln in der Hand ihren Na¬
tionaltanz auf. Ihre Bewegungen waren rasch, feurig und gewandt. Der Tanz
wurde von einem originellen Orchester begleitet, welches ans einer Haudpauke,
zwei melancholischen Flöten und eiuer Kamantschci bestand. Die Gesamtzahl
der hier versammelten Truppen war nach Mitteilungen des Wessirs folgende:
1V Bataillone Infanterie, 6 Regimenter Reiterei und 4 Batterien Artillerie mit
je 6 Geschützen. . . . Die glänzenden Bronzekanonen waren etwa von demselben
Kaliber wie unsre Neuupfüuder, und jedes Geschütz war paarweise mit zwölf
Pferden bespannt; auf jedes Paar kam ein reitender Artillerist auf dem linken
Pferde. Während unsrer Anwesenheit rückte auch die berittne Gebirgsartillerie
aus, bei der jedes Geschütz mit Zubehör, Lafette, Rädern, Protzkasten und der¬
gleichen von acht Pferden getragen wird; das Rohr trägt ein besonders kräftiges
Tier. ... In der Bekleidung der Mannschaften erkannte ich drei verschiedne
Uniformen: Jacken vom Schnitt unsrer früheren Monturen, Hosen von schwarzem
Tuch und weiße Turbane, blaue Jacken und weiße Beinkleider und Mützen
von schwarzem Lammfell, endlich rote Jacken und blaue Hosen und rote Mützen
mit einem Rande von Pelzwerk. Das Fußvolk trug an den Füßen Pantoffeln


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[0661] Afghanistan und die Afghane». Alters einige Jahre als Soldat dienen. Diese Maßregel sowie die Entwaff¬ nung mehrerer Bezirke riefen Widerstand vonseiten vieler Sirdars hervor, welche zunächst ihre Verwandten, dann auch andre abhielten, dem Befehle des Emirs nachzukommen. Um sie, die immer noch sehr mächtig waren, umzu¬ stimmen, griff schir Ali zu einem eigenen Mittel: er ließ seinen Bruder Neit Muhammed als Gemeinen in das Heer einreihen und zwei volle Jahre dienen, und in gleicher Weise verfuhr er später mit seinem Enkel Achmed Ali, worauf die Opposition zwar nicht verschwand, aber bedeutend abnahm. Bemerkenswert ist, daß die Armee uur Rekruten ohne deu geringsten physischen Mangel in ihre Reihen aufnehmen durfte; selbst Leute mit spärlichem Haarwuchs wurden zurückgewiesen. Zu Ende seiner Regierung besaß der Emir sechzig Bataillone Infanterie, die gut formirt und von denen mehrere mit schnellfeuernden Ge¬ wehren versehen waren, und auch an Feldartillcrie fehlte es ihm nicht. Jaworsti sah in Masari Scherif den Teil des Heeres, den der Emir bei seiner Flucht aus Kabul nach der Provinz im Norden des Hindukusch mitgenommen hatte. Er berichtet darüber, daß der Emir beim Einzug in die Stadt auf einem Ele¬ fanten ritt, daß er dabei durch Ehrenpforten passirte, an welchen mit breiten, grünen Turbantüchern Exemplare des Koran befestigt waren, und daß er mit 101 Kanonenschüssen empfangen wurde. Dann fährt er fort: „Als wir dahin kämen, wo die Truppen aufgestellt waren, hatten wir ein malerisches Bild vor uns. Einige Abteilungen standen noch in Reih und Glied, andre zogen in Ko¬ lonnen oder zerstreuten Gruppen ucich der Stadt zurück. An einigen Stellen ergötzten sich die Soldaten mit Spielen. Vor einem Scheiterhaufen, dessen gelbliche Flammen sich scharf von der Decke des frischgefallnen lockern Schnees abhoben, führten zwei Afghanen mit blanken Säbeln in der Hand ihren Na¬ tionaltanz auf. Ihre Bewegungen waren rasch, feurig und gewandt. Der Tanz wurde von einem originellen Orchester begleitet, welches ans einer Haudpauke, zwei melancholischen Flöten und eiuer Kamantschci bestand. Die Gesamtzahl der hier versammelten Truppen war nach Mitteilungen des Wessirs folgende: 1V Bataillone Infanterie, 6 Regimenter Reiterei und 4 Batterien Artillerie mit je 6 Geschützen. . . . Die glänzenden Bronzekanonen waren etwa von demselben Kaliber wie unsre Neuupfüuder, und jedes Geschütz war paarweise mit zwölf Pferden bespannt; auf jedes Paar kam ein reitender Artillerist auf dem linken Pferde. Während unsrer Anwesenheit rückte auch die berittne Gebirgsartillerie aus, bei der jedes Geschütz mit Zubehör, Lafette, Rädern, Protzkasten und der¬ gleichen von acht Pferden getragen wird; das Rohr trägt ein besonders kräftiges Tier. ... In der Bekleidung der Mannschaften erkannte ich drei verschiedne Uniformen: Jacken vom Schnitt unsrer früheren Monturen, Hosen von schwarzem Tuch und weiße Turbane, blaue Jacken und weiße Beinkleider und Mützen von schwarzem Lammfell, endlich rote Jacken und blaue Hosen und rote Mützen mit einem Rande von Pelzwerk. Das Fußvolk trug an den Füßen Pantoffeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/661>, abgerufen am 22.07.2024.